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Tom Feuerstacke und Michael Kessler brechen beim Nachbarschaftsbesuch mit Klischees

Wer ist frei von Vorurteilen, vermutlich niemand. Klischees und Vorurteile steuern ständig unser Handeln, hemmen uns, Neues zu erleben. Erfahrungen zu machen, die unser Leben bereichern können. Häufig führt es dazu, dass Mauern höher wachsen, als dass sie eingerissen werden. Das kindliche Verlangen, Dinge selbstständig zu erlernen und zu verstehen, wird im Alter durch Angst und Vorsicht, dem Erzählten zu glauben, deutlich gehemmt. Nichts bleibt von dem Entdecker in uns, werden wir doch häufig zu Zweiflern. Da ist es gut, dass sich einer auf den Weg macht, mit Klischees aufzuräumen.

WENN EINER EINE REISE TUT

Michael, „Ziemlich beste Nachbarn“ wird mit dir in Form einer Dokumentation demnächst in die heimischen Wohnzimmer getragen … ?

… richtig …

 

Nach kurzem Überlegen war ich etwas irritiert, was mit „Nachbarn“ gemeint war. Russland, Italien und Großbritannien. Das wäre nicht meine erste Wahl bei einem Stadt-Land-Fluss-Spiel. Wie kommt man an diese nachbarschaftliche Verbindung? 

Wir haben das Ganze europäischer aufgefasst. In einer Zeit, wo es ein wenig bröckelt in der Europäischen Union, haben wir nach drei Ländern gesucht, die sich in ihrer Kultur deutlich unterscheiden. So kam diese Dokumentation zustande.

 

Noch ist Russland kein Mitgliedsstaat der Europäischen Union.

Es gibt eine enge Verbindung zwischen unseren Ländern – somit ist Russland schon ein Nachbar von uns.

 

Was werden wir Neues über unsere Nachbarn erfahren, was nicht eh bereits durch Erfahrungen positiv wie negativ besetzt ist?

Es wird ein unterhaltsamer Blick über den deutschen Tellerrand, rüber zu unseren Nachbarn. Wie denken die Menschen über uns, wie denken wir über die Bewohner des Landes? Wir testen, ob Klischees stimmen, die sich in unseren Köpfen verankert haben.

 

Solche eingefahrenen Vorstellungen können eine Menge anrichten in unserem täglichen Handeln.

Klischees haben eine unglaubliche Macht über uns. Sie formen unsere Gedanken. Sie bestimmen, wie wir über unsere europäischen Nachbarn denken, ohne dass wir die jemals besucht und uns ein eigenes Bild von ihnen verschafft hätten. Manche Zuschreibungen stimmen natürlich. Es gibt aber eben auch Vorurteile, die sich als falsch entpuppen. Es ist also wichtig, zu schauen, was wirklich los ist.     

 

Wenn ich weiß, dass Michael Kessler den Blick über den Tellerrand wagt, gehe ich davon aus, dass das ganze Format einen humoristischen Touch haben wird?

Natürlich. Da wir uns aber in der Redaktion Zeitgeschichte bewegen, haben wir zur historischen Absicherung Experten dabei, die bei der geschichtlichen Ableitung des Klischees zu Wort kommen. Für die Unterhaltung bin ich zuständig.

 

Wenn wir uns Großbritannien und Russland betrachten, bereiten uns diese beiden Länder im Moment ein politisches Kopfzerbrechen. Bewegt man sich da humoristisch nicht auf dünnem Eis? Es besteht aus meiner Sicht die Gefahr, die Probleme aus dem Blick zu verlieren.

Wir gehen in der England-Folge schon auf den Brexit ein. In der Russland-Folge gibt es ein hochinteressantes Gespräch mit drei Jugendlichen. Die erklären mir, wie es so ist, wenn man darüber nachdenken muss, wie man sich äußert, wie man bei Facebook schreibt oder was man postet. Das Denken ist belastet, wenn man nicht weiß, ob man Dinge so frei an- und aussprechen kann, wie man gerne würde. Meinungsfreiheit in Russland und Brexit wird als Thema gestreift, bildet jedoch keinen Schwerpunkt in der Sendung. Es gibt „Gott sei Dank“ noch viele Themen um diese politischen Problematiken herum. Aber wir werden sie nicht aussparen.    

 

Auch wenn der Michael dafür bekannt ist, dass er gutgelaunt durch die Weltgeschichte stolziert und Leute zum Schmunzeln oder gar zum Lachen bringt: Wie schwer fällt dir heute das Stolzieren?

Persönlich bin ich unglaublich traurig, dass die Briten aus der EU raus wollen. Vor Ort habe ich mit Befürworten und Gegnern gesprochen. Die Engländer sind schon ein wenig ein skurriles Völkchen, haben auf ihrer Insel stets ihr eigenes Süppchen gekocht. Von daher überrascht es mich nicht, dass sie die ersten sein wollen, die aus der EU austreten. Sie sind tief verwurzelt in ihrer Geschichte und ihren Traditionen. Wir können davon ausgehen, dass sie auch noch in 1000 Jahren links fahren werden. Und wenn man England betrachtet, kann man vielem durchaus mit einem Schmunzeln begegnen.

 

Könntest du mir bitte zu jedem Land ein Beispiel für ein Klischee nennen, das du aufklären konntest? Oder gab es gar eines, das uns am Ende verbindet?

Wir hegen schon viele Vorurteile gegenüber den Russen, genährt durch den Kalten Krieg sowie die sowjetische Besatzung. Auch ich konnte mich davon nicht freisprechen, weil ich noch nie im Leben in Russland war. Da ich absolut nicht wusste, was mich erwartet, plagte mich ein mulmiges Gefühl …

 

… und was hast du vorgefunden?

Man kommt da an und trifft auf viele hochgebildete Menschen, die sehr kritisch auf ihr Land schauen. Sie waren unglaublich herzlich, sind uns Deutschen am Ende höchst ähnlich, das hat mich überrascht. Was die Engländer betrifft, die haben einen großartigen Humor. Was mir nochmal so richtig klar geworden ist: Sie können unheimlich gut über sich selbst lachen. Dadurch gehen sie mit vielen Dingen mit einer größeren Leichtigkeit um als wir Deutschen. Die Italiener leben hingegen im „Hier und Jetzt“, während wir planen, was wir anstellen, wenn wir in 20 Jahren in Rente gehen. Die zeigen uns hierbei den Vogel, schieben nichts auf die lange Bank und machen sofort, was ihnen in den Sinn kommt.

 

Welchen Schluss ziehst du daraus?

Der Blick über den Tellerrand dient dazu, dass man voneinander lernt und profitiert. Das können wir aber nur, wenn wir uns selber ein Bild machen. Wenn wir die Länder bereisen und miteinander reden.

 

Das sind ja eher charmante Klischees, die du beschrieben hast. Aber gab es da nicht was, was sich auf deinen Reisen bestätigt hat? Denn es können ja nicht alle Schubladen falsch sein?

Ich führte ein Interview mit einem Historiker an der Kremlmauer. Es war ein Staatsdiener, der sich an die eingereichten Fragen hielt. Als ich wagte, eine zu stellen, die davon abwich, wurde das Interview augenblicklich unterbrochen. Eine Dame, die als Aufpasserin dabei war und das Ganze verfolgte, ging sofort dazwischen. Es wurde über eine halbe Stunde telefoniert und wir wurden ständig darauf hingewiesen, dass es sich nicht um Zensur handeln würde. Im Sinne von Presse- und Meinungsfreiheit war das ein Moment, wo ich sehr ins Nachdenken kam.

 

Michael, drei Länder habt ihr besucht. Werden weitere folgen? 

Nun ja. Fernsehen funktioniert ja so, dass man erst einmal schaut, ob den Zuschauern gefällt, was man produziert hat. Im zweiten Schritt überlegt man, ob man weitermacht. Theoretisch wäre es möglich, aber das steht zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht fest. 

 

Was mich stutzig macht: Wir fahren lieber an die Adria als ans Schwarze Meer. In beiden Ländern gibt es Mafia, Korruption und staatliche Eingriffe. Wenn man sich dann lieber auf den Weg nach Russland statt nach Italien macht, muss man das anderen gegenüber begründen. Warum?

Italien ist das klassische Urlaubsland. Vor allem ist es das Wirtschaftswunder- und Nachkriegsurlaubsziel der Deutschen. Das erste Fernziel, das wir angesteuert haben, wo bis zum heutigen Tag unwahrscheinlich viel Träume und Sehnsüchte rein interpretiert wurden. Und wenn der Kaffee, der Vino und das Essen gut schmecken, blendet man rasch alles andere aus.

 

Welches von den drei Ländern war für dich die größte Herausforderung?  

(Lacht) Russland. Minus 22 Grad Celsius in Sibirien. Das war eine Herausforderung. Selbst in Moskau herrschten 20 Grad unter null vor. Dazu kam die Sprache. Ich spreche auch kein Italienisch. Mit Englisch komme ich gut klar. In Italien bekommt man noch ein paar Wortfetzen mit. In Russland war dann Feierabend. Es wurde mir alles übersetzt, was die Personen sagten. Trotzdem ist es erst einmal eine völlig andere Welt.

 

Wie ist man eigentlich darauf gekommen, dich für eine solche Dokumentation als Reisenden zu besetzen?

Da muss ich weit zurück zum Format „Berliner Nacht-Taxe“. Wenn man so will, war es ein Zufall. Ein befreundeter Produzent von mir in Berlin sagte zu mir, dass es die Idee zu dieser Sendung gäbe. Er fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, nachts mit einem Taxi durch Berlin zu fahren, Leute zu treffen. Mein erster Gedanke war, dass ich Schauspieler bin. Die Idee fand ich allerdings spannend. Am Ende hat es funktioniert und weitere Formate wie „Kesslers Expedition“ und „Kessler ist…“ folgten.

Dann frage ich mal anders: Was macht den Michael aus, dass er für solche Formate ausgewählt wird?

Ich glaube, dass ich ein empathischer Mensch bin, der eine große Neugierde mitbringt. Ich möchte wissen, wie Dinge und Leute funktionieren. Ich habe Fragen, die mich brennend interessieren, kann gut zuhören. Letztendlich sind es einfache Zutaten. Ich bin weder Journalist noch Dokumentarfilmer. Ich verlasse mich auf meinen Bauch und meine Intuition.

 

Als Erstes fällt mir, wenn ich an Michael Kessler denke, die Figur „Klausi“ ein, die in „Manta Manta“ in einen Westernstiefel pinkelt. Hättest du dir seinerzeit je ausmalen können, dass so viele geile Produktionen und Dokumentationen folgen würden?

(Lacht) Auf keinen Fall. Ich war wie jeder Schauspielschulabgänger der Auffassung, dass ich Theater mache. Nix mit Kino. Nur die großen Bühnen. Man überschätzt sich in diesen Zeiten maßlos. Das Burgtheater oder die Schaubühne waren die erklärten Ziele. Vorgesprochen hat man dann in Wilhelmshaven. Aber wirkliche Pläne hatte ich nicht, außer die, die Theaterlaufbahn voranzutreiben.

 

Es folgten Theaterengagements und unzählige Film- und Fernsehproduktionen. Zurückblickend eine coole Sache?

Definitiv! Ich bin unglaublich dankbar dafür, dass meine Karriere so verlaufen ist. Ich habe mich dafür nicht verbogen und bin niemandem in den Arsch gekrochen. Ich bin straight geblieben. Habe stets das gesagt, was ich denke. Meine Gedanken sind beim Zuschauer, für den ich den Beruf ausüben darf. 

Ich habe immer versucht, spannende Projekte zu machen. Wobei es da Zeiten gibt, wo man sich das aussuchen kann, aber auch Durststrecken. Am Ende möchte ich, dass der Zuschauer etwas Neues erlebt, das nicht gestellt bzw. gefaket ist.

 

Danke für das Gespräch, Michael. Ich hoffe, wir finden demnächst mal Zeit, um über die Person Michael Kessler zu sprechen.

Danke dir. Wir werden das hinbekommen. 

INFO

Der 1967 in Wiesbaden geborene Schauspieler, Komiker, Theaterregisseur und Autor gewann vor allem durch Parodien bekannter Personen an Popularität. Seine Auszeichnungen mit dem „Deutschen Fernsehpreis“, dem „Deutschen Comedy Preis“ und dem „Adolf Grimme Preis“ verdankt er letztendlich seiner besonderen Gabe zur Wandlungsfähigkeit.

 

Ziemlich beste Nachbarn 

Was halten die Europäer voneinander? Wie sehen wir andere, und wie die anderen uns? Die Reihe „Ziemlich beste Nachbarn mit Michael Kessler“ geht diesen Fragen auf den Grund. Europas Vielfalt ist auch ein illustrer Reigen von Selbst- und Fremdbildern und mancher gegenseitiger Vorurteile. Michael Kessler macht sich auf die Reise, schaut nach, was dran ist an den zum Teil liebgewonnenen Klischees und prüft vor Ort, ob einige der Zuschreibungen nicht sogar eher verbinden als trennen.

Viele, viele weitere Infos zum Michael Kessler erfahrt Ihr am besten hier:

Autor Tom Feuerstacke / Illustration Thorsten Kambach

Erstmalig erschien dieser Text in Stadtgeflüster Interview

März 2019

​Alle Rechte bei Stadtgeflüster – das Interviewmagazin vom

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