top of page
Stadtgeflüster Logo 2018.png
Heinz-Erhardt-Revue_Billboard_960x180px.jpg
2022-11-07 Stadtgeflüster Illustration Ekki kurz.tif

Tom Feuerstacke und Wolfram Linke besprechen „draußen!“

WIE „DRAUßEN!“ MÜNSTER SICHTBAR MACHT

Münster von unten sieht anders aus als auf der Titelseite. Hier geht es nicht um Ratsherren oder Hochglanzveranstaltungen, sondern um Menschen, deren Geschichten sonst im Schatten bleiben. Seit 1993 gibt es das Straßenmagazin draußen!. Seitdem liefert es eine Stimme für diejenigen, die oft übersehen werden, und bietet Verkäufern die Chance, ein kleines Einkommen zu erzielen. Die Redaktion arbeitet mit ehrenamtlichen Autorinnen und Autoren. Aktuelle Themen wechseln sich ab mit Porträts, Rezensionen und lokalen Geschichten, die sonst niemand bringt. Jeden Morgen treffen sich Bedürftige zum Frühstück in der Geschäftsstelle, erhalten Beratung und können hier ihre Hefte kaufen. Die Geschichten, die dabei entstehen, berühren, ärgern, manchmal machen sie sprachlos. Wer „draußen!“ macht, arbeitet zwischen Journalismus, Sozialarbeit und Pragmatismus. Dabei ist alles auf Augenhöhe, nah an den Menschen, direkt aus der Stadt – roh, ehrlich und ungeschönt.

Wolfram, ich sehe dich noch im Karnevalstrubel vor mir, als Hofnarrenberichterstatter, völlig in deinem Element. Jetzt nennst du dich Rentner. Wie kommt es, dass du trotzdem nie aus dem journalistischen Rhythmus gefallen bist?



Ich habe den Beruf von der Pike auf gelernt, damals bei der MZ. Mein Volontariat, die 18 Jahre Festanstellung, der Podcast – das war mein Alltag, mein Umfeld, meine Identität. Als wir 2007 alle gehen mussten, war das natürlich ein Bruch, aber ich bin sofort in Neues gerutscht. Erst als Pressesprecher, dann kam die WN. Parallel baten mich die Vereine um Sessionshefte und andere Projekte. Ich habe zugesagt, fast automatisch. Es fühlte sich nie so an, als hätte ich aufgehört. Ich war immer noch mittendrin, nur auf andere Weise. Für mich war klar: Wenn ich einmal im Arbeitsfluss bin, bleibe ich darin. Rentenbeginn hin oder her.


Kurz danach tauchst du plötzlich bei „draußen e. V.“ auf, ganz weit weg vom bunten Karneval. Wie bist du da hineingeraten?



Kurz vor meinem Rentenstart rief mich Jörg Adler an und fragte, ob ich mir vorstellen könne, Zeit in das Straßenmagazin zu investieren. Ich dachte mir, bevor ich auf der Couch versacke, probiere ich das aus. Und dann stand ich da, in einer Welt, die ich so nicht kannte. Morgens kommen die Menschen zum Frühstück, viele mit schweren Schicksalen. Ich habe Geschichten gehört, die mich wirklich getroffen haben. Münster von unten, wie ich es nenne. Diese Perspektive hat mir Demut beigebracht. Ich habe dort eine Stadt kennengelernt, die neben der funkelnden Oberfläche existiert und die mich inzwischen jeden Tag neu herausfordert.



Ich frage mich, warum du deine Aufgabe „Münster von unten“ nennst und ob du das Gefühl hast, dass wir anderen in den Medien eher die glänzende Oberfläche betrachten?



Es geht weniger um eine Wertung, sondern um die Tiefe, in die ich inzwischen täglich eintauche. Als normaler Redakteur komme ich in Situationen hinein, schaue sie mir an und dokumentiere sie, aber immer nur für einen Moment. Draußen arbeite ich jeden Tag mit Menschen, die nichts mehr haben. Ich begegne ihnen nicht episodisch, sondern im Alltag, mit all ihren Brüchen und Hoffnungen. Wir haben sogar jemanden im Team, der selbst aus der bedürftigen Szene kommt und regelmäßig Texte beisteuert. Dazu etwa ein Dutzend ehrenamtliche Autorinnen und Autoren, die Themen liefern, Rezensionen schreiben, aktuelle Debatten aufgreifen und Musik, Bücher und Filme besprechen. Der Blick wird automatisch breiter und bunter, weil alle aus unterschiedlichen Welten kommen und dennoch am selben Ort zusammenlaufen.



Ich schaue ins Impressum und sehe bei dir schlicht die Redaktion. Ich kenne Carsten aus dem Sport und der Politik, aber bei dir interessiert mich, welchen Bereich du bei „draußen!“ genau abdeckst und wie ihr das Magazin organisiert?



Ich bin fest angestellt, auch wenn ich offiziell im Ruhestand bin. Ich trage die inhaltliche Verantwortung, entwickle Themen, koordiniere das Team und halte die Abläufe zusammen. Alle vierzehn Tage treffen wir uns zur Redaktionskonferenz, sammeln Ideen und planen die nächsten Ausgaben. Ich bin außerdem die Schnittstelle zum Grafiker, der das Magazin gestaltet. Was die feste Struktur angeht, bin ich beim Magazin der einzige Hauptamtliche, der sprichwörtliche einsame Mohikaner. 



Wie groß ist das Team von draußen! und wie entsteht aus den vielen ehrenamtlichen Beiträgen am Ende ein komplettes Magazin?



Das Team besteht aus rund einem Dutzend Autorinnen und Autoren, die aus ganz unterschiedlichen Bereichen kommen. Studierende, berufstätige Menschen, eine ehemalige Glocke-Redakteurin, eine Grundschullehrerin und sogar Professor Steinhoff, der die Münstergeschichten beisteuert. Alle zwei Wochen gibt es eine Redaktionskonferenz, in der Themen festgelegt und Zuständigkeiten verteilt werden. Die Ehrenamtlichen liefern anschließend die Texte. Ein kleines Dreierteam kümmert sich um Rechtschreibung und Grammatik, während ich den inhaltlichen Feinschliff übernehme, Zwischentitel setze, den Haupttitel formuliere und darauf achte, dass alles in Balance bleibt. Für die Fotos steht ein gelernter Fotograf zur Verfügung, der aus persönlichen Gründen nicht regulär arbeiten kann. Ergänzt wird sein Material durch meine eigenen Aufnahmen oder durch Bilder der Autorinnen und Autoren, wenn sie vor Ort unterwegs sind. Diese Mischung aus Professionalität, Flexibilität und Improvisation macht das Magazin lebendig.



Wie läuft die Veröffentlichung des Magazins ab, warum gab es bisher nur elf Ausgaben im Jahr und wie funktioniert der Vertrieb über die Verkäuferinnen und Verkäufer?



Bisher fiel ein Monat aus, weil die frühere Redaktionsleitung dafür ihren Urlaub nutzte. Das ist nicht mehr nötig, da ich das Magazin inzwischen auch aus der Ferne produzieren kann. Künftig erscheinen daher zwölf Ausgaben im Jahr. Durchschnittlich werden achttausend Hefte gedruckt, in der Weihnachtszeit steigt die Zahl wegen der höheren Spenden- und Kaufbereitschaft auf zwölftausend. Etwa siebzig Verkäuferinnen und Verkäufer bringen das Magazin anschließend auf die Straße. Sie kaufen die Hefte vorher in der Geschäftsstelle und verdienen die Hälfte des Verkaufspreises. Das Magazin kostet 2,80 EUR, wovon 1,40 EUR direkt bei ihnen bleiben, zusätzlich zu möglichen Trinkgeldern. Für viele bedeutet das ein Stück Unabhängigkeit und eine greifbare Möglichkeit, den eigenen Alltag wieder selbst in die Hand zu nehmen. 


probe1.jpg

Alle zwei Wochen gibt es eine Redaktionskonferenz

Das Magazin heißt bewusst Straßenmagazin. Trotzdem leben nicht alle eure Verkäuferinnen und Verkäufer auf der Straße. Wie setzt sich diese Gruppe wirklich zusammen und was bedeutet dir die Entscheidung, ausgerechnet hier weiterzuarbeiten, obwohl du deinen Ruhestand längst verdient hast?



Unter den rund siebzig Verkäuferinnen und Verkäufern sind längst nicht alle obdachlos. Viele sind schlicht bedürftig, leben von sehr wenig Geld oder bewegen sich am Rand des Existenzminimums. Einige sind durch persönliche Umstände aus dem System gefallen und versuchen, sich langsam wieder zu stabilisieren. Genau das ist ein Punkt, der mich reizt. Herausforderungen haben mich schon immer angezogen. Als wir damals bei der MZ alle gehen mussten, lagen mehrere Angebote vor mir. Ich habe das Schwierigste gewählt, den Zeitarbeitgeberverband, weil Zeitarbeit in Deutschland einen miserablen Ruf hat und ich wissen wollte, ob ich das drehen kann. Bei draußen! ist es ähnlich. Das Magazin lebt dauernd gefährlich nah am Existenzminimum. Es fordert mich, es wieder stabil zu machen, die Auflage zu steigern, Anzeigen zu sichern und vor allem den Verkäuferinnen und Verkäufern eine Perspektive zu geben. Wenn jemand über den Verkauf wieder in eine Wohnung, später in Arbeit kommt, dann zeigt mir das, wie wertvoll diese Arbeit ist. Genau diese Mischung aus sozialer Wirkung und journalistischer Aufgabe macht „draußen!“ für mich zu einer echten Aufgabe.


Der Printmarkt ist schwierig, Sichtbarkeit hart erkämpft. Was muss sich bei draußen! ändern, damit ihr euch von der Existenzgrenze löst, und woran arbeitest du gerade besonders intensiv?



Der wichtigste Baustein ist die inhaltliche Schärfung. Ich suche gezielt Themen, die sonst kaum Beachtung finden oder die ich mit einem ungewohnten Blick aufbereiten kann. Zur Kommunalwahl habe ich die drei aussichtsreichsten OB-Kandidaten zur Sozialpolitik befragt. Ein Thema, das im Wahlkampf oft untergeht, das aber zu einem Straßenmagazin gehört wie kaum ein anderes. Genau solche Stücke sollen dafür sorgen, dass das Heft zu etwas wird, das man unbedingt lesen will und dessen Nichtkauf man bereut, wenn man daran vorbeigeht. Parallel dazu arbeite ich an der Anzeigenakquise, die lange vernachlässigt wurde. Vor allem die Rückseite galt als schwer zu verkaufen, obwohl sie ein extrem attraktiver Platz ist. Seit Juli ist sie jedoch in jeder Ausgabe vergeben. Diese Kombination aus relevanten Geschichten und stabilen Einnahmen ist der Weg aus dem Mauerblümchendasein – Schritt für Schritt, aber spürbar.


Du bist längst Rentner, aber bei „draußen!“ machst du weit mehr als klassische Redaktion. Wie kam es, dass du dich auch um Anzeigen und Organisation kümmerst und das Magazin am Leben hältst?



Ich kümmere mich um alles, was das Heft stabil macht. Redaktion, Themenentwicklung, Fotos, Layout und auch die Anzeigenakquise. Zusammen mit der Geschäftsführerin sorge ich dafür, dass die wichtigen Anzeigenplätze vergeben sind, vorwiegend die Rückseite, die traditionell schwer zu verkaufen war. Ich nenne das manchmal „Eierlegende Wollmilchsau“, weil es so viele Aufgaben auf einmal sind, aber genau das ist es, was das Magazin lebendig hält. Ohne diese Mischung aus journalistischer Arbeit, Organisation und Vertrieb würde draußen! nicht funktionieren. Ich sehe es als Herausforderung, das Heft wieder stabil aufzustellen, die Auflage zu steigern, neue Anzeigen zu gewinnen und den Verkäuferinnen und Verkäufern eine echte Perspektive zu bieten. Für viele bedeutet der Verkauf ein Stück Eigenständigkeit, ein Startsignal zurück ins Leben. Das motiviert mich jeden Tag.


Welche Begegnungen bei „draußen!“ haben dich am meisten berührt und gezeigt, wie nah ihr am Existenzminimum arbeitet?



Es sind Geschichten, die einem zeigen, wie schmal der Grat zwischen Alltag und Absturz sein kann. Einmal stand ein gepflegter Mann vor mir, der erzählte, dass er gerade im Schlossgarten übernachtet habe. Sein Leben war über Nacht auseinandergefallen, Wohnung und Job verloren, plötzlich obdachlos, ohne Rückhalt, ohne Netzwerk. Solche Menschen erleben wir jeden Tag beim Frühstück, beim Verkauf, in Gesprächen über kleine Hoffnungen und das Alltägliche. Oder Momente, in denen eine Frau schüchtern nach einer Zahnbürste fragt. Diese Begegnungen sind schockierend, sie bleiben im Kopf. Sie machen aber auch deutlich, warum unsere Arbeit wichtig ist, warum „draußen!“ mehr ist als ein Magazin. Es ist ein Stück Stadt, das man sonst nicht sieht, eine Perspektive, die dich Demut lehrt und zugleich motiviert, weiterzumachen.



Bei all den schwierigen Geschichten, die du erlebst, gibt es auch Momente, die dich aufrichten und dir zeigen, dass ihr Menschen wirklich helfen könnt?



Absolut. Es sind oft die kleinen Dinge, die bleiben. Eine unserer Verkäuferinnen bekam vom Arzt als Therapie empfohlen, zu stricken, konnte sich aber keine Wolle leisten. Wir haben das in der Zeitung thematisiert, und drei Tage später standen tütenweise Wolle in der Geschäftsstelle. Solche Momente, wenn die Leute strahlen, einem um den Hals fallen und sich bedanken, geben mir drei Wochen gute Laune. Oder einfache Dinge, wie Sonnenbrillen, die ich früher als Pressesprecher bekommen habe – verteilt an die, die sie benötigen, und plötzlich wird etwas Banales zu einem Geschenk von enormem Wert. Solche Erlebnisse zeigen, dass selbst kleine Gesten einen riesigen Unterschied machen können und wir mit draußen! wirklich Perspektiven schaffen.



Du bist in Kontakt mit Menschen, die obdachlos oder in sozialer Not sind. Wie sieht euer Alltag in der Geschäftsstelle aus, und wo stoßt ihr an Grenzen?



Mein Büro liegt direkt in der Geschäftsstelle, wo jeden Morgen das Frühstück ausgegeben wird. Rund 15 bis 20 bedürftige Menschen kommen vorbei, trinken Kaffee, bekommen belegte Brötchen, können duschen, ihre Wäsche waschen und Pflegemittel mitnehmen. Wir sorgen auch dafür, dass sie Essen mitnehmen können: Eintöpfe, Dosen, Suppen, die sie draußen aufwärmen. Diese Nähe zu den Menschen ist intensiv, erdet mich und zeigt jeden Tag, wie hart das Leben am Rand sein kann. Gleichzeitig stoßen wir oft an Grenzen. Wir haben zwar eine fest angestellte Sozialarbeiterin, die sich um bürokratische Fragen kümmert, aber manchmal sind die Regale leer. Dann muss ich jemanden wegschicken, weil es nicht genug gibt. Das tut weh und zeigt, dass wir trotz aller Arbeit und unseres Engagements nicht alles abdecken können. Die Balance zwischen Möglichkeiten und Grenzen begleitet uns ständig.


probe1.jpg

Es sind oft die kleinen Dinge die bleiben

Ihr arbeitet mit ehrenamtlichen Autorinnen und Autoren, die nichts verdienen, und habt nur begrenzten Platz im Heft. Wie gehst du damit um, wenn Geschichten zu wichtig sind, um sie zurückzustellen, und was wissen die Leser überhaupt über den Inhalt?



Das ist oft frustrierend. Ich sitze manchmal da mit Material, das unglaublich spannend wäre, aber wir haben nur begrenzten Platz. Eine Geschichte, die ich erst einen Monat später bringe, ist dann oft schon veraltet, die Aktualität dahin. Die ehrenamtlichen Autorinnen und Autoren liefern ihre Beiträge ohne Bezahlung, genauso wie das kleine Redigierteam, das Rechtschreibung und Grammatik kontrolliert. Trotzdem zeigt eine Umfrage, dass die Leser den Inhalt wahrnehmen und wertschätzen. Spenden stehen zwar im Vordergrund, aber sie interessieren sich auch für die Geschichten. Besonders lokale Themen kommen gut an. Wir haben daraus sogar eine neue Serie entwickelt, „Tue Gutes“, in der Menschen vorgestellt werden, die sich sozial engagieren, ohne damit zu werben. Beispiele sind Mario Engbers oder Christopher Krimphove, die beide regelmäßig Bedürftige unterstützen. Solche Geschichten machen das Magazin greifbar, zeigen positive Handlungsbeispiele und animieren andere vielleicht, selbst aktiv zu werden.



Du hast auch schon erlebt, dass Ausgaben ausverkauft sind und ihr hättet deutlich mehr verkaufen können. Wie gehst du damit um, und was zeigt das über die Nachfrage?



Das passiert regelmäßig, besonders bei aktuellen Themen wie der Kommunalwahl, wo wir die OB-Kandidaten nach ihrer Sozialpolitik befragt haben. Die Leser waren extrem interessiert, wir hätten viel mehr verkaufen können, aber die Auflage reichte nicht. Solche Situationen zeigen mir, dass die Nachfrage nach gut recherchierten, lokalen Geschichten hoch ist. Viele Leser wünschen sich mehr Lokalkolorit, Berichte aus Münster und dem Münsterland, statt beliebiger Meldungen aus anderen Regionen. Das spornt uns an, noch stärker auf die Interessen der Leser einzugehen, die Geschichten relevant und greifbar zu machen, und gleichzeitig die Auflage Schritt für Schritt zu erhöhen, damit wirklich alle, die ein Heft wollen, auch eines bekommen.



Ihr druckt monatlich, habt aber nur begrenzten Platz für aktuelle Geschichten. Wie geht ihr damit um, und wie wichtig ist Aktualität überhaupt für „draußen!“?



Aktualität ist bei uns nicht die größte Priorität, gerade weil wir monatlich erscheinen. Natürlich ist es frustrierend, wenn spannende Geschichten aktuell sind, aber wir sie nicht bringen können, weil wir die Seitenzahl nicht einfach erhöhen können – das treibt die Kosten nach oben. Dann verlieren die Geschichten etwas an Dringlichkeit, aber der Anspruch bleibt, Inhalte zu liefern, die sonst nirgendwo zu finden sind. Wir versuchen, ein Gleichgewicht zu halten: Themen relevant aufbereiten, aber die Produktion wirtschaftlich stemmen. Manchmal heißt das, dass eine Story etwas „lagert“, bis der nächste Ausgabeplatz frei ist.



Eure Verkäufer sind nummeriert und haben Ausweise. Gibt es Probleme mit fremden Verkäufern oder Weiterverkäufen, und wie wollt ihr das in Zukunft lösen?



Ja, das ist ein echtes Problem. Es gab Fälle, in denen Personen, die keinen offiziellen Ausweis hatten, Hefte kauften und dann teurer weiterverkauften. Wir haben das im Blick und die Polizei weiß inzwischen Bescheid. Um das zu verhindern, planen wir ab Januar einen Relaunch des Magazins. Die Titelseite wird künftig die Verkäufernummer zeigen, jeder hat einen Ausweis mit Foto, und so lässt sich alles klar abgleichen. Damit stellen wir sicher, dass die Hefte nur über unsere offiziellen Verkäufer vertrieben werden und niemand das System ausnutzen kann.



Wie lange gibt es „draußen!“ schon, und wie entstand die Idee, ein Straßenmagazin in Münster ins Leben zu rufen?



„draußen!“ gibt es seit 1993, das macht uns zu einem der ältesten Straßenmagazine im Bundesgebiet. Die ursprüngliche Idee entstand wohl aus der Zusammenarbeit eines Journalisten mit einem obdachlosen Menschen, der die Perspektive aus der Stadt unten einbringen wollte. Ziel war von Anfang an, Menschen ohne Stimme eine Plattform zu geben, ihnen Sichtbarkeit zu verschaffen und gleichzeitig eine Möglichkeit zu bieten, ein kleines Einkommen zu erzielen. Im Laufe der Jahre hat sich das Magazin weiterentwickelt, bleibt aber seinem Kernauftrag treu: Münster aus der Perspektive derjenigen zu zeigen, die sonst kaum wahrgenommen werden.



Was sind die nächsten Schritte für „draußen!“, insbesondere mit Blick auf Weihnachten, Auflage und geplanten Relaunch?



Zur Weihnachtszeit erhöhen wir die Auflage auf rund 12 000 Exemplare, weil in dieser Zeit die Nachfrage steigt. Ab Januar steht dann der Relaunch an: Optische Neugestaltung, luftigeres Layout, Fotos bekommen mehr Gewicht, und die Titelseite wird die Top-Themen mit kurzen Anreißern präsentieren. Ziel ist es, das Magazin attraktiver und zeitgemäßer zu machen. Parallel arbeite ich daran, langfristige Anzeigenkunden zu gewinnen, um mehr finanzielle Stabilität zu schaffen. Perspektivisch soll die Auflage weiter steigen und der Umfang des Hefts über die aktuellen 32 Seiten hinausgehen. Alles zusammen soll draußen! stärker sichtbar machen und die Geschichten der Menschen, die sonst im Schatten stehen, noch mehr ins Bewusstsein rücken.



Gibt es Konflikte um Verkaufsplätze für draußen!-Hefte, oder wird der Verkauf von der Stadt geregelt?



Die Verkäufer haben fest zugewiesene, offiziell genehmigte Plätze, die auf der Homepage einsehbar sind. Konflikte gibt es kaum, denn alle Institutionen, vor denen verkauft wird, stimmen dem zu. Problematisch ist eher die Wahrnehmung: Viele Menschen möchten nicht sehen, dass andere auf der Straße leben oder auf Hilfe angewiesen sind. Gleichzeitig ist es aber ein Zeichen der Solidarität, dass die Käufer größtenteils aus dem gut situierten Mittelstand kommen und das Magazin unterstützen. Die Verkäufer wissen genau, dass sie sich an Regeln halten müssen, etwa das Alkoholverbot, sonst verlieren sie ihre Lizenz. Das sorgt für einen kontrollierten Ablauf und schützt sowohl die Verkäufer als auch die Integrität des Magazins.



Wie erlebst du das Spannungsfeld zwischen Wohlstand und Armut in der Stadt, gerade im Umgang mit Bedürftigen?



Es fällt auf, wie sehr viele Menschen helfen wollen, aber Berührungspunkte meiden. Man spendet gerne Geld oder Essen, bleibt aber auf Distanz. Gleichzeitig zeigt sich, dass Wohlstand und Armut unmittelbar nebeneinander existieren, und dass beide Seiten sichtbar sein müssen, um das soziale Gleichgewicht zu verstehen. Unsere Arbeit bei draußen! macht diese Realität greifbar. Wir zeigen, dass Menschen Unterstützung benötigen und gleichzeitig Verantwortung übernehmen können, etwa durch den Kauf des Magazins. Die Verkäufer handeln diszipliniert, halten Regeln ein und wissen, dass sie sonst ihre Lizenz verlieren. Dieses Zusammenspiel aus Unterstützung, Regeln und Wahrnehmung ist für mich jeden Tag spürbar und gleichzeitig herausfordernd.



Wolfram, Danke für das Gespräch.



Danke dir, Tom.

Wolfram Linke


der 1961 in Münster geboren wurde, ist ein von der Pike auf ausgebildeter Journalist. Leidenschaftlich gern fotografiert er. Aber ab dem 11. 11. schlägt sein Herz doppelt so schnell, wenn er in die „fünfte Jahreszeit“ abtaucht.

Illustration Thorsten Kambach / Fotos Wolfram Linke

Junge Köpfe.gif
bottom of page