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2022-11-07 Stadtgeflüster Illustration Ekki kurz.tif

Das wunderbare Stadtgeflüster-Interview mit Peter Wolfgarten und Stefan Leschniok

HELFEN, ANSTATT ZU VERTREIBEN!

Im letzten Jahr waren Obdachlosigkeit, der Umbau am Bremer Platz und Schwierigkeiten mit unterschiedlichen Drogenszenen immer wieder in der Berichterstattung zu finden. Im Februar soll die Fläche am Bremer Platz zur Nutzung bereitstehen, Obdachlosigkeit und Drogenkonsum sind weiterhin ein Problem. Die CDU-Ratsherren Peter Wolfgarten und Stefan Leschniok wollen sich der Sache annehmen und haben hierfür ein Zusammenspiel aus sicherheits- und sozialpolitischen Komponenten konzipiert. Inhalte sind der Ausbau der aufsuchenden Sozialarbeit, ein Tagestreff für Menschen ohne Obdach und gleichsam striktes Vorgehen gegen vorherrschende Kriminalität.

Wir sprechen über Ihren Antrag für einen Tagestreff für Obdachlose – ich bin ehrlich, da hätte ich Vertreter einer anderen Partei als Gesprächspartner erwartet!


Wolfgarten: Wir wollen unser Tun nicht hinten anstellen, ich finde die Sozialen in der CDU waren immer da und werden auch immer da sein. Wir führen auch kein Schattendasein – wir bringen uns ein. Aktuell mit einem Antrag zum Thema Pflege, ein ganz wichtiges Thema! Wir tauchen zwar oft in der Presse auf mit den Themen Wohnen oder Wirtschaft, aber den sozialen Bereich würde ich nicht unterschätzen bei der CDU.


Warum setzen sich ein Mitglied des städtischen Sicherheitsausschusses und ein Sozialpolitiker gemeinsam dafür ein, das Problem zu bekämpfen?


Leschniok: Das sind für uns zwei Seiten der gleichen Medaille. Einmal das Thema Sicherheit und dann das Thema Soziales. Das gehört zwingend zusammen. Die Problematik ist aber insgesamt sehr vielschichtig …


… auch aufgrund der vielen Akteure und Hilfsorganisationen, die involviert sind.


Leschniok: Ja, wir haben hier besonders das INDRO, da benötigen wir mehr Sozialarbeiter. Dieses Vorhaben wird auch von den politischen Mitbewerbern mitgetragen. Weil es einfach ein gesamtstädtisches Anliegen ist. Es wurde immer gesagt, dass die Menschen auf dem Bremer Platz – überwiegend Suchtkranke und Obdachlose – da bleiben sollen, deswegen brauchen wir da viele Sozialarbeiter.


Spielen diese aufsuchenden Sozialarbeiter noch eine weitere Rolle in Ihrem Konzept hinsichtlich der Sicherheitskomponente?


Wolfgarten: Ja. Wir müssen verstehen, dass der Konsum dieser neuen Drogen auch mit einem hohen Konfliktpotential einhergeht. Eine große Mehrheit aller von INDRO Befragten bestätigen eine von Polizei, Anwohnerschaft, Quartiersmanagement, INDRO e.V. und anderen sozialen Institutionen beobachtete Zunahme an starker Aggressivität und Gewaltsituationen in der Drogenszene. In Amerika sind die Zahlen explodiert. Hier haben wir inzwischen im Jahr über 100000 Tote. 100000 Menschen, die nur an diesem Drogendreck sterben.


Das heißt aufsuchende Sozialarbeit, um für Ordnung zu sorgen?


Wolfgarten: Sozialarbeiter machen soziale Arbeit. Dafür der Ausbau mit Sozialarbeitern aus dem INDRO. Die können auf die Leute zugehen, weil man sich kennt. Da gibt es so eine gewisse Vertrauensbasis. Bevor die Polizei anrückt, sollen die Sozialarbeiter dafür sorgen, dass die Szene sich beruhigt und in ihrem zugewiesenen Gebiet bleibt. Wir erhoffen uns da Einiges, deshalb unterstützen wir das Projekt auch. Das Konzept ist erstmal gut, aber wie wir dann letztlich aus der Nummer rauskommen, wissen wir jetzt noch nicht. Gegebenenfalls müssen Politik und Sozialarbeit nochmal nachjustieren.


Leschniok: Aber wir brauchen auch eine sicherheitspolitische Komponente daneben wegen der Dealer. Das Zusammenspiel Sicherheit und Ordnung wird nicht richtig funktionieren, wenn wir es nicht vernünftig sozial flankieren. Deswegen finde ich es super, was Peter Wolfgarten hier federführend auf den Weg gebracht hat.

Wolfgarten: Überschrift: Helfen statt vertreiben. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Grundsatz.


Wie kann ein friedliches Miteinander zwischen den Drogenszenen und den Anwohnern realisiert werden?


Wolfgarten: Hinter dem Bahnhof am Bremer Platz sind drei Bereiche vorgesehen, in einem haben wir eine Drogenszene. Hier halten sich täglich 40 bis 60 Menschen auf, das soll auch weiterhin so bleiben. Rechts ist dann ein Spielplatz. Sie wissen selber, diese ganzen Spritzen, die auf den Spielplätzen überall gefunden worden sind. Dort soll man dann entsprechend mit Kindern verweilen.


Leschniok (lacht): Das ist ja bezeichnend als grünes Klassenzimmer. Im Ernst: Laut Gutachten vom INDRO ist die linke Fläche zu klein für diese 40 bis 60 Drogenkonsumenten. Wir wollen helfen und diese Menschen sollen dort bleiben. Bei dem Thema sind wir uns wirklich im Rat parteiübergreifend einig. Es geht auch nicht anders. Erstmal lehrt die Erfahrung, dass diese Szene sich immer am Bahnhof trifft, weil auch dort die Dealer anreisen und der Bahnhof ein Anziehungspunkt ist.


In jeder Stadt überall?


Leschniok: In jeder Stadt. Es gibt dieses Beispiel aus Essen, wo man versucht hat, sehr rabiat die Szene mit Hundertschaften vom Bahnhof zu vertreiben und in einen anderen Bereich zu schieben. Das hat man ein paar Mal probiert, am Ende hat man aufgegeben, weil es nicht funktioniert hat. Das Beispiel lehrt, dass es eigentlich sinnvoll ist, die Szene dort zu belassen. Aber es muss natürlich auch funktionieren, sie darf den anderen Menschen keine Angst machen. Es gibt erhebliche Zweifel, ob dieses Modell, was wir da jetzt haben mit der Dreiteilung, funktioniert.


Wolfgarten: Das muss man abwarten.


Leschniok: Das muss man abwarten, es gibt jetzt keine Alternative.

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Es wird drei Bereiche am Bremerplatz geben

Wie wollen Sie die Situation von Obdachlosen in Münster verbessern?


Wolfgarten: Wie ist denn deren Situation? Die gehen morgens aus dem HDW raus und hängen auf der Straße ab. Was macht man morgens als normaler Mensch? Das ist bei den Obdachlosen nicht anders als bei uns. Man geht zur Toilette, wäscht sich und versucht etwas zu essen. Es gibt in Münster einige Anlaufstellen dafür, aber manche Angebote sind weggebrochen oder haben Schwierigkeiten wegen des steigenden Aggressionspotentials.


Dafür ein Tagestreff für Obdachlose?


Wolfgarten: Für eine Tagesstruktur. Sich und seine Wäsche waschen können, die Möglichkeit, sich die Haare schneiden zu lassen… Vielleicht kommt auch ein Arzt. Sozialarbeiter, um zu beraten. Oder du kannst dich einfach mit deinen Nachbarn am Tisch unterhalten oder die Zeitung lesen. Wir bestehen auf einen Tagestreff, weil er soziale Teilhabe für alle gewährleistet.


Weil er Menschen nicht von sozialer Teilhabe ausschließt. Wo soll er denn bei der derzeitigen Wohnungsnot umgesetzt werden?


Wolfgarten: Wir haben zum Beispiel unter dem Bahnhof alte Bunker. Man könnte dort den Eingangsbereich oder einen anderen Bereich umnutzen, dass man sich da zurückziehen kann. Also es gäbe schon Platz. Irgendwo findet man immer was, wenn man guten Willens ist …


(lacht): Und nicht darauf drängt, das ist aber jetzt für den Katastrophenfall vorgesehen.


Leschniok: Ich glaube, jenseits der vielen Bedenken, die es ja gibt, ob das klappt auf dem Bremer Platz, ist es einfach notwendig, dass wir die Zahl auch ein Stück weit begrenzen. Es ist wichtig, dass wir diejenigen, die wir noch erreichen können, in feste Strukturen unterbringen.


Also weg von der Straße, um die Situation dort zu entlasten?


Leschniok: Ja, denn die Vielzahl von Drogenkonsumenten bringen immer auch die Dealer mit. Und einen rechtsfreien Raum dulden wir hier auch nicht. Als die Baumaßnahmen in vollem Gange waren und die Szene sich dann komplett versammelt hat in der kleinen Straße vor dem INDRO, hat mir Herr Gerlach damals gesagt, er hat die Polizei gerufen! Er hat in seinem Leben noch nie die Polizei gerufen, aber da musste er.


Zu der Zeit gab es auch Probleme in dem Parkhaus gegenüber, richtig?


Leschniok: Ja. Deswegen sind polizeiliche Maßnahmen erforderlich – auch wenn das für die Szene nicht immer schön ist. Das Konsumieren von Drogen ist nicht das Problem, aber das Dealen mit harten Drogen steht in Deutschland nun mal unter Strafe. Und das kann der Staat letztlich auch nicht dulden. Er duldet es natürlich ein bisschen, indem er die Szene dort lässt, aber er muss natürlich trotzdem auch im Sinne der Bevölkerung gegen Dealer von harten Drogen wie Crack, Kokain und Heroin vorgehen.

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Die AFD über 5%? Das wollen wir nicht

Also gegen Drogendealer vorgehen, aber Schutzbedürftige unterstützen?


Leschniok: Ja. Die Szenen, die wirklich nur kriminell unterwegs sind, haben hier in Münster nichts verloren. Das sind Straftäter, die wir hier nicht wollen. Wir wollen diese Szene, weil das wirklich Leute in Not sind, das sind kranke, drogensüchtige Menschen, die obdachlos sind. Das ist was völlig anderes. Hier wollen wir durch vielfältige Maßnahmen helfen, wie Peter ja gerade auch angesprochen hat. Vor allen Dingen in weiterführende Angebote vermitteln. Aber gegen Straftäter am Bahnhof müssen wir vorgehen! Weil sonst genau das passiert, was Sie ja gerade auch angeschnitten haben – dann kann die Stimmung kippen …


… dann haben wir den Salat.


Leschniok: Ja. Wir sind immer stolz darauf gewesen, dass wir hier zumindest auf der rechten Seite eigentlich kein Problem mit Extremismus haben. Aber jede Stimme ist zuviel. Sie haben auch das letzte Münster Barometer gesehen, wo die AfD es plötzlich auf über 5 % geschafft hat. Nein, das wollen wir hier nicht! Und das ist dann auch ein Stück weit eine Rolle der CDU, die Leute einzuholen, die vielleicht auf dumme Gedanken kommen und womöglich weiter rechts wählen wollen.


Wann haben Sie sich dazu entschlossen, tätig zu werden?


Leschniok: Es entwickelt sich. Durch den Baufortschritt wird klar, die Szene wird dort bald wieder einkehren. Dann muss man sich natürlich Gedanken machen… soll es so weiterlaufen wie bisher, oder wollen wir es in die Hand nehmen? Wir lassen uns beraten, das INDRO hat nach Aufforderung durch das Sozialamt einen Plan geschrieben. Dann müssen sicherheitspolitische Aspekte im Fokus stehen. Es darf keine rechtsfreien Räume geben. Das ist für uns, glaube ich, ich weiß nicht, ob das andere auch so sagen würden, aber für uns ganz klar. Jeder, der vom Bahnhof in Richtung Osten geht, hat das Recht darauf, unversehrt und fröhlich pfeifend dort lang gehen zu können. Es kann auch nicht sein, dass das Polizei- oder Ordnungsamt wie in anderen Städten aufgegeben haben und gar nicht mehr auftauchen …


Wolfgarten: Du bist ja Polizeibeirat und weißt da vielleicht auch einen Tacken mehr.


Leschniok: Wir hatten früher Polizeipräsidenten, die gesagt haben: „Das ist Bahnhof, und das müssen wir halt hinnehmen.“ Inzwischen gibt es über mehrere Polizeipräsidenten weg und auch bei der aktuellen Amtsinhaberin einen anderen Ansatz. Hier ist ein Schwerpunkt, den wir bearbeiten, aber nicht nur durch polizeiliche Maßnahmen, sondern immer im Gespräch mit der Kommunalpolitik, vor allem auch mit der Sozialpolitik.


Wie wollen Sie das denn umsetzen, wo im September noch das große Haushaltsdefizit von Frau Zeller kommuniziert wurde?


Leschniok: Also, diese drei Sozialarbeiter und die Sachmittel, die dazu gehören, sind sichergestellt, da braucht man sich keine Gedanken machen. Das wichtigste Problem ist die Wohnungssituation. Die jetzige Bundesregierung hat ein Sonderprogramm aufgelegt, das gebaut werden soll. Ob und wie das durchgesetzt werden kann und ob diese Zahlen noch bestehen, die mal vorgesehen waren im Milliardenbereich, dass Wohnungen gebaut werden sollen. Wir brauchen Wohnungen, um Wohnungslosigkeit zu vermeiden.


Aber all das muss bezahlt werden, auch ein Tagesaufenthalt.


Leschniok: Das Haushaltsloch ist ein großes Problem, auch in Münster, aber wir haben es ja noch nicht. Und vor allem das Primat liegt immer noch bei der Politik. Deswegen muss dann die Politik auch im Notfall den Mut aufbringen, dann vielleicht noch eine Entscheidung über den Kopf der Verwaltung zu treffen. Und wenn jetzt zum Beispiel die Verwaltung auch gesagt hätte, wir wollen das nicht machen, dann kann die Politik ja zumindest im Rahmen der Haushaltsberatung, aber auch zwischendurch theoretisch, Entscheidungen treffen, dass bestimmte Stellen oder auch finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Also die Möglichkeit gibt es.

Peter Wolfgarten

Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU ist bereits seit fast 20 Jahren politisch tätig, aktuell als Ratsherr für die Stadtteile Albachten und Mecklenbeck Süd und als Bezirksvertreter für die Bezirksvertretung Münster West. Seine Anliegen sollen vor allen Dingen Chancen für Teilhabe aller schaffen. Er ist der Überzeugung, dass Unterstützung und nicht das Vertreiben von hilfsbedürftigen Personen ein friedliches Miteinander schaffen kann.

Stefan Leschniok

Der Fachanwalt für Familienrecht ist sicherheitspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion und Ratsherr für den Stadtteil Hiltrup-Mitte. Seiner Meinung nach können Sicherheit und Ordnung nur gewährleistet werden, wenn entsprechend sozial flankiert wird. Deshalb setzt er sich mit Peter Wolfgarten für ein Zusammenspiel aus Sicherheits- und Sozialpolitik ein und will keine rechtsfreien Räume in Münster akzeptieren.

Illustration Thorsten Kambach / Fotos Armin Zedler

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