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Arndt Zinkant und Laurenz Kirchner über hohe Kunst mit Schelmenhut

KÜNSTLER, SCHELM UND MAHNER

Kunst ist Kunst und Spott ist Spott. Normalerweise. Aber immer wieder gibt es solche, die der Hochkunst gern ein subversives Grinsen aufmalen – wie Laurenz Kirchner, der alte Meister gern mit humorigen Zitaten ausstaffiert. Doch wenn es um (Atom-)Krieg geht, lässt der Zeichner, Maler und Bildhauer die Spottfeder beiseite. So auch 2020 bei seiner Performance am Domplatz, für die er zum 75. Jahrestag der Hiroshima-Bombe eigens eine Friedensglocke hatte gießen lassen.

Sie tragen offenbar zwei Seelen in Ihrer Brust – eine satirische und eine „l’art pour l’art“. Welche von beiden dominiert? 

Viele Leute glauben, dass Spott und Satire in der Kunst im Grunde ein No-Go sind. Als Privatperson die Dinge humorig hinterfragen – bitte schön, aber die hohe Kunst soll doch lieber ernst bleiben! Auf der anderen Seite: Wenn man einfach ein harmonisches, stimmiges Landschaftsbild oder eine ästhetische Skulptur schafft, ist das vielen wiederum auch zu wenig. Diesen Dogmatismus finde ich schade. Sofern eine künstlerische Idee und die Ausführung Qualität haben oder sogar nur eines von beiden, dann ist das absolut respektabel. 

 

Zu Ihrer engagierten Kunst zählt die Installation auf dem Domplatz im Jahr 2020, die an den Abwurf der Hiroshima-Bombe gemahnte. Wie kam es zu diesem Projekt? 

Eines Tages dachte ich mir: Was kannst du eigentlich bewirken? Normalerweise beschränkt man sich ja auf seine Bilder, die beim Betrachter im besten Fall Anklang finden. Hin und wieder erhofft man sich aber doch, mit einem Kunstwerk die Leute zu inspirieren oder wachzurütteln. Sicher, ein hohes Ziel – aber man kommt doch um die vielen Probleme in der Welt, die einer Lösung bedürfen, nicht herum. Und diese Probleme wiederholen sich ja auch immerfort. So kam ich auf die Hiroshima-Installation am Domplatz. 

 

Die sehr ernst war. In Ihren Bildern gibt es dagegen öfters humorige Bezüge zur Hochkunst, zum Beispiel zu Caspar David Friedrich. Vor dessen berühmtes „Nebelmeer“ haben Sie zum Beispiel Eric Clapton gemalt. Oder ein Martin-Luther-Porträt mit dem Helm von Darth Vader. 

Ich versuche in solchen Fällen, einen individuellen Kommentar zu diesen berühmten Bildern abzugeben. Eine mal lustige oder auch ernste Ergänzung, wenn man so will.

 

Beispiel Luther – sehen Sie in ihm denn eine Art „dunklen Lord“?

Für die Mehrzahl der damaligen konservativen Katholiken war er mit Sicherheit ein dunkler Lord – eine Unperson, die man sogar gerne als Ketzer hingerichtet hätte. Auf dem damaligen Gebiet Deutschlands hatten die Kurfürsten das Sagen und konnten bestimmen, welches Gebetbuch das Volk nutzen musste. Aber natürlich halte ich ihn nicht für einen Schurken. Luther war zu der Zeit überfällig. Es herrschten haarsträubende Bedingungen in der katholischen Kirche – man denke nur an den Ablasshandel, welcher die Seele durch Geldzahlung angeblich vor dem Fegefeuer bewahren sollte. Bezahlt wurde aber nur der luxuriöse Lebenswandel der Kirchenfürsten. 

 

Satirische Zeichner jenseits der Zeitungskarikatur gab und gibt es ja nur wenige. Aus dem Stand fallen mir nur zwei ein: Hans-Georg Rauch und Tomi Ungerer. Welchem stehen Sie näher? 

Bei Rauch fasziniert mich die detaillierte Zeichentechnik mit der Tuschefeder – wahnsinnig gut! Ungerer hingegen machte oft derbe und deftige Späße. Alleine diese erotischen Froschgeschichten! An so kreative Köpfe wie diese beiden kann man eigentlich kaum heranreichen. Früher gab es allerdings auch nicht so viele Möglichkeiten, in die Öffentlichkeit zu gehen. Wenn man keine Ausstellungen organisiert bekam, schaute man dumm aus der Wäsche. Dafür brauchte es Geld und Beziehungen. Heute hat man dagegen die Möglichkeit, sich sogar mit einem bescheidenen Budget bekannt zu machen. 

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Wie beurteilen Sie den heutigen Kunstbetrieb? Tummeln sich da zu viele „Engagierte“?

Es gab noch nie so viele unterschiedliche Stilrichtungen wie heute. Und auch noch nie so viele Möglichkeiten, sich kreativ auszudrücken, das muss man einfach sagen. Aber die Vermarktung, die darüber bestimmt, wer nach oben kommt und wer nicht – das ist ein echtes Problem. Das war allerdings auch früher schon so. Wenn man Glück hatte, traf man den Nerv der Zeit. Wenn Sie dann noch jemanden finden, der Sie vermarktet, haben Sie gewonnen. Das gelingt maximal drei bis fünf Prozent der Künstler. Manchmal denkt man sogar im Museum vor einem Bild: Das wäre mir auch eingefallen! Oder sogar: Das könnte ich besser! Jedenfalls: Die Künstler wollten sich zu jeder Zeit einfach ausdrücken und ihre eigenen Ideen von der Welt verwirklichen. Das tut man dann mit einem Bildnis oder auch mit einem Musikstück – denn die Sprache reicht bei Weitem nicht aus.  

 

Sie arbeiten in verschiedenen Techniken und Genres – welche bevorzugen Sie?

Das hängt vom Thema ab. Manchmal würde ich gern alle Sachen parallel machen, aber das geht zeitlich natürlich nicht. Bei einer Skulptur müssen Sie erst die Gipsform erstellen; bei einer Bronzeskulptur alles erst in Ton modellieren, dann die Ton- und Silikonformen entfernen, danach müssen Sie es mit Wachs auspinseln und schließlich die Wachsfigur in die Bronzegießerei bringen. Am Ende muss dann die fertige Bronzefigur noch einmal nachbearbeitet werden. All das erfordert viel Zeit. Bei einer Zeichnung geht alles vergleichsweise schneller. Also am liebsten hätte ich immer alles gestern fertig. (lacht)

 

Anfangs studierten Sie ja bei Ihrem Vater, dem Künstler Heinrich Kirchner. 

Das hat sich damals einfach so ergeben. Wir waren zu Hause drei Geschwister, da musste einer aus dieser Dreiergruppe heraus, damit meine Mutter uns leichter aushalten konnte. Da haben sie natürlich den Temperamentvollsten genommen: mich. Ich kam dann also ins Atelier meines Vaters, dort sah ich Materialien aus Stein, Holz oder Bronze, durfte zuschauen oder auch einmal was kneten und modellieren. Und ich hatte immer eine direkte Möglichkeit, mir Rat zu holen, sei es bei einer Bleistiftzeichnung, einem Aquarell oder sogar einem Ölbild.

 

Hatten Sie noch andere Lehrmeister?

Als ich 1976 Abitur machte und ernsthaft überlegte, Kunst zu studieren, war Gegenständliches nicht gefragt. Joseph Beuys und Konsorten diktierten die Richtung. Ich hätte also mit meinen Sachen, die Sie hier sehen, keine Chance gehabt – weder in Münster noch in Düsseldorf. Viele Künstler an den Akademien waren seinerzeit gar nicht in der Lage, das künstlerische Handwerk zu unterrichten. Von einem Professor an einer Akademie müsste ich aber eigentlich erwarten dürfen, dass er mir alle technischen Kniffe beibringt. Wenn Sie Musik studieren, müssen Sie schließlich auch ein oder zwei Instrumente sehr gut beherrschen. 

 

Bei Ihren Porträts fällt auf, dass Sie das Aquarell bevorzugen. Was ja eher selten ist. 

Das liegt einfach an der knappen Zeit. Ich würde durchaus gerne Porträts in Öl erstellen, aber dafür braucht man die drei- bis zehnfache Zeit. Sie müssen die verschiedenen Schichten ja erst trocknen lassen. Wenn man etwa in einer Woche etwas fertig bekommen möchte, braucht man mit Öl gar nicht erst anzufangen. Bereits die Grundierung trocknet über zwei Wochen. Ein Aquarell geht viel schneller, verzeiht aber so gut wie nichts. Wenn Sie da einen Fehler machen, ist er nur sehr schwer auszubügeln. 

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Noch mal zu Ihrer Hiroshima-Kunstaktion auf dem Domplatz: Welche konkreten Hoffnungen verbanden Sie damit? 

Der Anlass war seinerzeit der 75. Jahrestag des Abwurfs der ersten Atombombe. Und das Bestürzende ist ja, dass die Rüstung nach wie vor eine große, unheilvolle Rolle spielt. Russen und Amerikaner verfügen nach wie vor über Tausende Atomsprengköpfe. Der Iran möchte ebenfalls eine Atombombe, Pakistan hat sie schon und Indien auch. Die Menschen müssen sich vor Augen halten, was dies für eine Kettenreaktion auslösen könnte, wenn irgendjemand mal durchdreht! Hinzu kommt das Problem: Selbst wenn eine großflächige Abrüstung stattfände, so ist der Bauplan für die Bombe ja nach wie vor in der Welt. 

 

Aus dem Projekt ist auch ein Buch hervorgegangen, das die Aktion erläutert und Sie als Künstler vorstellt.

Ich wollte all die verschiedenen Facetten dieses Themas genauer beleuchten, und so kam es gemeinsam mit dem Journalisten Peter Sauer zu dem Buchprojekt „Bodennullpunkt“. Der Lockdown hatte uns damals die nötige Zeit verschafft, sonst hätten wir das Buch womöglich gar nicht in Angriff genommen. Ich kannte Peter Sauer, weil er über mich und meine Arbeit bereits Artikel geschrieben hatte. Und so entstanden damals tatsächlich innerhalb von gut zwei Wochen die Texte und auch diverse Bilder, die ich eigens für das Buch gezeichnet habe.

 

Bei öffentlichen Lesungen von Ihnen beiden kam die Frage auf, ob Satire heute eine gefährliche Kunstform sei. Man denke an den Islam in Frankreich, an Charlie Hebdo und den ermordeten Lehrer Samuel Paty. Halten Sie dergleichen in Zukunft auch bei uns für möglich? 

Ja, das wird bei uns auch immer wahrscheinlicher. Die Gewaltschwelle wird immer niedriger, und wenn manche Leute sich im Recht glauben, eskaliert es immer schneller. Natürlich sollte man niemanden beleidigen, auch als Künstler nicht – aber es gibt nun einmal die Freiheit der Kunst. Und es darf nie dahin kommen, dass Künstler oder Journalisten wegen ihrer Arbeit angegriffen oder gar ermordet werden. Übrigens: Leute, die Humor haben, werden nie gewalttätig – weil sie die Fähigkeit besitzen, sich selbst infrage zu stellen. 

 

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INFO

Laurenz Kirchner

Erste Ausbildung im Atelier seines Vaters, des Kunstbildhauers Heinrich Kirchner. Seit 1989 eigenes Atelier in Angelmodde, seit 2003 in Münster. Laurenz Kirchners vielseitiges Schaffen umfasst Malerei, Skulptur oder Installationen – und: satirische Zeichnungen zu Politik und Gesellschaft. Im Zuge seiner „Hiroshima-Performance“ zum 75. Jahrestag des Atombombenabwurfs entstand 2020 auch das Buch „Bodennullpunkt“ (Agenda Verlag) mit Texten von Peter Sauer.

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Autor Arndt Zinkant / Illustration Thorsten Kambach / Fotos Pressefotos

Erstmalig erschien dieser Text in Stadtgeflüster Interview März 2022

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