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EHE IST LANGWEILIG!

Der Erfolg hat oft viele Väter. Münsters „Tatort“-Team hat zwei: Die Drehbuchautoren Stefan Cantz und Jan Hinter; und sie waren vom Mega-Erfolg des Teams Thiel und Boerne – alias Prahl und Liefers – seinerzeit durchaus überrascht. Über Jahre jagte ein sonntäglicher Quotenrekord den nächsten. Mittlerweile sind seit der ersten Folge „Der dunkle Fleck“ 20 Jahre vergangen. Ein Jubiläum, von dem die Schöpfer übrigens gar nichts wussten, als das Interview über die Bühne ging – per Zoom mit Cantz in München, Hinter auf Mallorca und dem Interviewer in Münster.

Arndt Zinkant im Krimi-Clinch mit den Erfindern des Münster-Tatorts: Stefan Cantz und Jan Hinter

Sind Sie beide tatsächlich zu 100 Prozent die Erfinder des Münster-Tatorts oder gab es Vorgaben des Senders? 

Jan Hinter: Es sollten ein Kommissar und ein Rechtsmediziner sein, und diese sollten von Axel Prahl und Ulrich Noethen gespielt werden. Das war die Vorgabe. Aber dass es dann mehr in die Richtung Kriminalkomödie ging, war absolut unsere Idee. Wir dachten, der Tatort verträgt so etwas.

 

Stefan Cantz: ... und haben damit eine regelrechte Lawine losgetreten. Mittlerweile gibt es ja fast nur noch Krimi-Komödien. Liebe Freunde des ernsthaften Krimis, wir bitten um Entschuldigung, so war das eigentlich nicht gedacht! (lacht)

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Glauben Sie, dass Ulrich Noethen die Boerne-Figur ähnlich angelegt hätte? 

Hinter: Nein, mit Sicherheit ganz anders. Ich kenne sowohl Uli als auch Jan Josef gut, denn beide spielten zusammen in einer Serie, die ich kurz zuvor produziert hatte. Und Uli sagte ja seinerzeit nicht ohne Grund: „Diesen Professor spiele ich nicht!“ Er neigt generell dazu, in seinen Rollen Tiefe und Ernsthaftigkeit zu suchen. 

 

Ich habe gelesen, dass „Alberich“ anfangs auf Widerstand gestoßen sei. 

Cantz: Diese Figur war für damalige Verhältnisse absolut politisch unkorrekt – zumindest nach Ansicht des Senders. Die Behindertenverbände hingegen signalisierten uns sogar Zustimmung. Die fanden es gut, dass so jemand wie Alberich nicht wie ein rohes Ei behandelt, sondern als ganz normaler Mensch gezeigt wurde. Dabei ist Kleinwüchsigkeit ja nicht einmal eine Behinderung. 

 

Hinter: Die Phase der Ideenfindung mit dem Sender lief nach dem Motto: „Der Zwerg ist drin – der Zwerg ist raus.“ Das ging tagelang hin und her. (lacht)

 

Nun feiern wir ja gerade das 20-jährige Jubiläum des Münster-Tatorts …

Cantz: Ist das wirklich schon so lange her? Das hat mir niemand gesagt. 

 

Hinter: Wir werden eigentlich nie kontaktiert. (lacht) Ohnehin liegt der letzte Tatort aus unserer Feder schon ein paar Jahre zurück, der war von 2019. Was damit zusammenhängt, dass es aufseiten des Senders einen Personalwechsel gab und außerdem auch bei der Produktionsfirma Bavaria. Und die neuen Verantwortlichen haben uns schlichtweg nicht mehr angefragt. Es ist durchaus das Recht eines jeden Entscheiders, zu sagen: „Ich will hier meine eigene ,Duftnote‘ setzen.“ Wir fanden es nur befremdlich, dass man uns nicht einmal über diesen Wechsel informierte. Immerhin hatten wir zuvor beinahe 20 Jahre lang jedes Jahr einen Tatort geschrieben – und nun kam einfach keine Anfrage mehr. Das finde ich dann doch ziemlich stillos. 

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Wer entscheidet denn, welcher Autor für welche Folge zum Zuge kommt?

Cantz: Das ist eine Produzenten-Entscheidung – was im Fall des Münster-Tatorts besonders kompliziert ist, denn dieser ist auf drei Produktionsfirmen verteilt. Zur Förderung des Medienstandortes Köln wurde das genauso verfügt. Also haben wir auf dieser Seite bereits drei Entscheidungsträger, die unterschiedlicher Meinung sein können. Hinzu kommt noch die letztgültige Befugnis des betreffenden WDR-Redakteurs. So nimmt sich also jeder Produzent seine eigenen Stoffe und Mitarbeiter her, die dann meist vom Sender auch abgesegnet werden.

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Hatten Sie anfangs einen Bezug zur Stadt Münster?

Beide: Münster kannten wir lediglich aus den Erzählungen der Ex-Frau von Stefan Cantz, die dort studiert hatte. Vor der Buchentwicklung gab es dann noch eine kurze Recherchereise mit viel Altbierbowle. In den kommenden Jahren konnten wir dann wie andere Tatort-Zuschauer auch unsere Kenntnisse enorm erweitern. Obwohl man bei den gezeigten Stadtbildern ja nie so ganz sicher sein kann, ob da auch wirklich Münster zu sehen ist oder nicht ... Und weil Münster eben keine eigene Filmproduktion besaß, wurde naheliegenderweise Köln auserwählt, den Münster-Tatort zu produzieren. Das führt, wie man weiß, dazu, dass viele Münster-Szenen tatsächlich in der Rhein-Metropole gedreht werden. 

 

Die hiesigen Fans sind oft verärgert, wenn zu wenig Münster-Kolorit zu sehen ist. Noch schlimmer: Wenn die „Fake-Szenen“ zu dreist sind oder gar nach Ruhrgebiet aussehen!

Cantz: Die Münsteraner merken das natürlich, aber die Produzenten merken es nur in ihrer Kalkulation. Weil jeder Dreh außerhalb von Köln zusätzliches Geld kostet, werden sie auf ein Minimum begrenzt – stattdessen werden dann irgendwelche Panorama-Luftbilder von Münster hineingeschnitten. 

 

Wie wird man eigentlich Tatort-Autor? 

Cantz: Wenn man nichts Ordentliches gelernt hat. (lacht) Ich zum Beispiel habe einen Magister in amerikanischer Kulturgeschichte. Jan hat allerdings doch einen professionelleren Hintergrund. 

 

Hinter: Ich glaube, das hat mehr mit Glück zu tun als mit einer Filmhochschule. In den Achtzigerjahren war ich bei der Bavaria bereits als Aufnahmeleiter tätig. Damals hatte ich viel mit Götz George und „Schimanski“ zu tun und dachte mir: „So ein Drehbuch kannst du auch schreiben!“ Ich habe mich mit zwei Kumpels zusammengetan und wir schrieben ein Schimanski-Drehbuch namens „Moltke“. Das wurde nicht nur verfilmt, sondern gewann sogar einen Grimme-Preis. 

 

Cantz: Dieses Glück hatte ich leider nicht. Deswegen musste ich mich als Autor mit vielen Dingen abgeben, die alles andere als Grimme-Preis-verdächtig waren – Klamotte und seichte Unterhaltung. Dass ich Jan kannte, hat mir später natürlich geholfen. Und vielleicht war ja meine Erfahrung mit der Klamotte für die Konzeption des Münster-Tatorts sogar nützlich. 

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Und wie schreibt man Drehbücher zu zweit? 

Hinter: Dass wir überhaupt noch miteinander reden, ist ein Wunder. Am Anfang haben wir tatsächlich jeden einzelnen Satz gemeinsam am Rechner erdacht. Irgendwann merkten wir aber, dass es so nicht funktioniert, und gingen immer mehr dazu über, einzeln zu arbeiten. Gegen Ende verfasste jeder eine Tatort-Folge quasi ganz alleine, und der andere schaute nur noch mal drüber. 

 

Cantz: Wir sind irgendwann sozusagen zu einer Person verschmolzen. (lacht) Wir waren schon fast so weit, uns ein gemeinsames Pseudonym zuzulegen. Beim Münster-Tatort befanden wir uns jedenfalls stilistisch auf einer Linie. In Hollywood ist es übrigens sehr viel verbreiteter, als Autorenteam zu arbeiten. Es hat große Vorteile – denn nicht jeder bringt dieselben Qualitäten und Stärken ein. Dem einen liegt mehr die Konstruktion einer Handlung, dem anderen vielleicht eher der witzige Dialog. 

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Bereits vor etwa zehn Jahren haben Prahl und Liefers in einem Interview gefordert, es müsste eine „Tatort-Autorenbibel“ geben. Damit alle auf demselben Wissensstand sind und nicht so viele Anschlussfehler passieren. 

Cantz: ... weil ja die Autoren und Produktionsfirmen wechseln! Da haben dann tatsächlich die Herren Kollegen oft hanebüchene Dinge eingebaut – worauf wir dann wiederum sagten: „Nein, das ignorieren wir!“ Beispielsweise ist ja irgendwann mal Vater Thiel mit der Staatsanwältin ins Bett gegangen. Diese Affäre haben wir übergangen, als ob sie nie passiert wäre. So ein Schmarrn! 

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Eine Gemeinsamkeit von „Tatort“ und „Wilsberg“ ist mir aufgefallen: In beiden Serien ist niemand verheiratet. Wie kommt das? 

Cantz: Ehe ist langweilig! Wenn Raum für Affären in der Handlung ist, wird diese insgesamt aufregender. Bei den Tatort-Kommissaren fällt mir als Ehemann immer nur Hansjörg Felmy aus den Siebzigerjahren ein. 

 

Hinter: Aber der hatte auch nur eine Exfrau! Als Ermittler ist der einsame Wolf natürlich interessanter als ein Ehemann, der am Feierabend die Füße hochlegt und sich von seiner Frau ein Bier bringen lässt. 

 

Letzte Frage: Es gab doch mindestens eine Folge, wo sich Thiel und Boerne im Suff duzen – und dann am nächsten Tag wieder distanziert wirken. Ist die ewige Siezerei nach nunmehr 20 Jahren nicht unrealistisch?

Beide: Boerne ist ein Mensch, der sehr auf Formen hält, und zelebriert das „Sie“, um vornehme Distanz zum einfachen Fußvolk zu halten. Wir halten es für sehr wahrscheinlich, dass er auch mit den eigenen Eltern nie per Du verkehrt hat.

 

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INFO

Stefan Cantz wurde 1956 in Stuttgart geboren und hat nun seinen Lebensmittelpunkt in Ammerland am Starnberger See („mit Frau und zwei Katzen“). Er studierte in München und machte sich 1987 als Drehbuchautor selbstständig.

Jan Hinter wurde 1952 in Marburg an der Lahn geboren und pendelt seit einigen Jahren zwischen München und Mallorca. Anfangs im Filmgeschäft als „Mädchen für alles“, war er später als Aufnahme- und Produktionsleiter tätig. Danach als Produzent bei der Bavaria Film in München und Colonia Media in Köln. Seit 2000 ausschließlich Drehbuchautor.

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Autor Arndt Zinkant / Illustration Thorsten Kambach / Fotos Pressefotos

Erstmalig erschien dieser Text in Stadtgeflüster Interview Juni 2022

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