Matthias Schneider und Claudia Maschner über wilde Ideen
WILD UND GESUND!
Ein Park, in dem sich jeder an kostenlosem, gesundem Essen bedienen kann. In dem sich Menschen treffen, um in der Natur von der Natur zu lernen. Egal, welche Religion, Weltanschauung oder politische Meinung sie haben – und was es sonst noch alles gibt, das Menschen voneinander unterscheidet. So einen Park gibt es schon in Mönchengladbach und Matthias Schneider möchte ihn auch in Münster haben. Die Idee fand ich super! Alter Falter, wo ist das Problem?
Meinst du, sie lassen diese Überschrift?
(Lacht) Weil dein Podcast so heißt? Soll das etwa die erste Frage sein?
Was sammelst du jetzt im Winter an essbaren Wildpflanzen?
Schon besser! Die meisten denken am Anfang, das ist nur ein Thema für den Frühling und Sommer. Aber „wild und gesund“, das geht ja zu jeder Jahreszeit, das ganze Jahr lang. Mindestens zwölf immergrüne Pflanzen findet man an vielen Stellen im Stadtgebiet. Viel Nelkenwurz, Schaumkräuter oder Vogelmiere zum Beispiel. Dazu kommen Baumknospen und Wurzeln, etwa vom Löwenzahn.
Wie verarbeitest du das Gesammelte?
Meistens verwildern die Pflanzen eine ordentliche Portion Salat. Also, zum Beispiel kommt an den einfachen Gurkensalat dann mindestens eine Handvoll Blätter. Später im Jahr auch viele essbare Blüten, angefangen bei Gänseblümchen und Löwenzahn bis zur Nachtkerze im Sommer. Ansonsten lassen sich daraus auch andere tolle Dinge zaubern. Leckere Brotaufstriche oder natürlich Smoothies. Aus den Haselkätzchen kann man ein eiweißreiches Streckmehl machen und vieles mehr.
Und die Wurzeln?
Die kommen mit Zwiebeln in die Pfanne oder feingeraspelt in den Salat. Da bringen sie jetzt im Winter die Energie der Pflanze auf den Teller. Ein absolutes Highlight ist gerade die Wurzel der Knoblauchsrauke. Sie schmeckt wie Meerrettich und bringt die entsprechende Schärfe mit. Außerdem nutze ich jetzt das, was ich im Sommer auf Vorrat gesammelt habe, wie etwa Brennnesselsamen. Entweder roh über den Salat gestreut oder angeröstet in der Pfanne. Da entfalten sie ein sehr angenehmes, nussiges Aroma und es duftet fantastisch.
Hört sich fast an, als müsste man sein Essen komplett zusammensammeln.
Nein, auch wenn wir von der Selbstversorgung mit essbaren Wildpflanzen sprechen, geht es darum, gesundes Essen zu ergänzen. Ich mache zum Beispiel gern Gerichte, in denen das Wilde bestimmte Zutaten ersetzt. So wie bei einer Brennnessel-Lasagne. Manches klingt vielleicht aufwendig, aber das ist es nicht. Man kann ja ein paar Tage auf Vorrat sammeln. Dann hat man jeden Tag ein bis zwei Hände voll wilde Zutaten.
Aber nicht gleich am Anfang.
Nein, als ich mit dieser Ernährung angefangen habe, waren es erst mal ein paar Blätter Löwenzahn im Quark. Die Menge sollte man langsam steigern, dann kann das Verdauungssystem sich umstellen und man merkt schnell, dass man sich besser und vitaler fühlt.
Du hast ursprünglich Maschinenbau studiert, wie kam der Abzweig ins Grüne?
Eigentlich fing alles mit einem Buch an, das ich geschenkt bekam. Es ging darum, welchen Einfluss unsere Ernährung auf typische Zivilisationskrankheiten hat. Nach dem Motto: Du bist, was du isst. Und die Frage, wie Gesundheit und Natur zusammenhängen.
Ein weites Feld.
Mich hat es jedenfalls gepackt. Danach kam die Ausbildung zum ärztlich geprüften Gesundheitsberater, in der es um Ernährung und auch um ganzheitliche Therapien ging. Seitdem kommt eins zum anderen. Meine erste Wildpflanzen-Wanderung war dann mehr ein Spaziergang über eine Wiese. Aber was es da alles zu entdecken und zu essen gibt, hat mich überwältigt und seitdem nicht mehr losgelassen.
Wirst du denn angesprochen, wenn du irgendwo in Münster sammelst?
Klar, wenn ich mit meinem Korb losziehe, fragen mich immer wieder Leute, wofür ich die Pflanzen sammle und was ich damit mache. Ich suche mir jeden Tag meine frische Portion Vitamine und Co. Natürlich nur da, wo es erlaubt ist. Schon bei diesen kurzen Begegnungen merke ich, dass die Menschen mehr über die Ernährung mit essbaren Wildpflanzen wissen wollen. Also, ich denke einfach, die Zeit ist dafür reif.
Warum?
Ich glaube, dass in jedem Menschen das Bedürfnis nach Naturverbundenheit angelegt ist. Bei vielen gerät es dann durch den stressigen Alltag und die Art zu leben ins Hintertreffen. Aber genau das scheinen einige Menschen wieder zu spüren. Sie merken, dass ihnen etwas im Alltag fehlt. Vor allem ist die Natur so reich an Geschenken. Es ist Zeit, sie einfach zu nutzen.
Deshalb hattet ihr die Idee, einen Verein zu gründen?
Genau! Das war vor zwei Jahren. Wir waren zu dritt und haben gemerkt, dass so eine Struktur hilfreich ist, wenn es mal um Pachtverträge oder Ähnliches geht. Das kannst du gar nicht als Privatperson stemmen. Wir haben ein Video gedreht, in dem wir unsere Idee vorgestellt haben, eine Homepage gebastelt und gehofft, dass sich Menschen melden.
Hat geklappt. Ich hab mich gemeldet.
(Lacht) Und noch ein paar andere, sodass wir den Ewilpa® Münster e. V. offiziell gründen konnten. Das war nicht einfach. Man glaubt ja gar nicht, was für Fallstricke es da so gibt. Aber formell ist jetzt endlich alles in trockenen Tüchern, ein hartes Stück Arbeit!
Dabei geht es eigentlich nur um die gute Idee?
Ja, wir hatten zum Beispiel eine tolle Fläche in Mecklenbeck in Aussicht. Da gab es sogar schon alten Obstbaumbestand, Wildobst- und Nusshecken. Auch die Kraut- und Staudenschicht hätten wir nur noch ein bisschen ergänzen müssen. Auf 4000 Quadratmetern!
Klingt klein, aber fein.
Für einen innerstädtischen Wildpflanzenpark wäre das super gewesen. Natürlich nicht zu vergleichen mit den großen Ewilpas in Kemnath-Waldeck, Benneckenstein (im Harz), Bad Pyrmont oder Bad Lippspringe. Da waren es vor allem die Gemeinden selbst, die eine konkrete Umsetzung vorangetrieben haben.
Für Kommunen hat so ein Park ja auch nur Vorteile.
Stimmt! Die hatten von der Idee gehört und wollten sie für ihre Stadt. Für die Einwohner, für mehr Biodiversität, für Natur- und Umweltschutz vor Ort. Letztlich auch für den Tourismus, also für ein gutes Image.
Schreckt vielleicht doch manche das Grundprinzip ab?
Die kontrollierte Verwilderung in einem Ewilpa hört sich vielleicht zu wild an. Aber in der Praxis bedeutet es ja auch weniger Pflegeaufwand als für andere städtische Flächen. Wiesen werden zweimal im Jahr gemäht, ab und an wird Gehölz zurückgeschnitten. Aber das würde ja der Verein übernehmen. Außerdem gibt es ein Wegesystem und ordentliche Beschilderungen.
Also kein Urwald?
Kein Urwald, aber ein Naturort. Und das machen andere Städte sich als Imagefaktor zunutze.
Wie schlau!
Finde ich auch. Und dazu kommt, dass du damit unglaublich viel ehrenamtliches Engagement entfachen kannst. Gewinnen tun ja alle: die Pflanzen- und Tierwelt, die sich da wieder zahlreich ausbreiten kann, und die Menschen. Diejenigen, die mit anpacken und die späteren Besucher.
Die dann lernen, welche Wildpflanzen sie essen können?
Wie man sie sicher erkennt, welche Verwechslungsmöglichkeiten es gibt. Was man damit Leckeres zubereiten kann. Und natürlich, warum das so gut ist für unsere Gesundheit. Warum sich also ein bisschen Mühe lohnt.
Warum denn?
Weil wir mit diesen Pflanzen ein Vielfaches an Vitaminen, Mineralstoffen und wichtigen Spurenelementen im Vergleich zum Kulturgemüse bekommen. Sie sind eben nicht gezüchtet oder gentechnisch verändert. Sie wurden nicht gedüngt und nicht mit Agrarmaschinen bearbeitet. Sie setzen sich mit ihrer Kraft genau da durch, wo sie die Bedingungen bekommen, die sie brauchen.
Regionales Essen also.
Außerdem saisonal und bio. Das ursprüngliche Wissen darum, was wir direkt aus der Natur essen können und was nicht, das ist verloren gegangen. In einem Ewilpa kann man es wieder lernen. Während meiner Ausbildung in Phytotherapie erfahre ich außerdem gerade einiges über die Heilwirkungen der Pflanzen und dass quasi für alles ein Kraut gewachsen ist. Eine umfangreiche Hausapotheke aus Tees, Tinkturen und Salben lässt sich sogar recht schnell und einfach herstellen.
Der Ewilpa wäre also auch ein grünes Klassenzimmer?
Genau! Es würde damit ein Lernort entstehen und vor allem ein Begegnungsort. Wo jeder etwas über die Natur und ihre Kräfte erfahren kann. Und „Jede/-r“ ist ebenso wichtig wie selbstverständlich. Ein Ewilpa ist immer ein Ort für alle Menschen, egal wo sie in ihrem Leben gerade stehen. Und es ist egal, welche Einstellungen oder Meinungen sie außerhalb des Parks trennen. Jeder ist herzlich willkommen, denn die Natur schließt niemanden aus, sondern vereint. Also ist jeder Mensch im zukünftigen Ewilpa eingeladen, die Pflanzenwelt hier zu erkunden und auch zu nutzen.
Wie wäre denn so ein Park in Münster organisiert?
Der gegründete Ewilpa-Verein würde als Pächter eines Geländes auftreten, das ihm zur Pflege und Nutzung überlassen wird. Ist es eine innerstädtische Lage, müssten wir über einen Zaun und Öffnungszeiten nachdenken. So ist es etwa in Mönchengladbach geregelt. Dort liegt der Park in einem sozialen Brennpunkt. Aber auch mit Zaun steht ein Ewilpa ja allen Menschen offen.
In Bad Pyrmont oder Bad Lippspringe ist das Gelände nicht eingezäunt.
Genau, dadurch wird der Gedanke der modernen Allmende, also des gemeinschaftlichen Eigentums, noch deutlicher. Und in diesen beiden Gemeinden haben wir eine viel größere Ausdehnung. Die Ewilpas bestehen dort aus mehreren Teilflächen, die durch einen kilometerlangen Rundweg miteinander verbunden sind. An einem Punkt gibt es dann eine Tagungsmöglichkeit. Diese könnte bei uns ein Tipi, ein Bauwagen oder eine einfache Überdachung sein.
Der Ewilpa als Treffpunkt?
Hier würden sich die Menschen treffen und nicht nur Wildpflanzen-Spaziergänge durch den Park mitmachen. Vielleicht gibt es in der Nachbarschaft eine Yogalehrerin, die keinen Kursraum hat, oder eine begeisterte Handwerkerin, die anderen zeigen möchte, wie man Körbe flicht. Oder einen Sozialpädagogen, der mit Jugendlichen arbeiten will. Ganz viele Menschen sind eingeladen, an diesem Ort auch ganz viele Ideen umzusetzen, die natürlich immer etwas mit der sie umgebenden Natur zu tun haben.
Wie geht es jetzt weiter?
Ich hoffe einfach, dass irgendwann mal jemand so etwas liest und sich sagt: „Da habe ich doch noch diese Streuobstwiese.“ Oder eine Firma, die eine Ausgleichsfläche für Baumaßnahmen braucht … oder, oder, oder. Es gibt so viele Möglichkeiten und vor allem wird damit so viel Gutes in Gang gesetzt.
Matthias Schneider
Er ist gebürtiger Saarländer und hat 2019 sein Masterstudium in Maschinenbau abgeschlossen. Seit 2020 ist er ärztlich geprüfter Gesundheitsberater (GGB) und macht zurzeit eine Ausbildung in Phytotherapie. Außerdem isst er jeden Tag eine Handvoll Wildes aus der Natur.
Autorin Claudia Maschner / Illustration Thorsten Kambach / Fotos Mathias Schneider
Erstmalig erschien dieser Text in Stadtgeflüster Interview Juli 2022
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