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Tom und Christoph Daum bewegen sich verbal am Limit


Er kam aus dem nichts und war eigentlich schon immer da. Meint man. Er teilte mächtig aus. Gute Nehmerqualitäten hat er immer bewiesen. Er ist ein Fachmann seiner Arbeit und sammelte unendlich viele Titel. Er war vermutlich der Einzige, der den Dauerzwist mit Uli Hoeneß einging. Es sah so aus, als könnte diesem steilen Weg nichts im Wege stehen. Bis zum größten Fehler seines Lebens, der ihn mächtig stürzen ließ. Doch er fand die Kraft aufzustehen, auch wenn ihn die Geschehnisse noch heute verfolgen. Der leidenschaftliche Fußballexperte ist in jeder Situation Mensch geblieben.

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ZWISCHEN GRENZGÄNGER UND PROVOKATEUR

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Christoph, dein bisheriges Leben in einem Buch „Immer am Limt. Ein Wunder, dass das passt. Wie kamst du und Nils Bastek auf die Idee, eines zu schreiben und dann noch ein Bestseller?

Eigentlich wollte ich nie eine Biografie über mich verfassen. Nils Bastek hatte dann die Idee, dass wenn wir kein Buch schreiben wollten, wir mal so tun sollten und ein Probekapitel verfassen würden. Viele Personen, die dieses Kapitel gelesen haben, waren davon sehr beeindruckt. Nach diesem Feedback haben wir uns hingesetzt und eine Stoffsammlung erstellt. Das waren 1000 Seiten und immer noch relativ wenig, was mein Leben anbelangt. Ich weiß überhaupt nicht, ob mein Leben zwischen zwei Buchdeckel passt. Eigentlich braucht man dafür mindestens eine Trilogie. Es kam die Frage auf, wie wir einige Dinge schreiben. Entsprechen diese auch der Wahrheit oder unterliegt man da dem Erinnerungsoptimismus? Außerdem war es wichtig in diesem Buch, das viele Wegbegleiter zu Wort kommen und gehört werden. Wie gesagt 100 Manuskriptseiten und Herr Bastek hat sich dann daran gemacht, dass ganze runter zu schreiben in ein Buch und das ist ihm wirklich gut gelungen.

 

Wie würdest du das Buch beschreiben?
Er gibt Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt des Fußballs. Es ist eine Perspektive, die es vorher in dieser Form noch nicht gegeben hat.

Und nun ist es direkt mit der ersten Auflage ein Spiegel-Bestseller geworden?

Es war nicht das Ziel, dass es ein Spiegel-Bestseller wird. Wir haben uns nur damit beschäftigt, dass die Leser gut unterhalten werden. Wir sind auf Bereiche eingegangen, die einem Leser noch nicht gezeigt wurden. Wenn du weißt, dass dieses Jahr 7000 Bücher erschienen sind, davon unzählige Biografien, dann brauchst du nicht davon ausgehen, dass es ein Bestseller wird. Dass es einen guten Lesekreis gefunden hat, ist ein klein wenig Anerkennung, für die gute Arbeit die Nils Bastek geleistet hat.

Okay. Sportbücher landen selten bei den Bestsellern. Neben allen Erfolg, den Christoph Daum als Trainer hatte, ist sein Buch nun auch top. Das zeigt, du bist den Leuten immer noch präsent?

Unsere Intention war es nicht, ein neues Bild von mir zu zeigen. Sondern vielmehr Einblicke in den Fußball zu geben. Dass es nicht nur um Zahlen und Gehälter geht. Es geht um zwischenmenschliche Beziehungen. Konflikte, die der Fußball mit sich bringt und um Druckbewältigung.

Was hat dieses Schreiben mit dir gemacht?
Es hat sehr viel Zeit gekostet, die ganzen Archive, die ich habe, durchzuarbeiten. Das gibt es in dieser Form kein zweites Mal im deutschen Fußball und Nils Bastek hatte das Glück, darauf zurückgreifen zu können.

Archive, die was beinhalten?

Diese Archive beinhalten alle Treffen, Vorstandssitzungen, Spielerverpflichtungen. Auch private Gespräche wurden von mir akribisch abgeheftet. Das ist ein unheimlicher Fundus, der 40 Jahre umfasst.

Aber das Buch muss doch was in dir bewegt haben?
Was hat es mit mir gemacht. Ich konnte nochmal Phasen meines Lebens durchleben. Habe Freud und Leid nochmal erlebt. Es war eine Achterbahnfahrt durch vergangene Tage.

Ich habe dich vor Wochen bei Lanz gesehen. Wie sehr nervt es dich, dass du nur auf einen kleinen Bereich festgelegt wirst, der 2000er-Affäre?

Wie viele andere Menschen habe auch ich in meinem Leben vieles gut gemacht und vieles falsch. Ich kann aber, wenn ich über mein Leben spreche, nicht nur das Gute erwähnen. Ich muss auch zu Fehlern stehen, Verantwortung dafür übernehmen und darüber sprechen. Mein Leben ist nun mal in Stein gemeißelt und lässt sich nicht ausradieren. Und einem Journalisten kann ich nicht verübeln, wenn er diese Dinge anspricht. Das diese Reduktion in den Interviews der letzten Jahrzehnte meiner Person nicht entspricht, das finde ich nicht gut. Es stört mich auch. Das wird meiner Person nicht gerecht. Aber wie so oft im Leben. Du kannst zehn Dinge gut machen. Die fallen aber hinten runter, wenn du dir nur einen Fehler leistest, den du im Nachhinein sogar korrigiert hast. Der ist dann gerne der Aufhänger für Gespräche. Ich habe gelernt, damit umzugehen.

Welche von den Geschichten in deinem Buch haben dich besonders aufgewühlt?

Die eine Geschichte wird vielen tollen Erlebnissen nicht gerecht. Natürlich war ein absolutes Highlight der Gewinn der ersten gesamtdeutschen Meisterschaft mit dem VfB Stuttgart. Die ganzen Tage der Vorbereitung auf das Saisonfinale nochmal zu erleben. Sich nochmal bewusst zu machen, welche ausgewöhnliche Leistung das war. Das war ein hochemotionaler Moment. Oder wie ich als junger Trainer im Trainingslager in Israel war und die Mannschaft den Zapfenstreich überzogen hatte. Das Team selber hatte ein Straftraining angesetzt. Da wusste ich, dass eine gute Mannschaft zusammengewachsen war. Das sind tolle Momente in meiner Trainerkarriere. Das war spannend und ein schöner Moment.

 

Du bist ein total akribischer Arbeiter. Du bist ein Motivator. Stehst ständig unter Strom und gehst verbal auch gerne über das Ziel hinaus. Wie verträgt sich das?
Mit akribischer Arbeit kannst du dich nicht 40 Jahre im Fußball halten. Viele Kollegen sah ich kommen und gehen. Wenige waren lange im Fußballgeschäft dabei. Das geht nur mit Fach- und Kommunikationskompetenz. Das muss man jeden Tag vorleben und umsetzen. Der eine oder andere medienwirksame Schlagabtausch, provokative Aussagen und ergreifende Interviews wurden immer mehr in den Mittelpunkt gestellt. Es ist ja auch interessanter, als am Montag zum 47. Mal ein Tor vom letzten Spieltag zu analysieren.

1000 Pflichtspiele als Trainer stehen bei dir in der Vita. Was ist das Spiel, das du sofort streichen würdest, wenn du könntest? Ich meine das eine Spiel, welches dich heute in deinen Träumen noch verfolgt?
Da gibt es einige. Das Rückspiel mit dem 1. FC Köln gegen Juventus Turin. Nach einem guten Hinspiel bei den Italienern mit einer 3:2-Niederlage, hätte uns ein 1:0 in Köln gereicht, um ins Finale einzuziehen. Auf uns hätte Florenz im Finale gewartet. Die hatte ich mir vorher angeschaut und wir hätten den UEFA-Pokal gewonnen. Das dringend benötigte Tor haben wir vor heimischer Kulisse nicht erzielt. Es gab ein torloses Remis. Wir waren nicht im Finale. Das hat mich schon sehr berührt. Mit Bayer Leverkusen hatten wir eine sehr gute Saison gespielt und dann in Unterhaching auf der Ziellinie die Meisterschaft verpasst. Wir hatten im letzten Spiel gegen die Spielvereinigung verloren. Das hat verdammt weh getan. Das sind Spiele, die haben sich eingebrannt.

Wie lange brauchst du, um sowas abzuschütteln?

Du musst dir Techniken zu Eigen machen, so genannte Resilienz-Techniken angewöhnen. Du musst halt einmal mehr aufstehen, als du hingefallen bist. Du musst schnell aus der Opferrolle in die Rolle des Handelnden reinkommen. Im Fußball hast du das nächste Spiel, die nächste Herausforderung. Die muss ja wieder erfolgreich gestaltet werden. Die Erinnerungen bleiben. Sie sind aber in gewisser Weise die Antriebsmotoren, um es in Zukunft besser zu machen. Sie gehören zu Leben dazu. 

 

Mir bleibt mit deinem Namen dein Wechselfehler in Leeds immer in Erinnerung. Weißt du noch, was da vorgefallen war?

Ich hatte einen vierten Ausländer eingewechselt. Wechselfehler haben vor mir schon andere Trainer gemacht. Ich bin da keine Ausnahme.
 

…aber deiner ist mir in Erinnerung geblieben… 

…bei mir wurde das Ganze nur extrem aufgebauscht, weil ich als Person immer polarisiert habe. Bei anderen Trainern wurde das in einer kleinen Meldung als Kavaliersdelikt abgetan, während es bei mir eine große Geschichte wurde.

Aber so klein war das Ganze nicht, wenn man da heute noch drüber liest?

In Leeds war es so, dass ich nach dem Spiel auf die Pressekonferenz ging und alle Journalisten, die später über mich hergefallen sind, gratulierten mir zum Weiterkommen. Es war eine Superstimmung. Nichts deutete darauf hin, dass etwas schiefgelaufen sein könnte. Erst als ich nach einer halben Stunde in die Kabine kam, bemerkte ich eine gewisse bedrückte Stimmung und fragte mich, was da los sei. Der Geschäftsführer nahm mich zur Seite und sagte mir, wir hätten einen Wechselfehler begangen. Welcher Wechselfehler fragte ich mich. Der Spielbericht mit 16 Spielern wurde doch von der UEFA nicht beanstandet. Es gab eine neue Regel und die Kenntnis erlangte ich erst weit nach dem Spiel. 

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Der vierte Ausländer?

So eine Neuerung übersehen zu haben, hat mich total runtergezogen. Als ich im Flugzeug saß, dachte ich, dass ein Flugzeugabsturz nicht schlimmer sei als dieser Wechselfehler. 

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Wenn man dein Buch liest, sind da Storys, die man nicht glauben mag. Ein Clubbesitzer kennt die Namen seiner Spieler nicht. Mit der Kalaschnikow auf dem Weg zur Vertragsunterschrift. Hausbau in 24 Stunden und Privatlehrer für die Kids. Sind das Geschichten, die nur einem Christoph Daum passieren können, oder sind die auch anderen Trainern passiert?

Ja das glaube ich. Ich bin da keine Ausnahme. Die Frage ist, ob alle anderen das auch so abgespeichert haben. In Gesprächen erlebe ich schon, wie abenteuerlich anmutende Geschichten erzählt werden.

Als der der Nils mir erzählte, dass er ein Buch über dich schreibt, war mir sofort klar, der Daum kann Geschichten erzählen. Wenn jemand sagen würde, dass er ein Buch über Jupp Heynckes verfasst, würde ich mich fragen; welche Geschichten will der denn erzählen, so leise wie sein Wirken ist? 

Das ist falsch. Jupp würde einfach viele Geschichten nicht erzählen, die er erlebt hat. Du musst dir mal vorstellen, du gewinnst mit Real Madrid die Championsleague und bist bereits entlassen. Was für Dinge müssen sich darum abgespielt haben. Wenn Jupp Heynckes das erzählen würde, gäbe es auch großes ungläubiges Kopfschütteln. Er hat diese Geschichten halt nicht erzählt und ich schon.

Du hast dir mit Uli Hoeneß im aktuellen Sportstudio ein legendäres Scharmützel geliefert. Ab wann war dir klar, mit wem du da aneinandergeraten warst?
In dem Moment war mir das nicht bewusst. Das wurde mir erst in den Tagen danach klar, als ich eine Menge Anrufe bekam mit der Frage, wie ich mich nur mit Uli Hoeneß Anlegen konnte. Das könne mein Karriere-Killer werden. Aber als ich mich seinerzeit mit ihm auseinandergesetzt habe, wolle ich nur das Beste für meine Mannschaft. Ich habe nicht an die Konsequenzen gedacht. Ich habe überhaupt nicht eingesehen, dass man Bayern München freiwillig die Meisterschale während der Saison zuschicken wollte. Wenn ich am Wettkampf der 1. Bundesliga teilnehme, dann will ich alles in die Waagschale werfen, um deutscher Meister zu werden. Und ich habe mir von niemandem einreden lassen, dass wir nicht dazu in der Lage sind. Also schlussendlich war ich in der Sendung sehr angriffslustig. 

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Hast du es jemals bereut, dass es so ausgeufert ist in der Sendung?
Bereuen bringt doch nichts. Ist doch vorbei. Es ist raus. Es ist wie verschüttete Milch. Die bekommst du auch nicht mehr in die Tüte. Es geht nur darum, wie ich in Zukunft etwas besser machen kann. Natürlich war das keine Werbeveranstaltung für die Seriosität des Sports. Es war aber eine Werbeveranstaltung für die Emotionen. Heute traut sich doch niemand mehr, aus dem Rahmen zu fallen. Alles ist weichgespült. Überall der Hintergedanke, nichts zu sagen, mit dem man angreifbar wird. Lieber tiefer stapeln, als höhere Ansprüche zu stellen. Zu meiner Zeit damals habe ich mich einen feuchten Kehricht darum gekümmert. Ich war einfach authentisch. 


Du musst aber regelmäßig richtigstellen, dass Hoeneß deine Kokaingeschichte nicht lanciert hat?

Es liegt nicht in meinem Verantwortungsbereich, warum das so dargestellt wird. Er hat seiner Zeit festgestellt, dass wenn die Gerüchte um mich stimmen würden, ich nicht Bundestrainer werden könne. Die Munition war da und wurde durch Gerüchte gerne verbreitet. Es gab so viele Menschen, die mich verleugnet hatten, die sich aus allen Ecken in die Öffentlichkeit gedrängt haben. Bei einem möglichen Bundestrainer sind solche Gerüchte viel bedeutender als bei einem normalen Trainer. Und Ulli Hoeneß war der Auffassung, dass es Zeit wäre, reinen Tisch zu machen, um das Amt des Bundestrainers zu schützen.

Und dann dieser Test, der ein Beben auslöste?
Mit Drogen hatte ich nie was am Hut und der vereinzelte Konsum war so lange her, dass ich einer Haarprobe zustimmte. Im Vorfeld hatte ich mein Haar schon testen lassen und der Befund war negativ. Von daher konnte es ja nur ein Schluss geben. Und dann kamen dieses unglaubliche Ergebnis und der damit folgende mediale Crash. Man hatte seinen Schuldigen und mit Uli Hoeneß den Retter des Amtes. Das passte in die gesamte Berichterstattung.

Christoph, diese ganze Geschichte wirkt doch wie ein Thriller, mit dem Ziel, dir zu schaden?

Also ich kann nur auf das Gerichtsurteil verweisen, was besagt, dass diese ganze Haaranalyse äußerst fehlerhaft durchgeführt wurde. Es konnten durchaus die Haare von außen kontaminiert werden. So hätte dann auch Kokain nachgewiesen werden können. Ich bekam meinen Freispruch. Aber zu sagen, wie es dazu kommen konnte, das entzieht sich meiner Kenntnis.

Echt jetzt?
Ich habe mir natürlich auch oft die Frage gestellt, nach dem Warum. Aber eine Antwort habe ich nicht gefunden. Der Dilettantismus bei der Durchführung des Tests, ist das Einzige, was verwertbar vor Gericht festgestellt wurde. Für konspirative Theorien habe ich überhaupt keine Anhaltspunkte.

Mit dem Uli kannst du aber wieder ganz normal reden?
Ich würde sagen ja. Wobei wir nie privaten Kontakt hatten. Alles geschah immer in der Öffentlichkeit. Es gab nur ein Telefonat, wo ich eine gänzlich anderen Uli Hoeneß kennengelernt habe. Mittlerweile gab es noch ein paar Telefonate. Und wenn sich diese Corona-Situation gelegt hat, dann wird es auch ein Treffen geben. 

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Wo ständest du heute, wenn es diesen Tag im Jahre 2000 nicht gegeben hätte?
Das ist spekulativ. Von den Titeln her habe ich nach den Ereignissen meine erfolgreichste Zeit als Trainer erlebt. Allerdings im Ausland. Vielleicht wäre ich der ganz Große im Weltfußball geworden. Diese Karriere ist mir verwehrt geblieben. Aber wie gesagt. Alles ist spekulativ. 

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Christoph, wenn man dich so reden hört, wie du für den Fußball brennst, muss ich zum Schluss fragen, ob wir dich nochmal auf der Bank sehen?
Ausschließen kann ich das nicht. Ich halte es wie Trapattoni, ich habe noch nicht fertig. In welcher Form kann ich jetzt noch nicht sagen. Anfragen aus dem Ausland gehen noch immer ein. Ich bin in der komfortablen Situation auch absagen zu können. Aber sicherlich bin ich bereit, in welcher Funktion auch immer, im Fußball aufzutauchen.

Danke, Christoph, für diese Einblicke. Bleibe gesund.

Ich danke dir für das tolle Gespräch.

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INFO

Der diplomierte Spotwissenschaftler wurde 1953 in Zwickau geboren. Als einer der erfolgreichsten und schillerndsten Bundesligatrainer begeisterte er unzählige Fans des Runden Leders. Seine Feuer der Begeisterung für den Fußball brennt noch heute.

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Autor Tom Feuerstacke / Illustration Thorsten Kambach

Erstmalig erschien dieser Text in Stadtgeflüster Interview Februar 2021

​Alle Rechte bei Stadtgeflüster – das Interviewmagazin vom

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