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2022-11-07 Stadtgeflüster Illustration Ekki kurz.tif

Josef Baron Kerckerinck zur Borg über Romy Schneider und Bardot, Autorennen, Rubelschmuggel und Haie

DER HAI-FLÜSTERER MIT DEN 16 LEBEN

Sein adeliger Familienstamm reicht urkundlich bis ins Jahr 1264 zurück. Doch wie bodenständig Josef Baron Kerckerinck zur Borg ist, zeigt sich daran, dass Freunde ihn einfach nur „Jupp“ nennen dürfen. Der heute 84-Jährige lebt in Münster und blickt mit Stadtgeflüster-Redakteur Peter Sauer auf sein wahrlich bewegtes Leben zurück.

Auf die Welt kamen Sie in einer Privatklinik am Aasee, als sechstes von acht Kindern, die auf dem Familienschloss Haus Borg in Rinkerode lebten. Wie sind Sie mit 84 so fit geblieben?


Bis ich elf Jahre alt war, hatten wir auf dem Schloss keine Heizung, sondern nur Kohleöfen. Im Winter mussten wir morgens in den Wasserschüsseln das Eis brechen. Das härtet ab.


Warum sind Sie als Baron stets so bodenständig geblieben?


Mit zehn hat mich mein Vater mit 100 Schafen und zwei Schäferhunden losgeschickt, dass ich Arbeit, Natur und Demut kennenlerne. Ich war einige Tage unterwegs und hatte kein einziges Schaf verloren.


Haben Sie ein Vorbild?


Meine Mutter. Sie war sehr couragiert. Sie hatte sich immer gewehrt, den Hitler-Gruß zu zeigen, und machte eine abgewandelte Handbewegung. Ein Denunziant brachte sie vor Gericht. Sie wusste zu kontern und sagte: „Ich soll Sie gegrüßt haben? Leute wie Sie grüße ich doch überhaupt nicht.“ Der Richter lachte und sprach sie frei.


Wie haben Ihre adligen Eltern Sie erzogen?


Etikette zu Tisch und bei der Kleidung waren wichtig. Insgesamt haben sie mich aber in einer gewissen lässigen Bescheidenheit erzogen.


Wie erfolgreich waren Sie am Schlaun-Gymnasium?


Meine Schullaufbahn verlief holprig. Kurz vor dem Abi flog ich vom Schlaun.


Warum?


Ich war zu aufsässig.


Das hat aber nichts mit den Vorkommnissen während eines Schüleraustausches in den USA zu tun?


Nein, ich war am Schlaun oft mit meinen Gedanken woanders und sagte jedem auch mal meine Meinung. In den USA war ich als 15-Jähriger ganz verwundert, wie bieder dort geküsst wurde. Also Zungenküsse kannten die dort gar nicht. Und ich war verliebt in die hübsche Marcy, deren Verwandte witzigerweise in Rinkerode einen Bauernhof hatten.


Nach der Schule folgte die Banklehre…


Ja, die habe ich dann wider Erwarten mit „gut“ bestanden. 


Hatte das auch etwas mit einer Reise nach Moskau zu tun?


Haha, nein. Als Banklehrling habe ich Rubel nach Russland reingeschmuggelt. In einer Kukidentdose und in einer Familienpackung Kondome. Trotz Kontrolle hat die zum Glück keiner gefunden.


Sie hatten eine Marketing-Agentur in Düsseldorf und eine Damwildfarm in New York. Warum wurden Sie dann auch noch Rennfahrer?


Erst sollte ich nur die Werbung für einen geplanten, aber dann doch nicht realisierten Rennparcours im Sauerland machen. Durch meinen Freund Karl Josef Freiherr von Wendt kam ich dann direkt zum Rennsport. Ich wollte was Aufregendes machen und rutschte in ein Fahrertraining, mit dabei waren auch Niki Lauda und Joachim Stuck. Und so bin ich dann vier Jahre für Fiat Abarth und Alfa Romeo Tourenwagenrennen gefahren.


Wie haben Sie sich vorbereitet?


Einmal bin ich den ganzen Nürburgring vor dem Rennen zu Fuß abgelaufen.


Die Pokale hier in Ihrer Wohnung zeigen, dass Sie erfolgreich waren. Warum haben Sie dann plötzlich als Rennfahrer aufgehört?


Ich habe gesagt, wenn ich das Sechs-Stunden-Rennen am Nürburgring gewinne, höre ich auf. Und ich gewann.


Apropos gewinnen: Wie kam es, dass Sie zwei Sommer im Gästehaus von Schauspiellegende Brigitte Bardot in St. Tropez verbringen konnten?


Ich sah auf einer Tanzfläche eine bildhübsche Frau, die Chilenin Gloria Silva. Ich wollte sie unbedingt kennenlernen. Dazu tat ich etwas, was ich vorher und hinterher noch nie gemacht hatte.


Und was?


Ich habe so getan, als ob ich tanzen könnte. Mit Erfolg. Wir tanzten zusammen. Dann habe ich Gloria auf ein Glas Champagner eingeladen. Sie lud mich dann am nächsten Mittag zu einem Lunch mit Freunden ein. Und wer war da beim Lunch? Brigitte Bardot, Glorias beste Freundin.


Cool. Und wie wurden Sie dann Bardots‘ Gast?


Ja, auf ihre Einladung hin. Wir machten dort im Gästehaus mit mehreren Leuten viele verrückte Sachen. So zogen wir mal – als nicht gerade gute Musiker – mit Tambourin und Flöte munter durch die Restaurants. Ich sammelte das Geld ein und damit bezahlten wir später den teuren Champagner in den Nightclubs. Gerne fuhr ich auch mit Brigitte in ihrem offenen Jeep zum Einkaufen. Und ich habe ihr auch mal einen Gefallen getan.


Welchen?


Ich habe für sie den bekannten Regisseur Roger Vadim am Telefon abgewimmelt.


Und wie haben Sie dann noch Romy Schneider kennenlernt?


Erst in Bad Reichenhall und später auch in St. Tropez. Die Romy war alleine. Wir sind oft abends essen gegangen.

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Ich war oft mit Romy Schneider essen

Wie war Romy Schneider so als Mensch?


Romy war sehr verhalten, melancholisch, tiefgründig traurig, warmherzig. Wir haben aber auch sehr viel gelacht. Ich habe sie sehr gerne gehabt.


Wie gerne?


Als sehr gute Freundin. Ich war ja damals mit Gloria Silva zusammen.


Wenn eine Katze sieben Leben hat, wie viel Leben haben Sie?


Gute Frage. Ich habe dann offenbar 16 Leben. Sieben Mal crashte ich meine Autos bei privaten Unfällen. Tja, ich war einfach zu schnell. Mit einem Schneemobil wäre ich bei minus 40 Grad fast in einem zugefrorenen See in den USA ertrunken.


Haben Sie gute Schutzengel?


Offenbar. Und scheinbar auch genügend Schutzengel. Einmal verpasste ich ein Flugzeug, das abstürzte, ein anderes Mal saß ich genau auf einem von sechs Sitzen, die 24 Stunden später aus einem Flugzeug rausgerissen worden sind.


Was war Ihr größtes Glück?


Als ich in Handorf Bundeswehrsoldat war. Ein Kamerad zielte mit einer G3 mit Ladehemmung auf mich. Geistesgegenwärtig riss ich ihm das Gewehr aus der Hand.


Und dann?


Dann lief ich zum Schießstand und zielte mit dieser G3.


Was passierte? Sie hatte doch eine Ladehemmung?


Von wegen. Aus der vermeintlich ladegehemmten G3 kamen 20 Schuss heraus. Die wären alle in meinem Bauch gelandet.


Wie haben solche Situationen Ihr Leben verändert?


Ich weiß seitdem mein Leben noch mehr zu feiern. Und bin noch demütiger geworden.


Und Sie engagieren sich für den Tierschutz. Warum machen Sie sich ausgerechnet für Haie stark?


Der Weiße Hai in Steven Spielbergs Kinoschocker war nur eine Maschine. Ein Hai ist für mich das faszinierendste und missverstandenste Tier der Welt.


Warum?


Menschen entsprechen gar nicht dem Beuteschema von Haien. Die beißen nur zu, wenn sie gefoppt oder mit der Hand gefüttert werden, meistens für ein lausiges Handy-Selfie. Die Folge dieser Überheblichkeit: Hai beißt Mensch. Dieser stirbt an Blutverlust. Er wird keineswegs aufgefressen. Nur ein paar Zahlen zur Verdeutlichung: Drei Milliarden Mal springt ein Mensch im Jahr ins Meer. Zum Schwimmen. 50 bis 100 von diesen Menschen werden von einem Hai gebissen. Weniger als fünf bis zehn von ihnen sterben. Das muss man sich einfach mal im Verhältnis vorstellen, wo es immer gemeinhin heißt, der böse Hai und so.


Während Ihrer mehr als 150 Tauchgänge in allen Weltmeeren erlernten sie die Körpersprache und besonderen Fähigkeiten der Haie.


Ja und auch Respekterweisungen unter Wasser.


Inwiefern?


Ein Hai kam mal auf mich zugeschwommen, von der Seite. Ein bis zwei Meter von mir entfernt. Er drehte bei und schwamm dann 45 Minuten neben mir her.


Zufall?


Auf keinen Fall. Denn am darauffolgenden Tag erlebte ich die gleiche Situation mit demselben Hai. Als ob er schon auf mich gewartet hatte, wie ein guter Kamerad. Übrigens: Haie können über Lorenzinische Ampullen (Sinnesorgane unter der Haut) den Herzschlag eines Menschen spüren – ohne ihn zu berühren.

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Mit Tigerhai Emma auf Du und Du

Interessant. Wie wichtig sind Haie für uns?


Sehr wichtig. Haie halten das biologische Gleichgewicht im Meer, welches 70 Prozent unseres Sauerstoffs produziert und damit Grundlage unseres Lebens ist. Wenn das Meer kippt, haben wir alle keine Chance. Haie sorgen zum Beispiel für den Erhalt der Korallenriffe.


Und was macht man nun, wenn man einen schlechten Tag erwischt hat und ein Hai kommt mit Brustflossen nach unten (Zeichen für
Aggressivität) auf einen zu?


Ganz ruhig verhalten. Also: Auf keinen Fall herumstrampeln oder gar wegschwimmen. Stattdessen immer den Blickkontakt suchen, bis sich der Hai gelangweilt davonmacht. Das machen Haie häufiger.


Also sind Haie gar keine Barbaren?


Richtig, die wahren Barbaren sind jene Menschen, die jährlich 70 bis 100 Millionen Haie grausam abschlachten. Die meisten für Haiflossen-Suppe in China oder für einen obskuren Hochzeitsbrauch.


Widerlich...


Ja. Bei lebendigem Leibe werden den Haien die Flossen abgeschnitten. Sie verenden grausam am Meeresboden.


Und was sind die Folgen, wenn es keine Haie mehr gibt?


In North Carolina gibt’s zum Beispiel keine Jakobsmuscheln mehr, weil sich ein Lieblingsfressen der Haie, eine Rochenart, durch die Ausrottung der Haie extrem vermehren konnte. Die Rochen hatten durch ihre größer gewordene Anzahl dann wiederum einen erhöhten Nahrungsbedarf, und zwar an Muscheln. So gibt’s dort inzwischen weder Haie noch Jakobsmuscheln.


Wie hat die Erfahrung mit den Haien insgesamt Ihr Leben verändert?


Von Hause aus war ich früher Jäger und Angler. Beides ist jetzt tabu. Ich lebe bewusster und im respektvollen Umgang zwischen Tier und Mensch.


Sie leben inzwischen in einer Wohnung nahe dem Theater Münster mit Blick auf mehrere Kirchen. Vermissen Sie nicht Ihr adeliges Zuhause?


Mir fehlt kein Schloss. Wichtiger ist es, mitten in Münster auch in meinem Alter am Leben aktiv teilnehmen zu können. Das größte Glück sind meine vier Töchter mit ihren Familien und sehr gute Freunde.


Was sind Ihre Wünsche für die Zukunft?


Gerne möchte ich vor allem nachfolgende Generationen über das wahre Wesen der Haie informieren. Mit meinen Erlebnissen, Filmen und Fotos biete ich mich auch für Vorträge in Schulen an. Und ich schreibe an meiner Biografie weiter, die Anfang 2024 erscheinen soll. Ich habe noch viel vor.

Josef Baron Kerckerinck zur Borg wurde am 22. Juni 1939 in Münster geboren. Seit einigen Jahren, die er in den USA und in Greven verbrachte, lebt er wieder in Münster. Er gründete den gemeinnützigen Verein „Sharkprotect“ (www.sharkprotect.com) und schrieb das international gefeierte Buch „Haie: Eine Liebesgeschichte“ mitsamt Hai-Lexikon. Er tauchte in der ganzen Welt mit karibischen und anderen Riffhaien, Bullen-, Zitronen-, Ammen-, Silberspitzen-, Hammer- und Tigerhaien,
Letztere liegen ihm besonders am Herzen. Zuletzt tauchte er mit Frank Elstner für eine 90-minütige TV-Doku im SWR. Buchkontakt:

Jupp Kerckerinck zur Borg: Haie: Eine Liebesgeschichte, Reprint 2016, ISBN 978-3-939838-40-1

Kontakt: https://www.facebook.com/JuppKerckerinck

llustration Thorsten Kambach / Fotos Peter Sauer und R. Terpstra

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