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2022-11-07 Stadtgeflüster Illustration Ekki kurz.tif

Peter Sauer sprach mit Singer-Songwriterin NIKI über Schokolade und Musik als Powerriegel

BITTERSÜSSES MIT FEINEN ZUTATEN FÜR KOPF, HERZ UND SEELE

Mit ihrem Debütalbum „Chocolate“ begeistert NIKI mit einer Vielfalt an Stilen, klugen Texten und überraschend facettenreicher Stimme. Sie zeigt, dass Schokolade und Musik über alle Kulturgrenzen hinweg glücklich machen können. Als Balsam für die Seele, über den Gaumen und die Ohren. Ihre Musik signalisiert: Die Welt gehört zusammen. Peter Sauer hat sich mit der Münsteranerin unterhalten, nicht nur über ihren Fusion-Pop, sondern auch über ihr Leben.

Du hast einen Song mit der iranischen Menschenrechtsaktivistin Shouresh Shakibapour aufgenommen (Verein für politische Flüchtlinge Münster) …


„Revolution“ ist als Hommage an die Frauenbewegung im Iran in der Reihe „Münster singt mit“ erschienen. Für den Song kamen 20 Münsteraner nach einem Aufruf von mir zur Aufnahme in einem Studio zusammen. Trotz schlimmem Gewitterwetter an dem Tag ist die Aufnahme super geworden.


Am zweiten Song aus dieser Reihe „Peace Bell“ arbeitest du gerade …


Ja, genau, nur diesmal habe ich eine Schulklasse aus der Primusschule zum Mitsingen eingeladen. Zur Jubiläumsfeier der Primusschule am 28. Juni trete ich mit einem Schüler-Chor auf.


Dabei bist du ja in Sachen Musik eher eine Spätberufene, wenn ich das mal so sagen darf.


Nach dem Magister in Ethnologie und Religionsgeschichte habe ich während meiner Promotion mit 37 Jahren angefangen, Gitarre zu spielen.


Was war der Auslöser?


Ein Konzert des Duos „Seven Eyes“ in London. Das hat in mir so viel bewegt. Nach dem Konzert, zurück in Münster, sind meine Melodien förmlich einfach aus mir rausgeplatzt. Ich habe manchmal an nur einem Tag drei Songs geschrieben und musste erst noch die Handbremse ziehen, wegen meiner Doktorarbeit.


Dein Vater ist Deutscher, die Mutter Griechin, deine älteren Brüder kamen in Buenos Aires auf die Welt. Was ist deine schönste Kindheitserinnerung?


Das waren die Erlebnisse in Griechenland, wo die ganze Familie sich immer zusammen getroffen hat, gegrillt und getanzt hat, bis spät in die Nacht, mit allen Generationen und immer draußen. Man hat sich einfach so frei gefühlt. Es ist ein Reichtum, den ich in mir trage, diese griechische Kultur, das ist ein kleiner Schatz in meiner Biografie. Diese Erinnerungen haben sich tief in meine Seele eingeschrieben.


War das nicht total schwierig, multilingual aufzuwachsen?


Der Witz ist, es wurde nur Deutsch gesprochen. Meine Mutter aus Griechenland zog mit meinem Vater nach Argentinien und musste, bevor sie gut Deutsch gelernt hatte, erst noch Spanisch lernen. So sprach meine Mutter mit mir nur Deutsch. Natürlich sind auch immer wieder spanische Wörter mit eingeflossen. Unsere Nachbarn waren Portugiesen, weshalb sich Portugiesisch für mich emotional wie eine Muttersprache anhört. Türkisch habe ich mir selbst beigebracht und später dann an der Uni den kleinen Sprachschein absolviert. Ich habe auch Islamwissenschaften und Indologie studiert. So kann ich neben persischen Floskeln auch Hindi.


Wann kamst du das erste Mal mit Musik in Berührung?


Ich wollte immer schon Sängerin werden, habe von klein auf gesungen, so vor mich hin, das war manchmal nervig für Familie und Freunde. Nicht die Sprachen selbst, sondern sie zu singen, hat mich zunächst begeistert. So konnte ich früh erfahren, dass der Zugang zum Menschen, zu Kulturen, Emotionen und Sprachen durch die Musik eröffnet wird. Eine Zeit lang habe ich mehr gesungen als gesprochen.


Bekamst du dann Gesangsunterricht?


Das war für meine Familie damals zu teuer. Von meinem Großvater bekam ich als Schülerin als Geschenk eine Gitarre und Gitarrenunterricht geschenkt.


So in der Gruppe?


Ja, leider, in einer Gruppe von etwa zehn Leuten.


Das kenne ich aus meiner Jugend, nicht gerade erfüllend, oder?


Genau, das war eher so eine Art Lagerfeuerklimpern. Ich habe dann erstmal die Gitarre viele Jahre zur Seite gelegt und mir erst später das Gitarre spielen autodidaktisch beigebracht.

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Es ist ein Reichtum, den ich in mir trage

Als Singer-Songwriterin bist du ja eher eine Spätberufene, wenn ich das mal so sagen darf …


Darfst du, Peter. Während der Promotion im Fach Religionswissenschaft habe ich mit 37 Jahren angefangen, so richtig Gitarre zu spielen. Genau genommen unmittelbar nach dem Konzert-Erlebnis in London. Ich nahm anschließend ein Jahr lang Gitarrenunterricht.


Nach Studienjahren in Freiburg und Delhi lebst du seit 2013 in Münster. Warum hier?


Mein Mann bekam einen guten Job hier in Münster. Während mein Sohn noch in Freiburg auf die Welt kam, ist meine Tochter eine echte Münsteranerin.


Was ist dein schönster Ort in Münster?


Ganz klar am Kanal. Ich liebe einfach Wasser. Als meine Tochter noch kleiner war, da waren wir oft auf einem Spielplatz. Ich packte meine Gitarre aus und, um mich musikalisch zu inspirieren, habe ich meine Füße im Wasser baumeln lassen. Wie auf intensiven Spaziergängen durch die Natur bekomme ich so den Kopf frei für neue Ideen.


Kannst du dich noch an deinen ersten Auftritt als Künstlerin erinnern?


Oh ja, Peter, oh ja.


Das hört sich spannend an …


Das war beim Singer-Songwriter Slam in der Sputnikhalle am 21. November 2018. Ich war so aufgeregt an diesem Tag, denn noch nie zuvor hatte ich alleine auf der Bühne gestanden. Mir war übel und ich musste mich ständig übergeben. Ich dachte aber, das wäre nur das Lampenfieber.


Und in Wahrheit?


Ich hatte da eine schlimme Magen-Darm-Infektion. Meine Finger waren holzig, mein Mund war trocken. Ich ging aber dennoch auf die Bühne der Sputnikhalle, sang einen Song, übergab mich daraufhin Backstage, sang den nächsten Song, übergab mich erneut und sang noch ein drittes Mal. Mein einziger Gedanke war: „Bitte übergib dich nicht auf der Bühne!“ Mein Lippenstift war bereits nach dem ersten Song nicht mehr zu sehen, ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten.


Und wie kamen deine Songs an?


Das war ja die Riesenüberraschung. Die Stimmung in der Sputnikhalle war elektrisierend! Nach meinem Auftritt lag ich für 33 Stunden am Stück flach. Aber für mich war es der wichtigste Auftritt.


Achtest du seither mehr auf deinen Magen?


Eigentlich nicht. War ja nur ein Infekt. Ich bin immer noch nervös bei meinen Auftritten. Aber mittlerweile würde ich den Unterschied besser erkennen zwischen Lampenfieber und Magen-Darm.


Ob auf dem Finkenfest oder im Kulturbahnhof Hiltrup, deine Musik strahlt mit ins Publikum …


Danke schön! Es gibt viele Menschen in meiner Generation, die sagen, das Leben – das war es jetzt. Die haben aufgehört, zu träumen. Ich versuche mit meinen Songs dagegenzusetzen. Ich will die Leute motivieren, die zu früh oder grundsätzlich aufgeben.


Deine Stimme hat einen großen Wiedererkennungswert. Beim Song „Life“, singst du sogar mit dir selbst im Duett. Sind das die Früchte einer Gesangsausbildung?


Nein, leider nicht. Ich habe mir alles selbst beigebracht.


Der Hammer. Zumal du ja auf deinem Album „Chocolate“ auf Deutsch, Englisch, Griechisch, Türkisch, Urdu und Hindi singst, wie eine musikalische Weltenbummlerin …


Danke. Meine Lieder sind wie eine internationale Playlist. Ich mische Musik zu Fusion Pop. Das ist eine Musik mit vielen Sprachen und Gesichtern, mit Sinn und Gefühl für Zwischentöne, für das oft Ungehörte, Unempfundene, für das Eigene im Fremden und das Fremde im Eigenen.


Aber wieso singst du in so vielen Sprachen? Warum tust du dir das an?


Da sind diese Geister in meinem Kopf. Wie eine Forscherin gehe ich ihnen nach, die Songs finden mich halb oder ganz. So lernte ich arabische, afrikanische, portugiesische, türkische, persische und indische Songs. Meine Musik hat nicht die eine Sprache, nicht die eine Botschaft, ist nicht auf nur eine Kultur oder ein Genre reduziert. Sie ist multilingual und interkulturell.

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Ich habe mir alles selber beigebracht

Warum nennst du dein Album Schokolade?


Schokolade kann man mit unterschiedlichen Gewürzen verfeinern. Ich mag sehr Zitrone und Pfeffer. Meine Lieblingsschokolade ist bittersüß. Das hat mich zum Albumtitel gebracht. Schokolade hat bei manchen indigenen Völkern eine religiöse Bedeutung. Ich habe ein inneres Barometer in meinem Kopf, das alles Erlebte in Musik verwandelt. Das hat mich im Grunde auch selbstbewusster gemacht.


Dieses authentisch-bodenständige hört man den warmherzigen Songs auch an.


Danke dir, Peter. Ich kann durch meine Musik selbst zur Brücke werden – für den anderen und zu dem anderen.


In „Chocolate“ singst du von einer Liebes-Achterbahn. Was hat es mit der Zeile „Chocolate wanna be Potatoe“ auf sich?


Die Zeile ist am Küchentisch entstanden. Beim Kochen. Ich hatte eine Kartoffel beim Schälen in der Hand und diese Kartoffel sah aus wie eine Kaffeebohne und ich dachte auch an eine Bohne. Ich musste aber weiter kochen und hatte keine Zeit, meinem schokoladigen Impuls nachzugehen. Später auf einer langen Autofahrt hatte sich diese Idee zum ganzen Song entwickelt.


Vor allem deine Auftritte bei Hussel sorgen für Furore. Vor hunderten Menschen singst du dort regelmäßig „Baraye Azadi“, die inoffizielle Hymne der Proteste im Iran, warum?


Ich möchte den Frauen im Iran, aber auch den Frauen und Männern, die hier leben, solidarisch Mut und Kraft geben, zeigen, dass ich mitfühle, zeigen, dass ich den Schmerz mittrage.


Wie kam es zu den Auftritten?


Mein Album „Chocolate“ sieht aus wie eine Tafel Schokolade, ist international angereichert, wie auch Schokolade. Ich fragte bei Hussel an. Sie waren begeistert.


Was waren deine schönsten Publikumsreaktionen?


Das erste Konzert war zufällig an dem Tag, als eine große Iran-Demo am Bahnhof gestartet war. Als sie an Hussel vorbeizog, haben sie mich das Widerstandslied „Baraye“ singen hören. Alle Demonstranten und Demonstrantinnen haben spontan bei Hussel vor der Tür im großen Chor die Friedenshymne mitgesungen. Das war echt krass.


Das kann ich mir vorstellen …


Wir wurden in diesem Augenblick eins. Aus dem Hussel-Laden kam die Botschaft, dass die Mitarbeitenden mehr im Herzen tragen als nur eine Chocolaterie zu betreiben, die Kunden mehr als nur Schokolade zu kaufen und von der Ludgeristraße kam der große Chor der vorbeiziehenden Demonstranten. Gänsehaut pur. Große globale Einheit im Kleinen.


Wie war es, mitten im Weihnachtsgeschäft bei Hussel multilinguale Lieder zu singen?


Als ich das arabisch-englische „Supplication“ sang, sagte eine Frau verärgert zu mir, ich sollte Weihnachtslieder singen. Genau dann kam der arabische Songteil. Fünf Frauen aus Syrien haben spontan mitgesungen, voller Freude.


Gab es auch schon internationale Reaktionen auf deine „Baraye“-Interpretation?


Sie lief sogar im iranischen Exil-Fernsehen.


Was macht Musik mit dir?


Musik hat mir Selbstvertrauen geschenkt. Ich habe endlich das Gefühl, ich kann was. Wie ein Fisch, der es geschafft hat, auch an Land klarzukommen. Als ich während der Promotion noch ins kalte Musikbusiness-Wasser fiel, merkte ich: Das ist mein Element. Ich brenne für die Musik.


Was ist dir wichtig?


Mein Herzensprojekt ist das „One world open stage“, bei dem ich versuche, die interkulturelle Musikszene und Flintakünstlerinnen in Münster zu stärken und innerhalb der „allgemeinen“ Musikszene zu etablieren. Im Idealfall so, dass man beide Szenen nicht voneinander trennen kann.

NIKI
NIKI, geboren 1980 in Berlin, lebt seit 2013 im Kreuzviertel, ist verheiratet, hat zwei Kinder. Wenn sie nicht Musik macht, sitzt sie an ihrer Doktorarbeit in Religionswissenschaften, promoviert über Bollywood, guckt gerne indische Filme und schreibt Filmkritiken. Im Sommer will sie ihre Freeline Skates reaktivieren. Aktuelles Album: „Chocolate“. Nächste Auftritte: 5. Mai, Café Lockvogel, 18. Mai, Grünflächenunterhaltung.

www.niki-music.de

lllustration Thorsten Kambach / Fotos Barbara Thiem

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