
Arndt Zinkant fragt Wolfgang Beltracchi nach Können, Kunst und Knast
DAS GRÖSSTE KUNSTWERK IST DAS EIGENE LEBEN
Er soll um die 50 Millionen Euro gemacht haben, aber so genau weiß Wolfgang Beltracchi das nicht mehr. Der allzeit gierige Kunstmarkt riss dem genialen Fälscher über viele Jahre seine Imitate aus den Händen, sei es ein angeblicher Max Ernst oder „überraschend entdeckter“ Max Pechstein. Der Markt zahlte – aber der Maler und seine Ehefrau und Komplizin Helene Beltracchi zahlten auch: mit Jahren im Gefängnis. Nach Verbüßung der Strafe mutierte der Meister der hundert Stile selbst zum Star der Kunstszene. Und ist heute mit sich im Reinen.
Sie sagten einmal, dass Sie die „Handschrift des Künstlers“, einen ureigenen Stil persönlich ablehnen – warum?
Wenn Sie mit ureigenem Stil meinen, dass man sich als wiedererkennbare Marke auf die ständige Wiederholung eines Markenzeichens reduziert, dann lehne ich dies völlig ab. Heute verlangen die internationalen Kunstvermarkter genau dies. Bilder auf den Kopf stellen oder immerwährend comichafte Gesichter mit gigantischen Zahnreihen produzieren oder Ähnliches? Nein, danke, das ist repetitive Dekoration und keine Kunst.
Sind Ihre eigenen Werke gegenwärtig so erfolgreich, wie Sie es sich wünschen?
Ja.
Woher kommt meist die Nachfrage?
Es gibt noch immer Sammler, die mit Kunst auch Können verbinden. Diese Sammler legen keinen Wert darauf, dass jeder ihrer Besucher gleich eine Marke erkennt. Sie erwerben Werke, die sie wegen ihres Inhalts, der Komposition und des technischen Vermögens lieben. Die Nachfrage kommt aus der ganzen Welt.
Ein Segment Ihrer Arbeit sind und waren Porträts von Prominenten, jeweils im Stil eines berühmten Malers – was kostet die Promis denn so ein Bild? Kann man sich bewerben, oder suchen Sie sich die Köpfe selbst aus?
Ich male in der Regel nur zwei Porträts im Jahr, zu mehr habe ich wegen meiner Ausstellungsprojekte keine Zeit. Ich habe mehr Anfragen, als ich malen kann. In meinem Atelier befinden sich zurzeit nur drei Bilder, von denen ist eines bereits verkauft und eines hat eine Kaufoption. Ich gehöre zu den wenigen Künstlern, die keinen Stock haben.
In einer Fernseh-Doku ist zu sehen, wie Sie Otto Waalkes porträtieren, der ja auch Maler ist, sogar ein studierter. Wie beurteilen Sie seine Bilder? In der Doku wird schelmisch angedeutet, dass Otto ähnlich in der Kunstgeschichte wildert wie Beltracchi – allerdings mit Signatur und „Ottifant“.
Der Begriff Kunst bedarf einer Klärung. Man sollte zwischen angewandter Kunst oder künstlerischer Dekoration und autonomen Kunstwerken unterscheiden. Es bleibt jedoch dem Betrachter überlassen, was er in den Werken sieht. Grundsätzlich beurteile ich die Werke anderer Künstler nicht. Einen Vortrag an der ZHdK Zürich habe ich einmal mit folgenden Worten begonnen: „Dass sich in diesem Saal ein Talent befindet, auch unter den Professoren, ist höchst unwahrscheinlich! Doch seien Sie beruhigt, die gute Nachricht lautet: Schauen Sie sich auf dem heutigen Kunstmarkt um, dort tummeln sich kommerziell erfolgreiche, aber absolut talentfreie Kunstschaffende“. Am heutigen Tag gibt es wahrscheinlich mehr „Künstler“ auf unserem Planeten als in der gesamten vergangenen Kunstgeschichte zusammen.

Ein medienscheuer Künstler wäre in der heutigen Zeit erfolglos
In einer anderen Doku sah man Sie Christoph Waltz porträtieren. Medienscheu sind Sie offenbar nach Ihrer Haft nie gewesen. Was ist der Grund?
Ein medienscheuer Künstler wäre in der heutigen Welt erfolglos. Wer sich entscheidet, seine Kunst öffentlich zu zeigen, setzt sich der öffentlichen Kritik aus. Das muss man dann auch aushalten können. Ich bin ein positiver und kommunikativer Mensch – auch wenn mir der Wind hart entgegenbläst, verliere ich meine Fassung nicht.
Man hat den Eindruck, dass Ihnen die Öffentlichkeit ihr kriminelles Wirken kaum übel genommen hat, dass vielmehr die Bewunderung überwiegt. Täuscht der Eindruck?
Das kommt darauf an, wen Sie fragen. Nach Verbüßen meiner Strafe, Wiedergutmachung und neuer, künstlerisch erfolgreicher Laufbahn erfahre ich von einem großen Teil Bewunderung, von anderer Seite Missgunst und Neid. Solche menschlichen Reaktionen gibt es überall. In japanischen Museen wurden kürzlich einige meiner Werke entdeckt. Dort werden sie nicht aus den Museen entfernt, da man sie als eigenständige Kunstwerke sieht, trotz falscher Signatur.
Hat die Zeit im Gefängnis etwas mit Ihnen gemacht?
Ja, die Zeit hat meine Sichtweise auf Gefängnisse und Justiz verändert.
Wann und wodurch haben Sie herausgefunden, dass Sie ein Talent dafür haben, die Stile anderer perfekt zu imitieren?
Als ich 12 Jahre alt war, hat mein Vater diesen „genetischen Defekt“ bei mir erkannt. Er hatte mir die Aufgabe gegeben, ein Werk Pablo Picassos zu kopieren. Es erstaunte ihn, dass ich das Werk in sehr kurzer Zeit auf eine neue Weise in Picassos künstlerischer Handschrift wiedergeben konnte.
Welchen Weg wollten Sie als Künstler ganz zu Beginn einschlagen?
Ich wollte Filmemacher werden. Im Grunde meines Herzens bin ich ein Geschichtenerzähler. Als man mich kurz vor dem Abitur vom Gymnasium verwies, war ich zu jung, um an einer Filmakademie aufgenommen zu werden. Deshalb durchlief ich bei zwei Kunstschulen eine Sonderbegabtenprüfung und wurde an beiden Schulen zum Kunststudium zugelassen. Das Studium brach ich ab, als ich alles erlernt hatte, was mir nötig schien. Ich hatte vorher bereits viele Jahre mit meinem Vater gearbeitet, der Kirchenmaler war, und von ihm gelernt. Malen konnte ich schon, bevor ich die Kunstakademie besuchte.
Haben Sie einen Lieblingsmaler? Oder vielleicht sogar ein Vorbild innerhalb der „Fälscher-Gemeinde“?
Ich liebe das Werk vieler Maler. Chang Dai-shien war einer der bekanntesten und herausragendsten chinesischen Künstler des 20. Jahrhunderts und gilt als einer der besten Meisterfälscher des 20. Jahrhunderts. Man bewundert ihn in seiner Heimat für seine hohe Kunstfertigkeit, ohne den moralischen Dünkel des westlichen Kunstbetriebs. Informationen dazu finden Sie nicht auf den deutschsprachigen Wikipedia-Seiten, sondern nur auf den internationalen.

Ich liebe das Werk vieler Maler
Nach welchen Kriterien haben Sie ausgesucht, welchen Künstler Sie imitieren wollten – Marktlage oder persönliche Neigung?
Mich hat immer zuerst das Werk des jeweiligen Künstlers interessiert. Es gibt noch unentdeckte Werke von mir – der Grund: Der Kunstmarkt interessiert sich nicht für die Werke jener Künstler. Nicht weil sie nicht gut gewesen wären, sondern weil sie zu wenig Werke produzierten, um sie am heutigen Kunstmarkt mit viel Gewinn zu vermarkten.
Apropos Marktlage: Ist der Kunstmarkt mit seiner Profitgier Ihrer Ansicht nach auch selbst schuld an jeder Fälschung, die hineingerät?
Wirkliche Fälschungen gibt es am Kunstmarkt nur sehr wenige. Falsche Zuschreibungen jedoch mehr, als man denkt. Im druckgrafischen Bereich finden sich häufiger nicht authentische Werke.
Oder andersherum: Hatten Sie hin und wieder Skrupel?
Ich habe mein Metier 40 Jahre ausgeübt, da vergisst man manchmal, dass man etwas Illegales tut. Aber wir haben niemals an Privatleute verkauft. Die Abnehmer meiner Werke waren alle hoch spezialisierte Experten und große internationale Häuser, also kaum zwei Hände voll Käufer. Es kamen keine armen Rentner zu schaden. Wenn man mir vorwirft, der Kunst geschadet zu haben, dann kann ich nur sagen: Die Kunst ist autonom, der kann man nicht schaden.
Sie verrieten in der besagten Doku mit Otto, dass Sie zeitweise in der Jugend ohne festen Wohnsitz quasi unter Brücken geschlafen haben. Hat diese Armut Sie später angetrieben?
Wirklich arm war ich nie. In meiner Jugend war ich immer unterwegs und habe mal hier und mal dort geschlafen, auch mal unter einer Brücke, oder mit vielen Gleichaltrigen in einem großen Raum einer Kommune.
Laut Medien sind nach wie vor mindestens 200 Beltracchi-Fälschungen in Umlauf. Sehen Sie öfters in Katalogen oder gar Galerien ein Bild und denken: „Ah, das ist von mir, aber nie enttarnt worden!“?
Manchmal sehe ich ein Werk, aber ich habe mir abgewöhnt, etwas dazu zu sagen. Man kann es niemandem recht machen. Wenn ich mich äußere, heißt es, ich wolle mich wichtig machen. Sage ich nichts, wird mir mangelnde Reue vorgeworfen.
Wenn Sie heute ein Porträt malen – was ist Ihnen wichtiger: Den Malstil des Vorbilds zu treffen oder die Persönlichkeit des Modells einzufangen?
Bei einem Porträt geht es immer darum, den Menschen und seine Persönlichkeit darzustellen.
Letzte Frage: Sind Sie trotz der Haftstrafe froh, dass Ihr Leben so verlaufen ist? Denn möglicherweise wären Sie sonst bloß ein kaum bekannter Künstler mit schmalem Einkommen geworden.
Das größte Kunstwerk, das ein jeder schaffen kann, ist das eigene Leben. Wir haben nur einmalig die Möglichkeit, dieses Werk zu gestalten.
WOLFGANG BELTRACCHI
Beltracchi wurde 1951 in Höxter als Wolfgang Fischer geboren, sein Vater war der Kirchenmaler und Restaurator Wilhelm Fischer. Er reiste durch Europa und Nordafrika, verkaufte hin und wieder ein eigenes Gemälde und wurde schließlich auf einem Hof in Viersen sesshaft. 1992 lernte er Helene Beltracchi kennen, heiratete sie 1993 und nahm ihren Namen an. Sie war an der Organisation der Betrugs-„Legenden“ um die „verschollenen“ Meisterwerke maßgeblich beteiligt. 1995 verließen sie gemeinsam mit ihren Kindern Deutschland und lebten bis zur Verhaftung 2010 in Südfrankreich.
Illustration Thorsten Kambach / Fotos Wolfgang Beltracchi