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2022-11-07 Stadtgeflüster Illustration Ekki kurz.tif

Arndt Zinkant und Rainer Zitelmann über eine hässliche Zukunftsvision

SCHÖNHEIT VERBOTEN! 

Attraktive Frauen genießen viel Aufmerksamkeit. Auch die von Rainer Zitelmann – deshalb hat der studierte Historiker und Soziologe ihnen nach rund 30 Sachbüchern seinen ersten Roman gewidmet: „2075. Wenn Schönheit zum Verbrechen wird“. Die dystopische Zukunftsvision zeigt eine auf Gleichheit fixierte Gesellschaft, die weibliche Schönheit für ungerecht erklärt – und ausmerzen will. (Zu) schöne Frauen müssen sich zum Beispiel operativ dem Mittelmaß angleichen oder sogar sterilisieren lassen. Was das alles mit unserer Gegenwart zu tun hat, erzählt Zitelmann im Interview.

In Ihrem Roman wird weibliche Schönheit quasi unter Strafe gestellt. Ist Schönheit irgendwie gefährlich?


Schöne Menschen rufen – so wie alle, die über den Durchschnitt hinausragen – entgegengesetzte Reaktionen hervor: Bewunderung und Neid. Dies ist ein Roman über die politische Instrumentalisierung von Neid.


Wie steht es mit der Schönheit allgemein, etwa dem Schönheitsbegriff in der Kunst? Ist dieser im Kontext des Romans ebenfalls verdächtig?


 Ja, Bilder von schönen Frauen, zum Beispiel in Museen, müssen entfernt werden, und der Besitz solcher Bilder ist verboten. Filme mit schönen Frauen dürfen nur noch gezeigt werden, wenn sie eine sehr unsympathische Rolle spielen.


Es wird natürlich argumentiert, dass schöne Frauen unverdiente Vorteile genießen, und diese sollen vom Staat ausgemerzt werden. Welche Vorteile sollen das genau sein?


Jeder weiß, dass schöne Frauen bessere Chancen bei der Partnerwahl bzw. auf dem Heiratsmarkt haben. Es gibt auch Studien, die darauf hinweisen, dass schöne Menschen im Berufsleben Vorteile haben. Wobei ich selbst nicht glaube, dass das auch für die Superschönen gilt, um die es in meinem Buch geht.


In den letzten Jahrzehnten sind unbestritten auch Männer über Attraktivität zum Erfolg gelangt – seien es Männermodels oder Clooney und Konsorten. Ist es nicht unzeitgemäß, sich auf das weibliche Geschlecht zu beschränken?


In dem Buch „2075“ gibt es eine egalitäre Bewegung, die sich MOVE nennt. In dieser Bewegung wird in der Tat kontrovers diskutiert, ob sich die Maßnahmen nur gegen schöne Frauen oder auch gegen schöne Männer richten sollen. Es setzt sich jedoch zunächst der Flügel durch, der dafür ist, mit den Frauen zu beginnen. Deren Argument lautet: Männer haben nicht so große Vorteile durch Schönheit wie Frauen, da sie weniger gutes Aussehen leichter durch andere Dinge, zum Beispiel Geld, Macht oder Status kompensieren könnten.


Sie projizieren Ihre Handlung ins Jahr 2075. Wie nah sind wir jetzt bereits an der schönheitsfeindlichen Dystopie? 


Immerhin gibt es Indizien, zum Beispiel die Wahl der Miss Germany, die seit Kurzem von körperlichen Idealen entkoppelt wurde.Die häufigste Kritik an dem Buch lautete in der Tat, dass es erst in 50 Jahren spielt und nicht beispielsweise in fünf oder zehn Jahren. Wir wissen nicht, ob es jemals so eine Bewegung geben wird und ob diese in zehn oder 50 Jahren entsteht. Schönheit ist in gewisser Hinsicht auch nur eine Chiffre. Extreme, egalitäre Bewegungen haben in der Geschichte viel Unheil angerichtet. Nur hat sich der Kampf meist gegen die Reichen gerichtet und eben nicht gegen die Superschönen.


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Schönheit liegt im Auge des Betrachters

Auf der Gegenseite gibt es eine Protestkultur, die das Body- oder „Fat Shaming“ anprangert und quasi das Gegenteil des Mainstreams als Ideal etablieren will. Halten Sie diese Bewegung für realistisch?


Das ist eine Bewegung, die bislang überwiegend im akademischen Bereich und in der politischen Linken Fuß gefasst hat. Ich selbst habe nichts dagegen, wenn jemand dick ist und das schön findet. Ich wende mich aber dagegen, wenn jemand sagt: „Du musst Dicke auch schön finden, und wenn du das nicht tust, musst du an dir arbeiten, dich quasi umerziehen. Und wenn du dich weigerst und bei deiner Einstellung bleibst, mache ich dich nieder.“ Schönheit ist weniger subjektiv als es der Spruch „Schönheit liegt im Auge des Betrachters“ suggeriert. Die meisten Menschen haben ziemlich ähnliche Vorstellungen davon, was sie schön finden – das wissen wir aus der wissenschaftlichen Attraktivitätsforschung.


Nun gibt es ja durchaus Tendenzen eines modernen Schönheitskults, der junge Mädchen unter Druck setzt und zum Beispiel zu Magersucht oder psychischen Problemen führt. Gibt es nicht auch gute Gründe, dem Schönheitsideal einer Gesellschaft zu misstrauen?


Wenn man etwas übertreibt, wird manchmal aus der Tugend ein Übel. Das gilt aber für so ziemlich alles, nicht nur für das Streben nach Schönheit. Magersucht ist eine psychische Krankheit, niemand findet Magersüchtige schön. Schon gar nicht handelt es sich hier um ein gesellschaftliches Schönheitsideal.


Sie haben sich als überzeugter Marktwirtschaftler gegen die Verheißungen des Sozialismus ausgesprochen. Ist die Romanhandlung also nur eine Satire auf den Gleichheitskult der Sozialisten, oder steckt mehr dahinter?


Ja, ich spinne die egalitäre Idee weiter und führe sie ins Absurde. Und dabei bleibe ich sehr realistisch.


Ganz dem Klischee gemäß waren Sie anfangs Marxist und Maoist. Warum ist die Jugend oft so auf Sozialismus gebürstet?


Junge Menschen wollen etwas anderes als die Alten – sie träumen von einer besseren Welt. Daran ist nichts Schlechtes. Später lernen dann manche – so wie ich –, dass Sozialismus nicht Freiheit und Gerechtigkeit bringt, sondern in der Geschichte immer nur zu Armut und Unterdrückung geführt hat. Und in diesem Moment, wo jemand das versteht, ist er dann nicht mehr Sozialist.


Wie sind Sie eigentlich als studierter Historiker und Soziologe so erfolgreich als Investor in die Finanzwelt geraten? Nicht wenige mit Ihren Abschlüssen landen am Ende beim Taxischein.


Ich wusste auch nicht, ob ich als Unternehmer und Investor erfolgreich sein kann, aber ich habe es probiert. Anders kann man ja nicht herausfinden, ob man etwas gut kann. Wer wissen will, wie ich es geschafft habe, dem empfehle ich meine Autobiografie „Wenn du nicht mehr brennst, starte neu“.


Haben Sie wissenschaftliche Erkenntnisse der Soziologie in den Roman einfließen lassen?


Auf jeden Fall. Ich befasse mich seit vier Jahrzehnten mit der Geschichte totalitärer Bewegungen, und all dies ist eingeflossen. Ich habe mich aber auch mit anderen Themen befasst, wie etwa mit der Neidforschung, der Attraktivitätsforschung und mit der Space Economy. All das hat in das Buch Eingang gefunden. Insofern profitieren auch Leser, die sonst keine Romane, sondern nur Sachbücher lesen.


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Sie haben um die 30 Sachbücher veröffentlicht – warum sind Sie so spät unter die Romanciers gegangen?


Ich wusste gar nicht, ob ich einen Roman schreiben kann. Irgendwann hatte ich eine gute Idee und habe es probiert.


Bei dystopischen Plots wie diesem muss man auch ein bisschen an berühmte Klassiker wie zum Beispiel Orwells „1984“ denken. Haben Sie literarische Vorbilder im Hinterkopf gehabt?


Nein. Manche haben gesagt, das Buch erinnere sie an „1984“. Aber es ist ganz anders. Orwells Roman beschreibt eine entwickelte Diktatur, es ist ein sehr düsteres Buch. „2075“ ist kein düsteres Buch, und die Geschichte beginnt in einer freiheitlichen Gesellschaft. Es wird beschrieben, wie sich eine freie Gesellschaft sukzessive in eine Diktatur verwandelt. Ich denke, dieses Thema ist sehr aktuell.


Was war Ihnen bei Ihren bisherigen Partnerinnen wichtiger – Schönheit oder Charakter?


Schönheit war und ist die Grundvoraussetzung. Wenn ich eine Frau nicht sehr schön finde, zieht sie mich erotisch nicht an. Aber ich habe auch schon Frauen kennengelernt, die zwar sehr schön waren, aber langweilig. Oder geldgierig. Und mit denen bin ich dann nicht zusammengekommen – oder aber nur für sehr kurze Zeit.


Letzte Frage: Glauben Sie, dass unser intuitiver Begriff von Schönheit tatsächlich vom Staat verändert werden kann, sprich: Wird die Schönheit überleben?


Das Empfinden, was wir schön finden und was nicht, kann der Staat nicht verändern, weil es zu einem großen Teil in der Biologie begründet ist. Übrigens gelingt es dem Staat auch nicht in meinem Roman. Aus der abwertend gemeinten Bezeichnung „PB“ (= Privileged Beauty) wird ein Gütesiegel, zum Beispiel in Partnerschaftsportalen.


Vielen Dank für das Gespräch!


Dr. Dr. Rainer Zitelmann

Dr. Dr. Rainer Zitelmann, Jahrgang 1957, studierte unter anderem Geschichte und Soziologie. Erfolgreich wurde er als Journalist, PR-Unternehmer und Investor. Nachdem er nach seiner ersten Dissertation wissenschaftlicher Assistent (Politikwissenschaft) an der FU Berlin geworden war, führte ihn sein Weg 1992 zu den Verlagen Ullstein und Propyläen, wo er als Cheflektor arbeitete. Dann ging Zitelmann als Journalist zur Zeitung „Die Welt“. Etwa ab 2011 begann er Sachbücher über Themen wie Motivation, Erfolg und Finanzen zu schreiben. Zitelmann beschäftigte sich auch mit der sogenannten „Reichtumsforschung“ und hat als Immobilien-Investor selbst ein beträchtliches Vermögen gemacht.

Illustration Thorsten Kambach / Fotos Rainer Zitelmann

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