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2022-11-07 Stadtgeflüster Illustration Ekki kurz.tif

Tom Feuerstacke, Ekki Kurz und Wolfgang Niedecken auf einer verbalen Zeitreise

ZEITREISE

Im neuen Album von Wolfgang Niedeckens BAP „Zeitreise/ Live im Sartory“ fließt tatsächlich alles zusammen, was diese Band und ihren Sänger seit Jahrzehnten auszeichnet: musikalisch. Gedanklich. Biografisch. Was Gesang, Energie und Schaffenskraft betrifft, mag Niedecken immer noch als 30-Jähriger durchgehen. Seine Texte und Gedanken aber atmen die Lebensklugheit jenes 73-Jährigen ein, der er ist und dessen Blick auf das Leben, die Liebe und unsere Gesellschaft so wach und klar ist wie nie.

Ekki: Ich finde das neue Album „Zeitreise/ Live im Sartory“ wirklich fantastisch. Es kommt geil rüber. Ihr präsentiert Stücke wie „nemm mich mit“. Da frage ich mich, wie erfrischend war es, diesen Song in der Urversion zu spielen?


Erfrischend weiß ich nicht. Es war der Plan, unsere Songs so zu präsentieren, wie sie damals gespielt wurden. Wir sind wirklich sehr, sehr gewissenhaft mit den Urversionen umgegangen. Das ist immer ein Balanceakt. Einerseits möchtest du nicht deine eigene Coverband sein, das ist irgendwie unwürdig. Du müsstest Leuten, die sich musikalisch deutlich in einem höheren Niveau bewegen, als wir uns damals 1981/82 bewegt haben, dazu zwingen, ihr Talent unter den Scheffel zu stellen. Allerdings willst du die Kollegen nicht beleidigen, die das damals aufgenommen haben. Mit denen wir damals auf Tour waren. Es war eine wirkliche Gratwanderung. Das haben wir aber gut hinbekommen. Ich achte immer darauf, dass sich wirklich alle in der Band wohlfühlen bei dem, was sie da tun. Die Band war sich wirklich sehr einig, wie man das anzugehen hat.


Ekki: Was mir besonders aufgefallen ist beim Anhören des Albums. Das Konzert ist vollkommen energiegeladen, wie konnte das so gelingen?


Das ist so. Dieses Album ist eins zu eins. Das Einzige, was wir weggelassen haben, sind die langen Erzählungen, die ich zwischen den Songs habe, um das Konzept der Zeitreise zu erklären. In vierzig Jahren hat sich viel geändert. Das muss man erklären. Aber nicht auf einem Livealbum.


Tom: Was ist die Idee, hinter diesem Konzeptalbum, außer Songs aus den Anfängen der Achtziger live für seine Fans zu spielen. Das Ganze nicht im neuen Gewand?


Die Tour zum Album „Alles Fliesst“ wurde vor lauter Corona um ein Jahr verschoben. Der Auftakt sollte mit einem Konzert zu meinem 70. Geburtstag sein. Es wurde der 71. Geburtstag daraus. Für eine Band ist das eine Katastrophe, denn man muss dem Album ja auf die Sprünge helfen, indem man es auf die Bühne bringt. Man glaubt, dass die Stücke zu einem anderen Zeitpunkt schal werden. Um dem entgegenzuwirken, dachte ich mir, dass wir verspätet so viele Stücke wie möglich von dem Album bei der Tour spielen. Mindestens aber zehn Songs sollten es sein.


Tom: Das kann zum deutlichen Stimmungskiller werden. Wie habt ihr das hinbekommen, dass der Spannungsbogen hoch blieb?


Damit dabei die Stimmung nicht in den Keller geht, haben wir zwischen den Nummern Songs aus den frühen Achtzigern gespielt. Was da abging, war unvorstellbar. Da waren Songs dabei, die wir über 35 Jahre nicht gespielt haben. Die Reaktionen waren faszinierend. Ich habe Leute im Publikum vor Freude weinen sehen. Das war unglaublich.


Tom: Als wir das letzte Mal miteinander gesprochen hatten, war eines der Themen das Älterwerden. Auf dem neuen Album klingt deine Stimme nicht wirklich gealtert. Hast du da ein probates Mittel?


(Lacht). Natürlich habe ich eine tiefere Stimme bekommen. Wenn du dir unsere ersten Alben anhörst und die mit heute vergleichst, dann weißt du, wie piepsig meine Stimme damals war.


Tom: Ein solches Livealbum ist etwas Besonderes. Die ersten beiden EMI-Platten live gespielt. Es ist dermaßen geil, die Spielfreude zu spüren. Ist es geplant, weitere Alben live einzuspielen?


Nö. Das ist jetzt passiert und damit gehen wir auf Tour. Aber dass ich jetzt alle alten Platten aufarbeite, ist nicht geplant. Es gibt viele andere Ideen. Aber jetzt geht es erst einmal damit auf Tour.


Tom: Wie war dein Gefühl, als du das fertige Produkt zum ersten Mal gehört hast. Warst du auch den Tränen nah?


Ich war begeistert. Auch den Tränen nah. Bei uns läuft das so. Wir haben den Mann unseres Vertrauens, der das Album mischt. Das wiederum schickte er nach Hamburg zu Anne, unserer Multiinstrumentalistin und Ulle, unserem Gitarristen. Die haben dann praktisch die ersten Korrekturen vorgenommen. Winzigkeiten, die man vielleicht gerne teilweise anders hätte. Und dann bekomme ich das auch mal zugeschickt. Insgesamt ist das Produkt zu dem Zeitpunkt schon sehr, sehr weit fortgeschritten. Ich musste kaum irgendwo mal sagen, dass ich das lieber anders gemischt hätte. Ich war wirklich begeistert.


… Ja, es gibt nichts Blöderes, als wenn dir etwas peinlich ist, was du veröffentlichst. Wenn du vorher schon weißt, oh Gott, hoffentlich merkt keiner, dass das scheiße ist oder das irgendwie …


Tom: … das stimmt. Du hast bei dem ersten Interview gesagt, dass es nicht um Scheiße geht. Aber gibt es schon ein solches Album, was du produzierst und wo du dann sagst, hätte ich das vielleicht doch nicht gemacht?


Also wir hatten nie solche Verträge, wo wir termingerecht abzuliefern hatten. Nach dem Prinzip: Wenn ihr jetzt nicht irgendwie ein Album herausbringt, dann gibt es eine Vertragsstrafe oder weiß der Geier, was. Wir konnten immer frei entscheiden, wann wir etwas veröffentlichen. Leider ist die EMI, unsere erste Plattenfirma, ja eines Tages in die Knie gegangen. Und „Gott sei Dank“ sind wir bei der Universal weich gelandet. Es hat sich einfach alles fortgesetzt. Wann immer ich mit einer Idee angekommen bin, war es nie so, dass etwas als unwichtig abgetan wurde.

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Wir hatten nie Verträge wo termingerecht abgeliefert worden musste

Ekki: Es ist wirklich nicht neu, dass du geniale Texte schreibst. Du arbeitest mit vielen Metaphern. Ich glaube, folgende Passage ist auf dem Familienalbum drauf. Da singst du: Schließlich war der Herbst gekommen, plötzlich stand er vor der Tür. Einfach spannend, auf eine solche Textidee zu kommen?


Das habe ich in der Türkei geschrieben. In dem Text habe ich praktisch jedes Stück vom „Zusammen Alt“ Album zitiert. So was kann man nicht planen. Ich wusste, ich möchte dieses Album aufnehmen. Die ganzen Lieder auf dem Album waren für Tina. Das war mein Dankeschön dafür, dass sie bei meinem Schlaganfall mein Leben gerettet hat. Wie zuvor erwähnt. Wir waren in der Türkei und ich wusste, ich benötige einen Opener für das Ding. Es sind viele kleine Teile, die irgendwo in einem dieser Stücke vorkommen, die dann schließlich das Album ergeben. Ausschnitte, Schnipsel, die man sich selbst zusammensetzen kann. Und irgendwann kommt der erste Satz. Das ist wie bei einem Schmetterlingsfänger. Wenn du den Falter dann im Netz hast, musst du schauen, dass er nicht wieder fliegen geht. Du musst weiterarbeiten.


Tom: Du bist auf einer Lesetour und singst Songs von Bob Dylan in auf „Kölsch“. Woher stammt diese Affinität zu Bob Dylan?


Bob Dylan verdanke ich unglaublich viel. Ohne Bob Dylan hätte ich niemals einen Song geschrieben. Bob Dylan ist derjenige, der mich dazu gebracht hat, mich mit Poesie und Literatur zu beschäftigen. Ich habe damals in der Schulband Bass gespielt. Die Geschichte kennt ihr vielleicht. Da kam unser damaliger Sänger an. Es war sein letzter Gig. Er musste sein Abitur machen und hatte keine Zeit mehr. Es musste ein neuer Sänger her. An dem Tag brachte er noch die Single „Like A Rolling Stone“ mit, die wir uns direkt anhörten. Unser Sänger hatte den Text herausgeschrieben und bereits übersetzt. Das war unfassbar gut. Ich habe meinem Freund Hein, von dem ich wusste, dass er auch gerne in einer Band spielen wollte, gesagt: „Weißt du was, Hein, du spielst jetzt Bass und ich mache das mit dem Singen.“ „Ich will auch solche Songs schreiben, wie der Typ mit der Sonnenbrille“.


Tom: Der Tag hat 24 Stunden und du bist fast 400 Tage auf Tour. Wie machst du das kräftemäßig? Und zwischendurch musst du auch noch mit irgendwelchen Leuten quatschen?


(Lacht). Es ist doch nicht so, dass ich mit Leuten quatsche, die mir Böses wollen. Es wäre natürlich etwas anderes, wenn ich jetzt mit stinkendem Fisch den Leuten nachrennen müsste. Bettelnd: bitte mach doch was dazu. Du bist zwar selbst begeistert davon, aber es interessiert anscheinend keinen. Das ist stressig. Das ist furchtbar. Dich will keiner hören und sehen. Du musst dann kämpfen, kämpfen, kämpfen, damit sich die Tournee halbwegs noch rentiert, diese ganze Anstrengung. Solche Phasen sind hart, aber es läuft doch seit ewigen Zeiten wunderbar. Was soll ich mich beschweren?


Tom: Vor fünf Jahren trafen wir uns unter dem Titel „Lebenslänglich Zuversicht“ zum Gespräch. Fünf Jahre sind vergangen und du bist immer noch zuversichtlich?


Ich weiß nicht, wo ich meine Zuversicht herholen sollte. Das Letzte, was mich wirklich zuversichtlich gestimmt hat, waren diese großen Demos, die vor zwei Monaten stattgefunden haben. Ich sagte mir, Gott sei Dank, es passiert etwas. Es war über eine ganz lange Zeit Schweigen im Walde, da passierte gar nichts. 30.000 in einem kleinen, beschaulichen Münster. Das hat mir noch mal einen solchen Funken Hoffnung gegeben. Aber ansonsten, wo die Aussicht da ist, dass im November zwei Irre die Weltmächte regieren, macht einen schon nervös. Die Chancen sind gar nicht so klein. Und was machen wir denn dann? Wie willst du noch Zuversicht bei jungen Menschen verbreiten? Wenn junge Menschen erkennen, dass die Demokratie so leicht aushebelbar ist, warum sollen sie sich denn dafür noch engagieren? Dann schaue ich doch besser, dass ich selbst zu Pötten komme. Mich egoistisch verhalte. Es ist so grauenhaft. Ich muss mich immer selbst ermahnen, wenn meine Kinder zu Hause sind, dass ich die Stimmung nicht vermiese, sobald wir über Politik reden.


Tom: Genau das. Vor fünf Jahren waren wir vollkommen zuversichtlich. Heute fragst du dich, woher du die Zuversicht nehmen sollst. Eine Demokratie lässt sich schnell aushebeln. Jeder macht sein Ding, gänzlich egoistisch. Teilweise sind die Menschen anarchistisch unterwegs, ohne Interessen an Regeln. Dabei haben wir doch alle gesellschaftlich eine Verpflichtung?


Jeder Bürger hat eigentlich die Verpflichtung, ein gewisses Maß an Zivilcourage an den Tag zu legen. Also sollte, außer du bist der Winzling und da steht ein solcher Koloss von Typ, der dir gleich eine reinhaut, sobald du dem ein Widerwort gibst. Eigentlich sollte man sagen: Hast du dir überlegt, was du gesagt hast? Ist das wirklich dein Ernst? Das kann man von jedem erwarten. Es sei denn, du bist wirklich der Gefahr ausgesetzt, dass du dir eine fängst. Auf der Bühne haben wir ein paar Mittel mehr, aber man darf das nicht inflationieren. Wenn ich mir jetzt zu jedem Thema einen Song ausdenke oder eine Ansage mache, wo ich das Problem mal gerade predigen kann, dann sagen die Leute, was hat der jetzt schon wieder?

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Man muss immer das Fingerspitzengefühl haben, was man den Leuten zumuten kann

Ekki: Sicherlich mag das der eine oder andere denken. Aber wichtig ist doch, dass es gesagt wird?


Du musst immer das Fingerspitzengefühl behalten, was du den Leuten zumuten kannst und was du ihnen in dem Moment nicht zumuten kannst. Das Blöde ist, es gibt doch unsere Songs. Aber die Radiolandschaft hat sich seit vielen Jahren so geändert, dass diese Songs einfach nicht laufen. Da bekomme ich einen dicken Hals. Die rufen mich an zu einer Fernsehdiskussion. Ich soll ein Statement zum Thema so und so abgeben. Aber zum Thema so und so, habe ich aber auf den letzten drei, vier Platten einige Stücke geschrieben, die einfach nicht im Radio laufen. Und dann ärgere ich mich. Nach dem „Radioformat“ muss alles möglichst „uplifting“sein. Sonst schalten die Hörer einen anderen Sender ein.


Tom: Du bist vom Alter her auch ein Mensch der Siebzigerjahre. Man hat vor ein paar Wochen in Berlin eine RAF-Terroristin festgenommen. Du warst auch musikalisch und politisch aktiv zur RAF-Zeit. Was hast du gedacht?

Also erst mal habe ich gedacht: könnt ihr die Oma nicht jetzt mal in Ruhe lassen? Aber was ich dann mitbekommen habe. Was die da doch noch bei sich in den Schränken hatte, vielleicht konnte man sie dann doch nicht mehr in Ruhe lassen. Vielleicht müssen wir die irgendwie mal pensionieren. Die haben doch noch lange Jahre von Raubzügen gelebt. Die hatten kein anderes Einkommen. Insofern ist es gut, dass man sie festgenommen hat, aber diese Jugendsünden könnte man eigentlich verzeihen. Vielleicht ist es ihr auch gar nicht so unrecht, dass sie jetzt nicht mehr auf Raubzug gehen muss, stattdessen irgendwo weggeschlossen ist. Aber keine Ahnung, ich kenne die Frau nicht. Man denkt dann zurück an diese Zeit. Die sogenannte „bleierne“ Zeit in Deutschland.


Tom: Ist da wirklich alles hochgekommen?


Natürlich kommt das hoch. Das waren ja alles Idealisten. Mordende, Idealisten. Die sind ja nicht aus Mordlust losgezogen. Also ich würde darüber jetzt nicht den Stab brechen und anschuldigen oder so was. Das macht man nicht. Und ich war nie so was wie ein Anarchist. Wir hatten einen, mit dem ich zusammen studiert habe. Der war so drauf. Und wir haben uns oft darüber gestritten. Ich finde, das geht nicht. Gewalt gegen Menschen geht einfach nicht. Gewalt gegen Sachen können wir von mir aus darüber reden. Aber Gewalt gegen Menschen geht einfach nicht. Das war für mich immer ganz, ganz klar.


Tom: Zum Schluss. Welche Frage würdest du dir selbst stellen, die die A. noch nie gestellt wurde und B: Wie würdest du sie beantworten?


Komischerweise hat mich bisher niemand gefragt, wie ich das mit dem 1. FC Köln und seinem Klassenerhalt sehe … Aber die Situation ändert sich von Spieltag zu Spieltag.


Ekki: … schieß los …


… wenn wir es schaffen, uns zu disziplinieren und die ganzen Verletzten kommen wieder zurück. Dann glaube ich schon, dass wir einen Relegationsplatz schaffen können. Wäre nur furchtbar, wenn wir gegen Hamburg in die Relegation müssten …


Tom: … nicht gegen Düsseldorf, schön mit Campino in der VIP-Loge?


Warum nicht? Wäre bestimmt lustig. Aber am besten wäre Kiel. Kiel könnten wir.


Danke für das geile Gespräch.


Danke euch und immer gerne.

Wolfgang Niedecken
Der 1951 in Köln geborene dreifache Opa ist Frontmann der Kölschrockband BAP. Der Komponist und Texter ist seit 1995 das letzte verbliebene Gründungsmitglied der Band.

lllustration Thorsten Kambach / Fotos Wolfgang Niedecken

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