
„Vollgas ist kein Stil, sondern Haltung“ – The BossHoss im Interview mit Tom Feuerstacke
ROCK, RIFFS UND RODEO – BACK TO THE BOOTS
20 Jahre The BossHoss – und noch immer kein bisschen leiser. Sascha und Alec haben das, was man als deutsches Country-Rock-Duo kaum für möglich hielt, zu einer echten Marke gemacht: Cowboyhüte, Vollgas-Riffs und eine Bühnenpräsenz, die zwischen Texas-Klischee und Berliner Großstadtsound oszilliert. Im Gespräch erzählen sie, wie sie den Spagat zwischen Mainstream-TV, Rockfestivals und Underground-Konzerten meistern, warum der Reiz der Bühne nach wie vor größer ist als jede Streaming-Statistik, und wie es gelingt, eine Fangemeinde zu erreichen, die von Motörhead bis Kraftklub reicht. Ein Gespräch über Leidenschaft, Ausdauer und die Kunst, sich selbst nie zu wiederholen – so unverstellt wie ihre Musik selbst.
„Back to the Boots“ klingt schon nach „Back to the Roots“. Was ist passiert?
Sascha: Eigentlich gar nichts Dramatisches. Wir feiern dieses Jahr zwanzigjähriges Jubiläum. Und wenn du mal schaust – in den vergangenen 20 Jahren, bei zehn Alben, haben wir musikalisch echt alles durchprobiert. Country, Rock, Pop, Beats, bisschen hier, bisschen da. Unser Genre lebt von dieser Mischung. Und wir sehen es tatsächlich auch als unser Erfolgsrezept, dass wir uns nie auf der Stelle ausgeruht haben.
Klingt nach viel Experimentieren?
Sascha: Absolut. Aber eines Tages stellst du dir die Frage: Wie fing eigentlich alles an? Nach 20 Jahren haben wir gesagt: Lass uns die ersten fünf Jahre, die ersten fünf Alben noch einmal aufgreifen. Musikalisch heißt das: mehr Rock, mehr ehrlicher Country, weniger von den Spielereien der letzten Alben.
Alec: Ein Stück Rückbesinnung auf die Anfänge. Ohne Nostalgie-Kitsch, eher so wie: Hey, das war unser Fundament.
Wann habt ihr euch festgelegt, dass ihr ein solches Rückbesinnungs-Ding machen wollt?
Sascha: Das war keine Spontanaktion. Die Idee schwirrte uns schon länger im Kopf herum. Zehntes Studioalbum, 20 Jahre Bandgeschichte. Da denkst du: Wenn nicht jetzt, wann dann? Dieses Mal wollten wir’s pur haben. 100 Prozent The BossHoss, unverfälscht, roh.
Alec: Eben das, was den Sound im Kern ausmacht. Kein Schnickschnack, kein Überbau.
Wann kam die Idee eigentlich konkret?
Sascha: Naja, nach ’nem Album lässt man ja alles sacken. Und dann kommt automatisch die Frage: Wann bringen wir das nächste? Relativ früh war klar: Zum Zwanzigjährigen muss etwas Besonderes kommen.
Alec: Ursprünglich hatten wir sogar die Idee, unser Debüt „International Urban Hymns“ einfach als Teil 2 herauszubringen.
Sascha: Aber das haben wir schnell verworfen. Wäre vielleicht falsch herübergekommen – so als würden wir uns eins zu eins wiederholen. Uns war klar: Es muss zeitgemäß sein, unsere Entwicklung der letzten 20
Jahre spiegeln.
Also kein reiner Nostalgie-Trip?
Sascha: Die Idee selbst ist vielleicht zwei Jahre alt. Richtig losgelegt haben wir im Dezember, im Januar ging’s aktiv ins Studio, und bis Ende Mai war alles im Kasten.
Wenn ich „Country“ höre, denke ich zuerst an Johnny Cash. Ich bin jetzt keiner, der ständig Country FM dudeln lässt. Aber ich bin bei euch hängen geblieben. Damals, als ihr noch gecovert habt. Jetzt höre ich euer neues Album, und da kommt dieses Brett „One More Time“. Für einen Moment habe ich gedacht: Billy Idol ist wieder da. Was ist da passiert?
Sascha: (lacht) Genau das wollten wir! Country, klar – aber immer mit Rock als DNA. Ich komme aus dem Rockabilly, Alec aus einer härteren Ecke. Live ist es ohnehin alles noch eine Schippe lauter, dreckiger, schwitziger.
Apropos abfackeln: Eure Fans füllen längst Arenen. Und jetzt kommt ihr mit einer Clubtour um die Ecke. Skaters Palace Münster, 500 Leute, sofort ausverkauft. Ist das nicht, als würdet ihr eure Fans ein wenig auf Diät setzen?
Alec: Klar, das ist ein Kontrastprogramm. Aber genau so war es gedacht. Keine große Tour, sondern ein spezielles Release-Ding. Zehn Clubshows, alle ausverkauft. Für uns war es wichtig, zum Albumrelease wieder dorthin zurückzugehen, wo alles angefangen hat.
Sascha: Keine Sorge: Das war nur der Auftakt. 2026 gehen wir wieder groß raus. Da planen wir eine komplette Open-Air-Season.
Wenn man 20 Jahre zurückschaut – Deutschland war nicht gerade das Land, das Country im Blut hatte. Da gab es Tom Astor, Gunter Gabriel, vielleicht noch Truck Stop. Und dann kamt ihr. Habt ihr damals geahnt, dass das so einschlagen würde?
Alec: Natürlich nicht. Null. Es gab keine Schublade für uns – weder im Radio noch im Mainstream. Wir waren eigentlich eine Schnapsidee, geboren im Proberaum nach Feierabend. Dann haben wir Freunden vorgespielt – die einen fanden es irre, die anderen genial. Plötzlich sprach sich das herum. Berlin rannte uns die Bude ein, und zack, wurde ein Hype daraus. Aber dass das mal 20 Jahre trägt? Nie. Wir dachten, wenn überhaupt, dann ein Album.
Sascha: Als dann Universal anklopfte, haben wir uns echt gekniffen: „Alter, die meinen das ernst?“ Aber dass wir mal zehn Studioalben und zwei Jahrzehnte später noch hier stehen, das hat keiner geahnt.
Ihr habt es eben gesagt – Schnapsidee, Hype. Viele solcher Hypes sind genauso schnell wieder weg. Bei euch nicht. Lag das daran, dass ihr nicht bei der Cover-Nummer stehen geblieben seid?
Sascha: Absolut. Der Grund, warum wir überhaupt einen Plattenvertrag bekommen haben, war dieses Ding: Wir haben Britney Spears, Eminem und so weiter auf Country gemacht. Aber wir wussten: Wenn wir uns nur wiederholen, sind wir weg vom Fenster.
Alec: Also haben wir ab dem zweiten Album eigene Songs geschrieben. Mehr The-BossHoss-DNA, weniger Cover. Beim dritten Album fast nur noch eigenes Material, dazu rockiger, härter. Jede Platte ein Schritt weiter, immer Entwicklung.
Sascha: Wenn wir einfach immer nur die gleichen Gags wiederholt hätten, wär’s nach einer Platte vorbei gewesen. So aber konnten wir wachsen.

Wenn nicht jetzt.... wann dann?
Eure Fans füllen längst Arenen, da stehen 10 000, 15 000 Leute vor der Bühne und grölen mit. Und jetzt kommt ihr mit so einer Clubtour um die Ecke. Skaters Palace Münster – 500, 600 Leute, zack, ausverkauft. Da könnten die Fans doch auch sagen: „Ey, was soll das, warum dürfen wir nicht rein?“ Kriegt ihr das nicht um die Ohren gehauen?
Sascha: (lacht) der Gedanke liegt nahe. Aber genau das war unser Plan. Wir wollten keine Riesentour parallel zum Albumstart, sondern etwas Intimes. Zehn Clubshows, fertig. Schwitzige Wände, enge Bühne, Bierflaschen auf einem Amp – genau da, wo wir herkommen. Dass die Tickets in Minuten weg waren, hat uns geflasht. Aber wir sehen das nicht als Ausschluss, sondern als Geschenk an die Hardcore-Fans.
Alec: Und es passt einfach zum Konzept von Back to the Boots. Wenn du ein Album herausbringst, das „Rückbesinnung“ heißt, dann gehört dazu auch die Rückkehr in die Clubs. Da gibt es kein Sicherheitsnetz, keine Pyroshow, da zählt nur Energie. Aber klar: Wir wissen auch, dass wir viele Fans haben, die uns in den großen Hallen sehen wollen. Deshalb bleibt’s dabei: Diese Clubtour ist ein Special. Danach gibt es wieder die große Kelle.
Das heißt: Vorspeisenteller jetzt, Hauptgericht später. Wird die nächste Runde dann wieder in Richtung Clubtour gehen – oder doch die große Nummer?
Sascha: Ganz klar die große Nummer. 2026 wird Open-Air-Season. Keine Clubs, keine Arenen. Wir gehen raus. Sonne, Bier, Staub, Sommernächte. Wir planen ungefähr 25 Open-Air-Shows quer durch Deutschland, zwischen Juni und September.
Alec: Wir wollten mit den Clubshows bewusst klein starten. Aber unser Herz schlägt natürlich auch für die Open-Air-Bühnen, wo du die Massen siehst, wo alles bebt. Im Club bist du mittendrin, draußen bist du überwältigt von der Größe. Beides gehört zu uns. Und die Fans können sich sicher sein: Wer dieses Mal leer ausgegangen ist, bekommt nächstes Jahr die volle Packung.
Auf Social Media hatte ich fast den Eindruck, ihr hättet längst die Koffer gepackt und wärt nach Amerika gezogen. Texas, Kanada, Highways ohne Ende. Und dann noch ständig Arnold Schwarzenegger im Bild. Ich dachte schon, ihr wohnt bei dem im Gästezimmer und grillt mit ihm Steaks im Garten. Was war da los?
Sascha: (lacht) Nee, so weit ist es nicht gekommen. Klar, wir waren in den USA, haben auch in Texas gespielt und in Kanada getourt. Aber die letzten Jahre sind wir hauptsächlich für Videos rüber. Social-Media-
Content, Bildsprache, Atmosphäre – da kannst du in den Staaten richtig was holen. Und ja, Arnold hat das Ganze noch mal besonders gemacht.
Alec: Arnold ist fast schon ein eigenes Kapitel. Wir haben ihn vor drei Jahren bei einem Klimakongress in Wien kennengelernt. Er wollte, dass wir einen Abend musikalisch auflockern. Wir haben gespielt, er fand es gut – seine Frau Heather übrigens auch. Plötzlich war da eine Verbindung.
Sascha: Danach kam eins zum anderen. Wir haben uns engagiert, bei einer Charity-Gala ein Wohnzimmerkonzert versteigert – 100 000 Euro für die Klima-Initiative. Das war der Start einer Freundschaft. Letztes Jahr dann der Anruf: „Kommt nach L.A., ich mache Oktoberfest in meinem Garten, habt ihr Bock?“ Klar hatten wir. Da haben wir ihm erzählt, dass wir am neuen Album arbeiten, und gefragt, ob er nicht Lust hätte, dabei zu sein. Wir haben ihm ein Demo vorgespielt – er fand es mega.
Alec: Also ging’s ins Netflix-Studio in L.A., da haben wir den Song mit ihm aufgenommen. Und im April waren wir wieder da, um das Video zu drehen – und da hat Arnold tatsächlich selbst mitgespielt.
Als deutsche Band in Amerika Country zu spielen – das klingt erst einmal wie Dönerbude in Texas. Wie war das, als ihr das erste Mal in Texas auf die Bühne musstet?
Sascha: Ganz ehrlich, Muffensausen hatten wir. Du weißt nie, ob die das ernst nehmen. Wir standen in Texas auf der Bühne und haben uns gedacht: „Alter, das kann auch komplett nach hinten losgehen.“ Aber: Es war das Gegenteil. Die haben sofort gecheckt, dass das eine Hommage ist, dass wir ihre Kultur feiern – und wir es mit Schmackes machen. Nach dem dritten Song hatten wir sie.
Alec: Country-Bands haben die in den Staaten wie Sand am Meer. Aber wir kommen mit unserem eigenen Twist. Wir nennen das den „German Twang“. Ein bisschen Sauerkraut-Cowboy, ein bisschen Rock’n’Roll, dazu unser Humor. Genau das macht es spannend. Die sagen nicht: „Was wollen die Deutschen hier?“, sondern: „Geil, die meinen es ernst – und anders.“
Ihr seid jetzt seit 20 Jahren gemeinsam unterwegs. Gab es in dieser Zeit Momente, in denen ihr dachtet: „So, die Geschichte von The BossHoss ist auserzählt“?
Sascha: Nein, diesen Gedanken hatten wir nie. Dafür macht uns das Ganze zu viel Spaß. Aber – und das gehört dazu – hatten wir immer wieder den Punkt, an dem wir gesagt haben: „Ey, wir müssen aufpassen, dass wir uns musikalisch nicht wiederholen.“ Stillstand wäre für uns das Schlimmste.
Alec: Das Schöne war für uns immer, dass wir uns bewegen konnten. Neue Einflüsse hereinlassen, Neues ausprobieren. Wenn du dir das nicht gönnst, ist Schluss. Aber „auserzählt“? Nee, das Gefühl hatten wir nie. Dafür sind wir einfach noch zu neugierig.

Wir müssen aufpassen, dass wir uns musikalisch nicht wiederholen.
Wenn man an Country denkt, hat man sofort die Klischeebilder im Kopf: Cowboyhüte, Trucks, Hobby-Cowboys. Aber bei euren Konzerten sieht man eben Leute, die sonst eher bei Kraftklub oder Motörhead stehen. Wie habt ihr es geschafft, so ein diverses Publikum mitzunehmen?
Alec: Das hat viel damit zu tun: Wir haben uns musikalisch nie eingeengt. Country war der Start, klar, aber wir haben von Anfang an alles mit hereingeworfen – Rock, Pop, Punk, auch mal Funk. Dadurch holst du automatisch verschiedene Leute ab.
Sascha: Und dann kam noch was dazu: Wir sind im Fernsehen gelandet. Das hat uns eine riesige Bandbreite an Fans gebracht – vom Rockfestival bis zur Samstagabend-Show. Aber man muss aufpassen. Es darf nie zu viel in eine Richtung kippen.
Alec: Wir dürfen nicht nur im TV sein – sonst verlierst du die Rock-Leute. Aber wenn wir nur auf Underground machen, verlierst du die breite Masse. Das Geheimnis ist diese Gratwanderung.
Sascha: Mal spielen wir im Vorprogramm von Motörhead in England, mal sitzen wir in einer großen Samstagabend-Show. Aber immer mit dem Anspruch, dass der Rockfaktor im Kern bleibt. Das sorgt dafür, dass unsere Fans nicht alle gleich aussehen – und genau das ist das Geile daran.
In fünf Jahren feiert ihr Silberhochzeit – 25 Jahre The BossHoss. Nach „Back to the Roots“: Was können wir da erwarten?
Sascha: (lacht) Wenn wir das schon genau wüssten! Offen gesagt, keine Ahnung. Wir machen erst einmal das hier, dann kommt die nächste Live-Saison – und dann schauen wir weiter.
Alec: Aber eins ist sicher: Wir machen weiter. Nächstes Jahr spielen wir garantiert wieder live, vielleicht fangen wir 2027 an, an neuem Material zu arbeiten. Traditionell hat es bei uns immer so zwei Jahre gedauert, bis ein neues Album fertig war – das wird dieses Mal wahrscheinlich auch so sein.
Sascha: Wobei man sagen muss: Wer weiß, ob es in fünf Jahren noch klassische Alben gibt? Vielleicht droppen Bands dann nur noch regelmäßig Singles auf Streaming-Plattformen und packen sie mal als
„Vinyl-Special“ zusammen.
Alec: Ja, die Zeiten haben sich krass geändert. Aber egal, ob Album oder Song-by-Song – was für uns zählt, ist live. Auf die Bühne gehen, mit den Leuten feiern, die Songs herausballern. Das ist das Herzstück von The BossHoss.
The BossHoss
The BossHoss ist eine 2004 gegründete siebenköpfige Band aus Berlin. Alec Völkel und Sascha Vollmer sind die Macher der Band, texten und komponieren ihre Songs selber. Der Ursprung des Namens der Band liegt im Song von „The Sonics“: Boss Hoss.
lllustration Thorsten Kambach / Fotos Internashville


