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2022-11-07 Stadtgeflüster Illustration Ekki kurz.tif

Tilman Fuchs und Stephan Günther sprechen über die Wahl und Münsters Probleme

MÜNSTER. JETZT.

Nach der vorgezogenen Bundestagswahl im Februar dürfen die Münsteraner in diesem Monat noch einmal an die Wahlurnen. Die Kommunalwahl steht vor der Tür, ein neuer Oberbürgermeister muss her, denn Markus Lewe tritt nicht erneut an. In den Startlöchern steht aber schon Tilman Fuchs von den Grünen, der Lewes Job gerne übernehmen würde. Bei der letzten Kommunalwahl ging es für die CDU- und Grünen-Kandidaten in die Stichwahl, die Markus Lewe seinerzeit knapp gegen den damaligen Kandidaten der Grünen, Peter Todeskino, gewann. Logischerweise wünscht sich Tilman Fuchs in diesem Jahr einen anderen Ausgang. Wir sprachen mit ihm über die Wahl und vor allem über die drängendsten Themen in Münster.

Warum bist Du der richtige Oberbürgermeister für Münster?


Okay, da gibt es, glaube ich, mehrere Gründe.


Wie gut, dass ich ein wenig Zeit eingeplant habe …


(Lacht) Gut! Ich bin Münsteraner und kenne die Stadt schon mein ganzes Leben lang. Das ist, so glaube ich, schon mal ein Vorteil, da ich viele Gesichter, Menschen und Geschichten kenne. Auch die Strukturen sind mir bestens vertraut. Dann komme ich ja mit jeder Menge Erfahrung aus der Verwaltung im Gepäck, sowohl bei der Stadt Münster als auch mittlerweile im Kreis Steinfurt.


Klingt nach einem soliden Lebenslauf. Was bringst Du denn noch an anderen Qualitäten mit? 


Menschen, die mich gut kennen, sagen, dass ich es schaffe, Menschen zusammenzubringen, mitzunehmen und Entscheidungen zu treffen. Momentan ist das vermutlich eine große Aufgabe in Münster, Dinge umzusetzen. Wir haben dazu viele Ideen, wir haben viele Konzepte, aber wir müssen umsetzen, und das habe ich in den letzten Jahren bewiesen, dass ich das kann. Genau das möchte ich in Münster auch machen.


Was läuft denn Deiner Meinung nach in Münster gerade richtig schlecht?


Meiner Wahrnehmung nach gibt es tatsächlich viele Sachen, die viel zu lange dauern. Wie ich es gerade schon andeutete, gibt es hier tolle Konzepte, ob Mobilitätskonzepte, Wohnkonzepte oder Klimaneutralitätskonzepte. Richtig gute Sachen, aber momentan ist mein Eindruck, dass wir den nächsten Schritt nicht hinbekommen, nämlich die Umsetzung! Das frustriert viele Beteiligte und natürlich auch Bürgerinnen und Bürger. Das ist ein wesentlicher Punkt.


Dann lass uns schnell mal wieder positiv werden. Was läuft denn gerade richtig gut in Deinen Augen?


Ich erlebe gerade in vielen Gesprächen, die ich mit Vereinen, Institutionen und auch einzelnen Menschen führe, dass es ein riesengroßes Engagement für die Stadt gibt. Dazu noch ein nicht mindergroßes Interesse, etwas zu bewegen. Ich glaube, das kann man wirklich gut nutzen, dieses Engagement. Die Rahmenbedingungen sind hier im Vergleich zu anderen Städten supergut.


Wenn es, wie Du sagst, in der Umsetzung scheitert, ist das dann auch eine verschleierte Kritik am jetzigen Oberbürgermeister?


Ich glaube, er hat mit Sicherheit auch seinen Teil dazu beigetragen. Ich kann das ja nur aus der Außenperspektive beurteilen, aber manchmal hat er sich zu wenig um die Verwaltung und die Stadt Münster gekümmert und etwas zu häufig, wohlgemerkt auf eine komplett tolle Art und Weise, die Stadt Münster repräsentiert. Das hat er super gemacht, aber dadurch sind andere Sachen liegen geblieben, also fehlende Entscheidungen in der Verwaltung, fehlende Strukturen, und ich glaube auch, dass sich das Verhältnis zwischen Politik und Verwaltung ein wenig verschoben hat.


Wie meinst Du das?


Die Verwaltung setzt Dinge nicht um, die der Rat beschließt, und der Rat beschließt sehr kleinteilig Dinge, weil er merkt, die Verwaltung setzt es nicht um. Das ist eigentlich verkehrt, eigentlich muss die Politik strategische Entscheidungen treffen.


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Ich glaube, das kann man wirklich gut nutzen, dieses Engagement.

Okay, Erfahrung in der Verwaltung, Kompetenz, es besser zu machen. Schön und gut, aber gefühlt hört man das ja häufiger von Kandidaten. Zuletzt in einem eher unspektakulären Interview mit Georg Lunemann.


Ich versuche einmal, das an einem konkreten Beispiel, aus meiner jetzigen Tätigkeit in Steinfurt zu verdeutlichen. Ich bin dort zuständig für den kompletten Sozialbereich, fünf Ämter gehören aktuell dazu. Als ich dort anfing, lief vieles gut. Die Ämter haben in ihren Zuständigkeitsbereichen, also dem Jugend-, Schul- und Sozialbereich, aber alle sehr für sich gearbeitet. Mittlerweile haben wir es geschafft, dass die Amtsleitung oder die beteiligten Personen bei allen Themen sofort überlegen, ob noch andere Bereiche involviert oder informiert werden müssen. Wir haben eine Kultur entwickelt, in der genau das wichtig ist. Es geht nicht immer darum, dass ich immer alles mit anstoßen und sehen muss, sondern dass es ein Vertrauen in die gute Arbeit der Ämter gibt. Ich glaube, dass wir deswegen an vielen Stellen die Entwicklung auch wirklich weiter voranbringen können und Dinge umgesetzt bekommen, die sonst in der Zuständigkeitsschleife viel länger dauern würden.


Also Prozesse optimieren, oder auch verschlanken?


Ja, wenn man es so nennt. Vernetzter und nicht in den einzelnen Bereichen denken. Den Anspruch zu haben, alles möglichst frühzeitig gemeinsam zu klären, in den diversen Bereichen mitdenken. Das spart Zeit und Ressourcen.


Ich habe mir eine Sache zum Thema „Was läuft richtig schlecht in Münster“ notiert: Wohnen und Mietpreise. Wie möchtest Du dieses Thema angehen?


Definitiv auch für mich das drängendste Thema! Da hängt ja eine ganze Menge dran. Es ist fast egal, mit wem man spricht, Uni, AStA, Handwerksbetriebe auf Auszubildenden-Suche oder Familien: Überall sind Wohnungen in Münster knapp oder kaum bezahlbar. Vielen bleibt dann nur, aus Münster wegzuziehen.


So würde ich das auch beurteilen, aber was ist das probate Mittel dagegen?


In den letzten Jahren ist ja schon sehr viel gebaut worden, auch im NRW-Vergleich mehr als in allen anderen kreisfreien Städten, häufig nur leider in Gegenden, die für sehr viele Menschen nicht bezahlbar sind. Dort kann man ansetzen und schauen, wie wir bezahlbaren Wohnraum schaffen.


Ich bin gespannt!


(Lacht) Da gibt es nicht DIE eine Lösung, es muss ein Bündel aus verschiedenen Bereichen sein. Ein Bereich wäre, genossenschaftliches Wohnen und Wohnprojekte zu fördern. Also durch die Gründung eines Vereins, der seinen Wohnraum selbst „beschafft“, am besten durch eigenes Eigentum. Nicht für jedermann, aber für die, die es mögen, eine wirklich gute Sache. Schöne Beispiele hier sind „Grüner Weiler“ oder „Südviertelhof“.


Klingt sehr interessant. Welche Bereiche wären noch im Bündel?


Städtische Grundstücke der Spekulation entziehen und nur noch in Erbpacht vergeben. Ein weiterer Bereich ist natürlich der geförderte Wohnungsbau. Den sollten wir so nutzen, und die geplanten und neu entstehenden Quartiere so zu entwickeln, dass sie verschiedene Wohnangebote miteinander vereinen. Sowohl mehrgeschossiges Wohnen, auch mit großen und kleinen Wohnungen, aber natürlich auch in Teilen Reihenhäuser und vor allem kleine Handwerksbetriebe und Ähnliches, um die Quartiere direkt so bunt zu machen, dass dort auch Arbeiten und Leben gemeinsam möglich ist.


Auch das klingt erst mal gut!


Unser Zielkonflikt, wenn ich jetzt als Grüner spreche, ist natürlich, dass wir auch schauen und wollen, dass wir, was Flächenversiegelung angeht, nicht zu viele, gerade Grünzüge in Münster durch die Versiegelung zerstören. Die sind notwendig für das Klima und das Leben in der Stadt.


Geht das eine nicht meist mit dem anderen einher?


Wir wollen erreichen, dass dort, wo die Quartiere ohnehin entstehen, auch direkt möglichst viele Wohnungen entstehen können. Es sollen sich nicht nur bestimmte Zielgruppen angesprochen fühlen.


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Verstehe.


Mein abschließender, aber sicher nicht letzter Punkt. Wir müssen wirklich bei bestehenden Wohnungen, gerade wenn diese Investmentfonds gehören, schauen, dass die Eigentümer diese nicht verwahrlosen lassen. Also Miete kassieren, aber das Objekt ansonsten weitestgehend sich selbst überlassen. Man kann sich das in Münster zum Beispiel in Coerde an der Königsberger Straße anschauen. Da könnte man zumindest schauen, ob man ein Modell hinbekommt, möglicherweise über eine Bürgergenossenschaft, das Objekt anzukaufen, zu sanieren und dann zu fairen Konditionen wieder vermieten zu können. Dann wirklich zusammen mit Stadt und privatem Kapital.


Kapital, gutes Stichwort. Um den Haushalt ist es ja auch nicht gerade so gut bestellt. Hast Du da auch Pläne, das Ganze wieder in geordnete Bahnen zu lenken?


Also ich stecke da tatsächlich auch bislang nicht wirklich tief drin. Wie ich aber mitbekomme, ist es schon eine Leistung, dass wir bisher nicht in die Haushaltssicherung geraten sind, trotz der vielen gestiegenen Belastungen der Sozialhaushalte. Also die Kosten, die von Bund und Land an uns weitergegeben werden, ohne Ausgleichszahlungen oder Konnexitätsanerkennung. Es wird aber immer schwieriger und wir müssen an vielen Stellen tatsächlich schauen: Was geht eigentlich noch? Das wird eine Riesenaufgabe und wir müssen wirklich in die Richtung einer möglichen Reduzierung von bestimmten Dingen schauen. Aber ich glaube, das kann man schaffen, wenn man die Leute mitnimmt und klare Rahmenbedingungen erklärt, aus welchen Gründen bestimmte Sachen eben funktionieren und eben nicht funktionieren.


Also sparen.


Das ist der eine Teil. Der andere Teil ist wirklich zu sagen, dass wir da priorisieren, wo wirklich die Leistungen direkt bei den Menschen ankommen, die Unterstützung brauchen, wo Leistungen quasi von uns finanziert oder unterstützt werden, wo Engagement, Bürgerwille quasi wirklich auch sehr dezidiert gefördert wird. Also ich glaube, das sind Prioritäten, die wir jetzt setzen müssen.


Also Du bist da eher der Realist, der sich nicht der Illusion hingibt, dass es unter Deiner Regie finanziell sofort wieder prosperiert?


Natürlich gehört es auch dazu, kluge Entscheidungen zu treffen, die uns in die Lage versetzen, sowohl unsere Ausgaben im Blick zu behalten, als auch das, was wir an Geld hereinbekommen. Zum Beispiel durch Verhandlungen mit Land und Bund oder die Prüfung, wo wir sonst noch Erträge generieren. Wir müssen schauen, wie wir ansässige Firmen davon überzeugen, auch ihre Gewerbesteuern hier zu bezahlen. Aber ich bin da realistisch genug, dass sich durch meine Wahl nichts von einem auf den anderen Tag verändern würde und plötzlich alles funktioniert. Das wird Jahre dauern, bis wir da wieder herauskommen.


Wo siehst Du denn die Gründe, dass Münster finanziell so schlecht dasteht? Misswirtschaft? Pandemie?


So schlecht stehen wir ja zum Glück im Vergleich auch nicht da, also im Vergleich zu vor ein paar Jahren in Münster schon, aber im Vergleich zu vielen anderen Kommunen eben nicht. Deswegen glaube ich nicht, dass es Misswirtschaft ist. Ganz viel spielt sich in meinen Augen in der Gesamtstruktur ab. Das bekomme ich ja auch in meinem jetzigen Job mit, was wir alles an Ausgaben haben. Die sind auch gut und richtig für die einzelnen Menschen, die Anspruch haben. Den Deckel zahlen aber wir als Kommune. Das können Hilfe zur Pflege oder andere Sozialleistungen sein. Wir haben aber die entsprechende Refinanzierung nicht mehr, oder Steuermittel vom Bund. Da entwickeln sich einfach Bedarfe mit der Zeit. Pflege, demografische Entwicklung – all das führt zu höheren Ausgaben.


Klingt nach einer Zwickmühle.


Und wenn man dann noch sieht, was an Umlage auch zum Beispiel an den Landschaftsverband geht, der auch wichtige Aufgaben erfüllt. Aber im Prinzip zahlen wir auch hier den Deckel, da wir über den Bund nicht das eigentlich versprochene Geld wiederbekommen. 

Wir sind gespannt, ob es einen Wechsel gibt und was er bringen wird. Tilman, vielen Dank für das nette Gespräch!


Tilman Fuchs ist 55 Jahre alt und lebt mit seiner Frau und seinen drei Töchtern in Münsters Südviertel. Nach seinem Abitur am Hittorf-Gymnasium studierte er in Münster Sozialpädagogik. Beruflich ist er aktuell Dezernent für Schule, Kultur, Sport, Jugend und Soziales im Kreis Steinfurt. Privat geht er gerne wandern und klettern, oder haut seinem Gegner beim Padel, Speckbrett oder Squash die Bälle um die Ohren.

Illustration Thorsten Kambach / Fotos Paul Metzdorf

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