Arndt Zinkant spricht mit Soetkin Stiegmeier-Oehlen über Kunst, Frieden und Bürger-Engagement
THE MÜNSTERIANS
Als die Brunnen-Skulptur „Sketch for a Fountain“ 2021 an der Kreuzschanze eingeweiht wurde, herrschte Volksfeststimmung. Nicole Eisenmans Werk, eines der beliebtesten bei den Skulptur-Projekten 2017, war vom Verein „Dein Brunnen für Münster e.V.“ nun dauerhaft für die Stadt gesichert worden. Soetkin Stiegemeier-Oehlen ist dessen Sprecherin und erzählt die Geschichte samt ihrem düsteren Beginn.
Beginnen wir doch mit den Anfängen: Wie ist es mit dem Projekt „Dein Brunnen für Münster“ losgegangen?
Das war am Ende der Skulptur-Projekte 2017. Der Brunnen beziehungsweise die Skulptur „Sketch for a Fountain“ von Nicole Eisenman war ja damals einer der beliebtesten Beiträge in der Stadt. Und wir waren fassungslos, dass ausgerechnet diese Skulptur Vandalismus erfuhr und mit homophoben und antisemitischen Schmierereien verschandelt worden war. Das war kurz bevor die AfD in den Bundestag gewählt wurde. Wir wollten mit dem Erhalt des Brunnens ein Zeichen setzen – für Münster als Stadt des Friedens, der Offenheit und Toleranz.
Es ging also nicht in der Hauptsache darum, Kunst für die Stadt zu erwerben.
Unser Ansatz war und ist, mit dieser Bürgerinitiative zu einem friedlichen Miteinander aufzurufen. Und „Dein Brunnen für Münster“ schließt da alle Bürgerinnen und Bürger mit ein! Die Brunnenfiguren, wie sie modelliert wurden, sind ja völlig nackt und schutzlos. Diese brutalen Angriffe haben uns so berührt, dass wir dachten: „Das kann man so nicht stehen lassen, wir müssen irgendetwas machen!“ Wir, das waren ursprünglich Sandra Silbernagel, Uta Ramme, Maria Galen, Manfred Petermann und ich.
Mittlerweile sind gut zwei Jahre vergangen. Wo steht ihr heute – gibt es eine Zwischenbilanz?
Das Kunstwerk hat beinahe über Nacht die Herzen Münsters erobert. Die Künstlerin hatte es sich ja so gewünscht. Diese Vision hatten wir immer vor Augen, aber nicht wirklich erwartet, dass es ohne Zwischenfälle gelingen würde: Dass dieser Ort ein so absolut friedlicher wird. Egal, wann du dort hinkommst, es ist immer eine wunderbare friedvolle Stimmung. Und immer entwickeln sich dort tolle Gespräche.
Anfangs waren ja nicht alle Bürgerinnen und Bürger uneingeschränkt dafür, wie auch Leserbriefe in der Zeitung bewiesen. Aber auch die Skeptiker, so kann man mittlerweile sehen, haben sich überzeugen lassen. Ich selbst habe Leute kennengelernt, die noch nicht lange in Münster wohnen, und die sagen: „Das ist mein absoluter Lieblingsort.“ Dort spielen Kinder in entspannter Atmosphäre, beinahe wie in einer Badeanstalt. Einfach ein Traum!
Ich war ja seinerzeit bei der Eröffnung 2021 dabei, und es herrschte Volksfeststimmung. Hat dich das damals gerührt?
Wir hatten das ganze Event minutiös durchgeplant. Dennoch war unklar, wie es ablaufen würde, allein schon wegen der Corona-Maßnahmen damals. Wir hatten da ja nur ein kurzes Zeitfenster, innerhalb dessen man im öffentlichen Raum feiern konnte. Wir gingen zuvor von etwa 500 Leuten aus. Für uns alle war das Event sozusagen ein Ankommen, den Brunnen und die Figuren wirklich dort stehen zu sehen. Darauf hatten wir ja all die Zeit zuvor hingearbeitet: Die gesamte Bauphase hatte ja nur zehn Wochen gedauert, vom ersten Aufreißen des Bodens bis zum Eröffnungstag. Trotzdem konnten wir an diesem Tag völlig loslassen. Wir haben dann über die Wiese geschaut und konnten kaum fassen, wie viele Leute gekommen waren – es müssen so an die 2000 gewesen sein! Die Stimmung war unglaublich!
Das Budget umfasste damals etwas über 800000 Dollar, wenn ich mich richtig erinnere.
Nein, nicht so ganz. Unsere ursprüngliche Ansage lautete 1,2 Millionen. Deshalb lief die Spendenaktion zunächst eher schleppend, weil viele das eher belächelten. Motto: Das kann man nicht schaffen! Dann haben wir kontinuierlich zu den öffentlichen Treffen in der Trafostation aufgerufen – an dieser Stelle noch mal Dankeschön an die Trafostation, dass wir sie ein Jahr lang quasi als unser Basecamp nutzen konnten. Wir riefen die Öffentlichkeit dazu auf, mit uns über das Projekt ins Gespräch zu kommen. Rasch kam die Frage auf: Warum ist so ein Kunstwerk eigentlich so teuer?
Es wurde alles minutiös durchgeplant
Und wie erklärt man das Otto Normalverbrauchern?
Wir haben eine Videokonferenz mit der damaligen Galerie von Nicole Eisenman gemacht, der „Anton Kern Gallery“ in New York. Der Senior Manager war auch bei der Eröffnung und hat auch witzigerweise als Kind in Münster gelebt: Christoph Gerozissis. Ihn baten wir also zu erklären, wie der Wert so eines Kunstwerks zustande kommt. Man muss sich an der Stelle auch klarmachen, dass das in Amerika ganz anders läuft: Da lädst du zehn reiche Leute zum Essen ein, und am Ende des Abends hast du das Geld (lacht). Deswegen war dem Galeristen gar nicht bewusst, wie viel Arbeit das hier bei uns in Münster bedeutet. Weil es eben von uns als eine Bottom-up-Initiative gedacht war, bei der ganz viele mitmachen sollen.
Und das brachte die Wende?
Als denen in Amerika klar wurde, was wir hier leisten und wie es abläuft, hat sie das schon sehr berührt, und sie entschlossen sich: „Wir wollen daran auch nichts verdienen.“ Daraufhin sind sie uns um die Hälfte entgegengekommen, also von 1,2 Millionen auf 600000. Und diesen Preis kann man eben wunderbar den Leuten erklären: Da sind die Herstellungskosten, es muss ein Atelier betrieben werden, ein Marketing muss vorhanden sein und so weiter. Die 800000-Dollar-Summe, an die du dich erinnerst, rührt daher, dass auch etwa 200000 für den Brunnenbau veranschlagt werden mussten. Konkret sind es dann 250000 geworden, insgesamt also circa 850000 für Ankauf und Brunnenbau.
Zwecks Spendensammeln habt ihr ja auch im Rahmen des diesjährigen Münster-Marathons einen Staffellauf zu dritt absolviert. Hast du dafür hart trainiert?
Einerseits jogge ich durchaus regelmäßig, war aber andererseits gerade in diesem Jahr kaum dazu gekommen. Aber die Kondition reichte zum Glück für meinen Laufanteil noch aus. Wir hatten allerdings einen krankheitsbedingten Ausfall und Maria hat dann spontan einen Halbmarathon hingelegt. Chapeau!
Und was ist dabei reingekommen?
Wir haben noch nicht alles eingefahren, aber so etwa 3000 Euro. Es ging ja auch nicht zuletzt darum, wieder in die öffentliche Wahrnehmung hineinzukommen. Vielen ist nicht bewusst, dass wir auch für den Unterhalt des Brunnens verantwortlich sind. Dafür brauchen wir circa 15000 Euro im Jahr.
Mehr Geld habt ihr ja eingenommen durch Radierungen von Nicole Eisenman, welche die Brunnenfiguren darstellen: „The Münsterians“. Die waren doch im Sommer auch im LWL-Museum zu bewundern?
Konkret war es so, dass Nicole Eisenman uns 2018, als wir diesen Spenden-Marathon absolviert hatten, die Edition zum Geschenk machte, um sie zu verkaufen. 70 Exemplare, die wir für jeweils 500 Euro abgeben durften – innerhalb von drei Tagen waren die ausverkauft. Und das LWL-Museum, das unsere Aktion begleitet und dokumentiert, fragte bei der Künstlerin direkt an, ob es nicht auch eine dieser Radierungen kaufen könnte. Sie fragten außerdem, ob man vielleicht eine kolorierte Version bekommen könnte. So haben sie nun ein Original und eine kolorierte Radierung. Diese wurden nun im Rahmen der langen LWL-Nacht im Sommer präsentiert und wir haben dann im Anschluss daran einen Gang zum Brunnen gemacht und dort noch eine Führung veranstaltet.
Ist die Künstlerin eigentlich mittlerweile in Münster gewesen und hat sich das Ergebnis eurer Mühen angeschaut?
Das kann ich leider bislang nicht vermelden. Der Anfang fiel ja in die Corona-Zeit und deshalb ist sie ja auch zur Eröffnung nicht angereist. Sie hat uns damals aber einen wunderbaren O-Ton geschickt. Sie hat fest vor zu kommen. Bislang hat es eben leider noch nicht geklappt. Deswegen planen wir jetzt, sie noch einmal ganz gezielt einzuladen und dies mit einer Veranstaltung zu verbinden. Denn sie muss den Brunnen und ihr Werk ja noch „abnehmen“. Im ersten Jahr war außerdem der Rasen noch nicht so richtig angewachsen, alles wirkte noch recht matschig und unansehnlich. Und wir möchten natürlich, dass sich, wenn sie dann kommt, auch wirklich alles von der besten Seite zeigt. Wir hoffen aufs nächste Jahr.
Ich würde künftige Aktionen nicht ausschließen
Zur Eröffnung ließ die Künstlerin seinerzeit bestellen, dass sie sich wünscht, es mögen in dem Brunnen zukünftig Kinder spielen. Du hattest ja zu Beginn angedeutet, dass sich der Wunsch schon erfüllt hat.
Ja, das ist absolut ein Traum. Wir schicken ihr öfter Bilder, die belegen, dass dort wirklich eine tolle Stimmung herrscht und Kinder im Brunnen spielen – also genau die Vision sich erfüllt hat, die ihr vorschwebte.
Außerdem veranstaltet ihr ja die sogenannten Brunnentreffen. Wie laufen die denn ab?
Die haben wir von Anfang an veranstaltet, jeden dritten Donnerstag im Monat um 19 Uhr, und wer gerne eine Erinnerungsmail zu dem Termin hätte, kann sich in unserem Newsletter eintragen lassen. Die Leute sollen sich einfach am Brunnen treffen, um dort Gespräche zu führen, und wenn ihnen gute Ideen kommen, sollen sie uns ansprechen. Wir sind wirklich für alles offen. In Zeiten wie diesen, wo die Gesellschaft sich immer mehr polarisiert, brauchen wir Orte, an denen man miteinander sprechen kann. Dazu laden wir alle ein.
Ich habe gelesen, dass der Brunnen für zehn Jahre „gesichert“ sei. Heißt das, dass er eventuell irgendwann doch seinen Platz wieder räumen muss?
Es ist so, dass wir als Verein für zehn Jahre als Eigentümer die Verantwortung tragen. Immerhin haben wir auch die Fläche gepachtet – mit allen Pflichten. Und nach zehn Jahren stellt sich dann die Frage, was im Weiteren daraus wird. Vertraglich ist es so geregelt, dass theoretisch der Brunnen auch wieder abgebaut werden könnte. Aber dazu wird es natürlich nicht kommen.
Meine Prognose ist ebenfalls, dass er dauerhaft dort bleiben wird – ähnlich wie die Aasee-Kugeln. Die wurden im Übrigen auch nicht sofort geliebt. In den Siebzigern gab es regelrechte Anarcho-Aktionen, bei denen die „Pool Balls“ in den Aasee gerollt werden sollten!
Ja, davon habe ich auch mal ein Foto gesehen: Studierende, die die Kugeln mit einem riesigen Balken wegbewegen wollten. Aber ein Brunnen ist noch mal etwas ganz Besonderes, und das liegt am Wasser. Nicht zuletzt deshalb wird er geliebt. Wasser hat so etwas Archaisches, ähnlich wie Feuer. Wenn du 30 Leute zu dir einlädst, stehen die meisten in der Küche – weil dort „das Feuer brennt“.
Letzte Frage: Könntest du dir vorstellen, noch mal so ein Mammut-Projekt zu stemmen?
Kommt drauf an. Ich würde nicht unbedingt noch mal ein weiteres Kunstwerk in Münster installieren wollen – denn ich bin ja sozusagen über den Inhalt, über die Vision zu dem Projekt gekommen. Aus dem Grund würde ich zukünftige Aktionen aber auch nie ausschließen wollen.
Der Verein „Dein Brunnen für Münster e.V.“ bestand ursprünglich aus der „Gruppe der Fünf“. So nannten sich humorig jene fünf Personen, die sich spontan zusammengefunden hatten, um die Nicole-Eisenman-Skulptur dauerhaft an der Kreuzschanze zu installieren: Bildhauerin Sandra Silbernagel, Uta Ramme, Kunsthändlerin Maria Galen, Banker Manfred Petermann und Soetkin Stiegemeier-Oehlen, die als Eventmanagerin arbeitet. Dem Verein gehört nun die Skulptur und er benötigt für ihre Erhaltung eine jährliche Spendensumme von 15000 Euro.
Alle Interessierten sind zu den „Brunnentreffen“ eingeladen, die an jedem dritten Donnerstag des Monats um 19 Uhr am Brunnen stattfinden.
llustration Thorsten Kambach / Fotos Michael Kerstiens