Chiara Kucharski spricht mit Veronika Wallner-Hellberg über Erkenntnisse und Praxis
Der Traum vom bedingungslosen Grundeinkommen
Alle Menschen erhalten von Geburt an ein Grundeinkommen, um davon sorgenfrei leben zu können. So die Vorstellung der Nichtregierungsorganisation „Mein Grundeinkommen“.
In zweierlei „Alltagsstudien“ wird dieses Konzept getestet: Erstes Projekt ist die monatliche Verlosung von 1.000 Euro Grundeinkommen, bei der jede und jeder mitmachen kann. Zweites und neues Projekt ist die dreijährige Praxisstudie, wie sich monatliche 1.200 Euro Grundeinkommen langfristig auswirken.
NIE MEHR LEERE PATTE
Wie sieht das Konzept des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) konkret aus?
Die Definition besteht aus vier Punkten: Wichtig ist, dass es keine Bedürftigkeitsprüfung vorab gibt, für die, die es erhalten. Es soll existenzsichernd sein, also mindestens dem Existenzminimum entsprechen. Ein weiterer Punkt ist, dass die Menschen einen Rechtsanspruch darauf haben, sodass kein Dritter es wegnehmen oder darüber entscheiden darf. Der vierte Punkt leitet sich daraus ab, dass es bedingungslos ist und deshalb keinen Zwang zu Gegenleistungen beinhalten darf. Das macht das Bedingungslose Grundeinkommen aus.
Klingt einleuchtend.
Es gibt ganz viele Konzepte, die das Wort „Grundeinkommen“ im Namen tragen, es aber beim genauen Hinschauen nicht sind.
Weil Voraussetzungen da sein müssen, die oft nicht zutreffen?
Genau. Wenn zum Beispiel nur eine bestimmte Gruppe es erhalten soll, ist es schon wieder nicht bedingungslos. Damit gehen Probleme einher wie zum Beispiel Stigmatisierungen. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen ist der Sockelbetrag, den wirklich jede*r eines Landes von Geburt an erhalten soll. Dahinter steht ein anderes Menschenbild, eine andere Idee.
Welcher Betrag wird festgesetzt, was jemand zum Leben braucht? Was wird auf Deutschland bezogen alles mit einberechnet? Unterstützungen, Versicherungen …
Da gibt es verschiedene Konzepte. Es gibt zum Beispiel ein ganz klar neoliberales Konzept, bei dem jegliche Sozialleistungen wegfallen und ersetzt werden durch ein Grundeinkommen. Das ist aber nicht die Idee, die wir beforschen. Wir von „Mein Grundeinkommen“ möchten, dass der Sozialstaat erweitert wird, nicht abgeschafft. Das ist ein fundamentaler Unterschied.
Inwiefern erweitert?
Das bedeutet, dass jeder Mensch einen festen Betrag erhält – das Grundeinkommen – und zusätzliche Bedarfe aus anderen Töpfen ebenfalls abgedeckt werden. Denn es gibt natürlich Menschen, die einen höheren finanziellen Bedarf haben. Wenn man darauf angewiesen ist, sich für 3.000 Euro einen Hightech-Rollstuhl zu kaufen, weil man sonst seine Wohnung nicht verlassen kann, dann wäre es ungerecht, wenn man das nicht geltend machen kann. Das heißt, da muss der Sozialstaat eingreifen.
Was also berechnet ihr zum BGE mit ein?
„Mein Grundeinkommen“ hat zwei Projekte laufen: Einmal die Verlosungen, bei denen wir uns irgendwann einmal auf 1.000 Euro pro Monat für ein Jahr geeinigt haben, weil das ein runder Betrag ist. Mittlerweile liegt der Betrag aber unterhalb des Existenzminimums in Deutschland, das liegt bei 1.200 Euro. Die Verlosungen sind ein Experiment, um es einfach mal in der Praxis auszutesten. Nachdem uns zu Recht vorgeworfen wurde, dass sei alles nicht repräsentativ, starteten wir zusätzlich zu den Verlosungen das zweite große Projekt.
Das Pilotprojekt über drei Jahre?
Genau, zusammen mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) beforschen wir das Bedingungslose Grundeinkommen in der weltweit ersten zivilgesellschaftlichen Langzeitstudie nach streng wissenschaftlichen Methoden. Die Proband*innen unseres Pilotprojektes Grundeinkommen erhalten für drei Jahre monatlich 1.200 Euro, was dem aktuellen Existenzminimum entspricht.
Wie sehr wird man schon sein Leben umkrempeln, wenn das BGE auf ein Jahr begrenzt ist?
Eben, der Zeitraum war uns deshalb sehr wichtig beim Aufsetzen der Studie. Unsere Erkenntnisse aus den Verlosungen deuten da schon etwas Spannendes an: Wir haben jetzt fast tausend Menschen unser Ein-Jahres-Grundeinkommen ausgezahlt und bei ausnahmslos allen massive Veränderungen gesehen. Nicht immer so stark nach außen, auch sehr deutlich im Inneren – obwohl es „nur“ ein Jahr war. Das Wichtigste scheint gar nicht zu sein, ob es jetzt 1.000 oder 1.200 Euro sind, sondern dass die Menschen es bedingungslos erhalten.
Wie zeigt sich das?
Das Grundeinkommen kommt am Anfang des Monats. Man muss nicht erst etwas leisten, sondern man bekommt es einfach so. Sie wissen, dass es etwa 190.000 Menschen sind, die ihnen durch Crowdfunding etwas schenken, und sie nicht erklären müssen, wie sie das Geld verwenden. Dieses bedingungslose Vertrauen ist der entscheidende Punkt. Bei allen, die das Grundeinkommen bekommen, haben wir unabhängig von ihrer Vorgeschichte den Durchlauf ähnlicher Phasen festgestellt. Unabhängig von der Herkunft, ob man vorher viel oder wenig Geld hatte.
Welche Phasen sind das?
Am Anfang freuen die Leute sich natürlich und stillen meist erst mal irgendein lang erträumtes Konsumbedürfnis. Danach ist die Freude kurzzeitig gar nicht mal mehr so groß, denn plötzlich stehen die großen Lebensfragen im Raum: Was will ich erreichen, was kann ich bewirken und was brauche ich dafür? Dann kommt die aktive Phase und das Grundeinkommen wird für konkrete Projekte genutzt, zum Beispiel für eine Weiterbildung. Einige fangen an, das Geld zurückzulegen, für ein Studium oder Ähnliches. Wieder andere reduzieren ihre Arbeitsstunden und nehmen sich mehr Zeit für ihre Kinder oder die Pflege ihrer Angehörigen.
Es gibt Kritik, die Menschen würden sich mit einem Grundeinkommen auf die faule Haut legen.
Das ist wirklich lustig, denn es gibt ja kaum Praxiserfahrung. Aber darüber sind sich irgendwie alle einig, dass die Leute nichts machen, wenn es am Anfang des Monats Geld gibt. Es gibt eine interessante Civey-Umfrage dazu: „Wenn du Anfang des Monats eine bestimmte Geldsumme zur Verfügung hättest, würdest du aufhören zu arbeiten?“ Fast alle Befragten, über 90 Prozent, sagten, sie würden auf gar keinen Fall aufhören zu arbeiten.
Das ist interessant.
Als Nächstes wurden dieselben Menschen gefragt, ob sie denken, dass andere aufhören würden zu arbeiten, und 60 Prozent der Befragten antworteten: „Ja, auf jeden Fall!“, alle würden aufhören zu arbeiten. Diese Diskrepanz zeigt ein großes Misstrauen gegenüber den Mitmenschen, aber sie zeigt vor allem ganz klar: Menschen arbeiten schlicht nicht nur des Geldes wegen.
Sondern?
Wir kommen auf die Welt und wollen uns weiterentwickeln. Wir machen das einfach. Sinn des Lebens. Evolution. Wenn wir etwas haben, dann machen wir damit etwas. Wir können nicht stagnieren. Wenn wir den Leuten aber permanent unterstellen, jede*r bliebe stehen … und legt sich hin (lacht), dann hat das nichts mit der menschlichen Realität zu tun, das zeigt sich seit Millionen von Jahren.
Wie sieht es aus bei Tätigkeiten, die wirklich unschön sind? Die von Leuten ausgeführt werden, die es nur machen, weil sie der Druck dazu zwingt?
Das sollte in einer Gesellschaft wie der unseren gar nicht möglich sein. Stell dir vor, du wirst gezwungen, einen Job zu machen, den keiner machen will. Du bist in so existenzieller Not und weißt, niemand in der Gesellschaft möchte das machen. Das geht schon in die Richtung maximal menschenunwürdig leben, und das in einer Zivilisation, wie wir sie hier haben. Das müssen wir ändern, das Grundeinkommen wäre dafür eine Möglichkeit.
Ohne Frage. Aber es gibt es doch.
Der Umkehrschluss wäre wichtig: Wir haben hier Arbeiten, die wirklich keiner machen will, weil sie so, so schlimm sind. – Was können wir machen, um sie aufzuwerten? Der erste Schritt wäre eine bessere Bezahlung dieser Arbeiten. Denn sie verlangen den Menschen viel mehr ab, sind daher wertvoller und müssen gerechter entlohnt werden. Dann gäbe es auch mehr Menschen, die den Job machen würden. Auf diesem Weg könnten diese Arbeiten die Aufwertung erfahren, die sie verdient haben.
Kritische Stimmen bezweifeln, dass sich das Grundeinkommen für den Staatshaushalt rechnet. Ihr arbeitet mit dem DIW zusammen. Wie lässt es sich ermöglichen?
Da gibt es viele Modelle, das überlasse ich den Finanzexpert*innen, dass die das passende Modell ausrechnen. Die Frage kommt immer und der Anspruch dahinter ist natürlich auch interessant: „Guck mal, so und so viele Millionen Bürger*innen gibt es. Wenn man denen so und so viel Geld gibt, wo soll das denn herkommen? Bitte löst das.“
Ja.
Ich empfinde das als unseriös. Wenn wir uns andere Haushaltstöpfe angucken, den Rüstungshaushalt zum Beispiel, oder wie teuer uns Harz IV kommt mit der ganzen Bürokratiewolke drumherum, da behauptet kaum jemand, dass wir uns das nicht leisten können. Plötzlich war es irgendwie möglich. Wenn der politische Wille da ist, dann werden sich auch genug Möglichkeiten finden, und sei es über bestimmte Besteuerungen, dies zu finanzieren. Aber eigentlich ist diese allgemeine Frage ein Trick, um das Ausprobieren zu verhindern.
Aber gibt es nicht trotzdem Einschränkungen für andere Leute? Stichwort: Besteuerung.
Es wird sicherlich darauf hinauslaufen, dass es eine Art Vermögenssteuer geben könnte. Aber es gibt auch Modelle, die das nicht so explizit beinhalten: Wenn wir mal die 1.200 Euro nehmen, die jedem Menschen garantiert sind. Die Leute, die mehr verdienen, zahlen dann anteilig Steuern. Die Besteuerung wird prozentual gestaffelt bis zu denjenigen, die kein Einkommen haben. So muss kein Geld vom Staat reingepumpt werden und doch erhalten alle Bürger*innen am Anfang jedes Monats ein Grundeinkommen.
Man merkt deine Begeisterung. Was hat dich bewegt, Verfechterin des BGE zu werden?
Was ich daran so charmant finde, ist, dass es parteipolitisch unabhängig ist. Die Einführung des Grundeinkommens ist grundsätzlich möglich und hat das Potenzial, zur Lösung der großen Probleme beizutragen, vor denen wir alle gemeinsam jetzt und in Zukunft stehen, zum Beispiel im Bereich Klima und soziale Gerechtigkeit. Das finde ich total super. Das ist eine der wenigen zukunftsfähigen Ideen, die ein entscheidender Hebel sein kann für die Veränderungen, die wir brauchen, damit wir auf diesem Planeten noch ein bisschen länger gut überleben können.
Was würdest du mit 1.000 Euro Grundeinkommen im Monat machen?
Pass auf, es ist so: Ich arbeite ja für „Mein Grundeinkommen“. Wofür wir uns nach außen einsetzen, das leben wir auch im Inneren. Wir orientieren uns nicht an festgelegten Gehaltshöhen, sondern nutzen das sogenannte Bedarfsprinzip. Heißt, ich rechne mir genau aus, wie hoch mein monatlicher finanzieller Bedarf ist, damit ich leben kann und den Kopf frei habe, um in Ruhe arbeiten zu können. Ich werde also nicht für meine Arbeit entlohnt, sondern ich bekomme Geld, damit ich gut arbeiten kann. Genau das habe ich mir immer gewünscht.
INFO
Veronika Wallner-Hellberg
Sie ist in dem Verein „Mein Grundeinkommen e.V.“ in Berlin zuständig für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Die Idee des Grundeinkommens ist ihr im Studium begegnet. Innerhalb des Vereins gilt sie als „Super-Brain“ und „beherrscht Multitasking im End-Level“.
Autorin Chiara Kucharski / Illustration Thorsten Kambach / Fotos shutterstock
Erstmalig erschien dieser Text in Stadtgeflüster Interview März 2022
Alle Rechte bei Stadtgeflüster – das Interviewmagazin vom