Thorsten Kambach sitzt im Lütkes, der Tapas Bar von Yassin und Simo
WER YASSIN SAGT, MUSS AUCH SIMO SAGEN
Ich sitze im Lütkes, der Tapas Bar von Yassin und Simo. Die beiden Brüder kennen die meisten aus dem münsteraner Stadt- und Nachtleben, da sind sie bekannt wie Lambertikirche und Prinzipalmarkt. Im Juni haben die beiden ihren Laden eröffnet und sie passenderweise nach dem Straßennamen benannt, der Lütken Gasse. Das ist auf der Rückseite des Mocca´dors, parallel zur Rothenburg, also beste Lage. Ich möchte heute nachfragen, wie der Laden läuft. Darum sind wir verabredet. Ich habe natürlich etwas Hunger mitgebracht – und das passt, denn der kleine Laden riecht köstlich nach Roter Beete. Simo bereitet damit gerade was in der Küche zu und Yassin meckert im Hintergrund. Also alles sehr lebendig. Ich warte und warte und …
Was riecht so lecker?
Simo (aus der Küche): Hier, koste mal.
Lecker, Rote Beete! Kommt Yassin auch noch? Wäre super, wenn ihr beide dabei seid beim Interview.
Yassin (von der Terrassentür): Dachte, du schreibst schon.
Nein, das mache ich meistens nach dem Interview.
S: Yassin, was machst du da?
Y: Ich muss alles vorbereiten. Alles. Alles!
Sollen wir das Interview später machen?
Y: Nein. Soll ich mich dazu setzen?
Wäre gut.
S: Wir sind vollzählig.
Das Lütkes gibt es seit Juni. Wie läufts?
S: Es läuft sehr, sehr gut. Eigentlich hatten wir geplant, eine Undercover-Eröffnung zum Üben zu machen. Aber von der Eröffnung an durch die gesamte Eröffnungsphase war klar: uns kennen alle. Und alle kamen.
Wie lange dauerte die Eröffnungsphase?
S: Sechs Wochen – zu einer Zeit, wo wir Personalmangel hatten! So mussten Yassin und ich die ganze Zeit selber ran, zu zweit.
Hat das zu Ärger geführt?
S: Wir sind ein kleiner Laden, der für vierzig Leute gedacht ist. Wenn da über hundert stehen, ist das eine harte Nummer. Da gibt es auch mal Ärger.
Yassin: Das ist der Preis des Erfolges. Wir können froh sein, dass wir Brüder sind, wir wissen im Stress miteinander umzugehen; der ist bei uns so schnell vergessen, wie er hochkocht. So ist das mit Gefühlen, die sind bei Brüdern super untergebracht.
S: Jetzt kommt die Normalität rein, Alltag und Routine. Gott sei dank.
Y: Für uns ist wichtig, dass wir hier selber stehen und für die Gäste da sind. Die erhoffen sich das, wenn sie herkommen. Sie besuchen zwar das Lütkes, aber sie wollen zu uns.
S: Trotzdem wollen wir Aushilfen haben, es geht nicht anders. Wir müssen mit unseren Kräften haushalten, dürfen nicht verglühen, wir sind nur zwei Menschen und unser Tag hat auch nur 24 Stunden.
Du haust eine Floskel nach der anderen raus.
S: Aber es stimmt: auch wir brauchen Schlaf. Letzte Nacht habe ich schon wieder nicht geschlafen. Das muss sich einspielen. Darum brauchen wir Aushilfen.
Y. Damit wir auch mal wieder einfach ins Kino gehen können oder in die Baumberge oder fernsehen. Ohne uns zu hetzen.
Ich kenne euch beide ursprünglich vom Aasee vom A2. Habt ihr dort das Handwerk gelernt?
Simo (lacht): Das haben wir da fast verlernt! Gelernt hatten wir das vorher, wir kamen voll ausgebildet da an.
Yassin (lacht).
Wir sagen ja zu gutem Essen
Simo, wie lange warst du im A2?
Simo: Neun Jahre, hauptsächlich Außenbereich. Vorher habe ich studiert, nebenher im Extrablatt gejobbt, dann war ich festangestellt und bin bis zum Betriebsleiter aufgestiegen. Damals hatte ich erstmalig die Idee mit unserer Tapasbar. Wir wollten das Restaurant Cadaques übernehmen.
Yassin: Da, wo heute Krawummel stattfindet.
Simo: Ich war noch Student und hatte nicht das nötige Kapital. Obwohl der Herr, der uns das Cadaques vermieten wollte, einen super Preis gemacht hat. Ich hatte meine Chefin aus dem Extrablatt gefragt, ob wir das gemeinsam machen wollen – so ist die Idee entstanden, ein Extrablatt-3 zu machen. Aber das war nicht mein Ding, da bleibt zu viel Kreativität auf der Strecke. So sind Yassin und ich im A2 gelandet.
Yassin. Und zack, sind acht, neun Jahre rum. Ich war damals erst zwei Jahre hier in Deutschland, habe mein Abi gemacht und ein Studium angefangen. Nebenher war ich auch im Extrablatt dabei.
Simo: Yassin, du hast auch eine Ausbildung gemacht.
Yassin: Sagen wir so, ich habe mich gesucht. Zwovierzehn habe ich im A2 angefangen. Bis letztes Jahr. Im A2 zu arbeiten, war eine schöne Erfahrung, da geht jeder hin und ich habe viele Menschen kennengelernt. Aber dann kam Corona. Da haben Simo und ich eine Ausbildung drangehangen – mir war klar, dass wenn ich in der Gastro bleibe, brauche ich einen eigenen Laden.
Was für eine Ausbildung?
Simo: Restaurantkaufmänner. Das sind wir nun. Haben wir eigentlich aus Langeweile angefangen, du weißt, dank Corona war nix mehr los.
So haben wir uns entschlossen, die Zeit sinnvoll zu nutzen.
Was habt ihr studiert?
Simo: Chemie.
Yassin: Arabisch und französische Philologie.
Ihr stammt aus Marokko – ich war nie dort. Ist es schön?
Simo: Es würde mich sehr freuen, wenn du groß rausstellen würdest, dass wir damals fast das Quadaques übernommen hätten.
Aber das sagtest du schon.
S: Ja, aber wichtig ist, dass es im Endeffekt super war, dass es so passiert ist, sonst hätten wir dieses kleine Schmuckstück nicht entdeckt.
Yassin: Dann gebe es heute kein Lütkes.
Das mag ich mir nicht vorstellen – was für ein Glück, dass du damals nicht genug Kapital gehabt hast.
Y: Jetzt hatten wir auch nicht endlos Geld. Darum waren wir sparsam, haben alles selber gemacht. Alles, was du hier siehst, haben mein Bruder und ich selber in der Hand gehalten, von der kleinsten Fliese über die versteckteste Schraube bis zum Regal. Ausgedacht, entworfen und gebaut. Mit vollem Herzen. Wichtig ist aber nicht, wie es aussieht, sondern wie es schmeckt.
Mir gefällt, dass man euch beim Zubereiten der Speisen zuschauen kann.
S: Und das nicht aus der Ferne. Am Tresen bist du direkt in der Küche.
Was ist dein Lieblingsgericht im Lütkes?
S: Shakshuka. Ein israelisches Gericht. Das ist ein Wort, das aus dem Atlasgebirge stammt, von den Berbern, den Ureinwohnern. Da über eine Million Marokkaner in Israel leben, ist das Gericht international bekannt. Das Gericht besteht aus Tomaten mit Eiern drauf, ist eigentlich ein Frühstück. Aber wir haben das verfeinert. Wir tun das in Tapas rein und geben kleine Hackfleischbällchen dazu und als Topping Wachteleier.
Y: Und natürlich gewürzt. Gewürzt mit unseren eigenen Gewürzen.
S: Die bekommen wir ein mal im Monat von unserer Mama. Die trocknet die selber auf ihrer Terrasse in Marokko.
Ein letztes Glaserl mit alten Freunden
Yassin, welches ist dein Favorit eurer Küche?
Y: Ich stehe auf alles. Darum bevorzuge ich unser Lütkes-Brett. Da ist nämlich alles drauf. Verschiedene Sorten Tofu, unterschiedliche Käse, bisschen Pimentos. Klar, ich stehe auf unsere Boritos. Unsere Küche ist klein, aber der Hammer. Die ist unser Traum.
S: Unser Essen ist einfach. Wir müssen nur vernünftig einkaufen gehen.
Y: Wir gehen nicht ein mal die Woche, sondern jeden zweiten Tag. So ist immer alles frisch. Dann nehme ich ein Auto und so müssen wir nichts wegschmeissen.
Wann kann man am besten essen bei euch?
Y: Wir haben inzwischen, so könnte man es sagen, zwei Rutschen an Gästen. Die erste Rutsche so von siebzehn bis zwanzig Uhr, dann die zweite. Und danach wollen alle auch mal stehen. Und das geht bei uns prima.
S: Viele Fragen, ob wir reservieren. Aber das geht nicht. Du kannst in der Woche aber eine geschlossene Gesellschaft machen. Sogar montags, obwohl wir da eigentlich zu haben. Samstags geht das nicht. Da erwarten die Leute, dass sie reinkommen. Sonst entwöhnen wir die. Samstags werden wir also nie Geschlossene machen. Das ist unsere Entscheidung.
Y: Wir wollen unsere Stammkunden nicht vergraulen.
Wo kauft ihr in Münster marokkanische Lebensmittel?
S: Das ist ein Problem und vielleicht unser künftiges Projekt. Ein kleiner Laden mit marokkanischen Gewürzen und Lebensmittel.
Das wäre super, vielleicht direkt nebenan. Da ist der Laden von Franko (vom Moccad´or), ich meine, der ist frei. Und da hättet ihr auch einen tollen Vermieter. Wie jetzt: euer Vermieter ist ja recht jung, gerade mal 18. Wie läufts mit dem?
S: Das ist sehr gut. Der Carl (Deilmann – die Red.) ist sogar selber hier Stammgast. (Lieber Carl, dein gestriger Hinweis im Mocca´dor war deutlich ;) nun ist dein Name endlich korrigiert. Es ist einfach Wahnsinn, was einem so für Fehler passieren, wenn man nicht so richtig gut lesen kann – so wie ich)
Y: Ein großes Lob auf unseren Vermieter! Erst war das Andreas Deilmann, dann der Sohn. Beide sind super und man kann toll mit denen arbeiten. Wir haben inzwischen kein normales Mieter-Vermieter-Verhältnis sondern sind echte Freunde.
S: Es macht einfach Spaß mit den beiden. Jetzt gerade suchen wir gemeinsam die Beleuchtung für draußen aus, die helfen, wo sie können.
Ja, es ist schön, wenn man sich gut versteht.
Y: Ja, das muss sein wie Familie. Wir kommen aus einer extrem liberalen Familie. Unser Papa trinkt sogar mit uns mal ´n Bierchen, das ist für marokkanische Verhältnisse schon recht arg.
S: Das ist sonst ein Tabu. Wenn wir in Marokko sind, gehen wir trotzdem gemeinsam durch die Kneipen – uns kennt im Dorf jeder und unseren Papa natürlich auch. Wir gehen die Leute damit ärgern.
Ist das verboten?
Y: Nein, das nicht, aber kulturell ist es schon so, dass man sowas nicht tut. Das ist respektlos, wenn du vor deinen Eltern Alkohol trinkst. Aber bei uns geht das, wie gesagt, wir sind extrem fortschrittlich.
S: Ich muss nun aber wirklich loslegen, die ersten Gäste treffen ein.
Y: Stimmt, Thorsten. Können wir hier aufhören? Du kannst sitzenbleiben und dir nach diesem anstrengenden Gespräch erst mal den Bauch vollschlagen, was hältst du davon?
Darum bin ich hier. Und an die Leserinnen und Leser: geht da auch hin, es ist wirklich besonders und zu empfehlen.
Yassin und Simo Saidani
Zwei Brüder wie die alten Grimms – märchenhaft und köstlich ist ihr Kind, das Lütkes. Am besten, ihr besucht die beiden einmal und bringt viel Zeit mit, denn ihr wollt garantiert nie wieder gehen. NIE WIEDER!!!! NIEEEEEE!!!!!
www.luetkes.ms
Autor Thorsten Kambach / Illustration Thorsten Kambach / Fotos Thorsten Kambach