
Tom Feuerstacke und Joe Bausch besprechen den Arzt, den Schauspieler und den Autor
ER IST DER MANN FÜR DIE DUNKLEN SEITEN
Als Dr. Joseph Roth steht Joe Bausch seit über zwei Jahrzehnten im Kölner Tatort vor der Kamera. Ein kauziger, kluger Rechtsmediziner mit forensischem Blick und trockener Stimme. Was viele nicht wissen: Der Mann, der dort für die Toten spricht, war im echten Leben Gefängnisarzt in der JVA Werl – eine der härtesten Adressen im Land. Joe Bausch kennt die Realität hinter Gittern. Er hat mit Schwerverbrechern gesprochen, RAF-Terroristen behandelt, Geiselnahmen erlebt und Abgründe gesehen, die anderen verborgen bleiben. Und doch ist da immer ein wacher, neugieriger, fast zärtlicher Blick auf den Menschen geblieben. Bausch ist Arzt, Schauspieler, Autor – und einer, der etwas zu sagen hat. Über Schuld, Würde und Wahrheit. Ein Gespräch über das Leben auf der Kippe, das Schreiben als zweite Bühne – und darüber, wie man mit Mut, Haltung und klarem Blick seine ganz eigene Biografie schreibt.
Fühlst du dich als dienstältester Rechtsmediziner im deutschen Fernsehen manchmal besonders?
Ja, auf jeden Fall. Es fühlt sich gut an. Man wächst in eine solche Rolle hinein und eines Tages ist das einfach Teil des eigenen Berufslebens. Dazu kommt, dass ich nicht nur der Dienstälteste bin, sondern auch der mit einer echten medizinischen Ausbildung. Ich habe Medizin studiert und wirklich den Aufwand betrieben, um diesen Beruf zu verstehen. Insofern: Ja, ich fühle mich gut in dieser Rolle.
Wussten die Verantwortlichen damals, dass du Mediziner bist, oder war die Schauspielerei ausschlaggebender?
Beides hat eine Rolle gespielt. In erster Linie kannte man mich von der Bühne, aus Produktionen, in denen ich regelmäßig mitgewirkt habe. Mein Gesicht war also nicht ganz unbekannt. Dann kam der Anruf: Es gibt ein neues Tatort-Team in Köln, die Rechtsmedizin soll besetzt werden. Und so hat das begonnen.
War die Rolle von Anfang an fest für dich angelegt?
Nein, am Anfang war das eher offen. Die Figur hatte bisher nicht mal einen Namen. Eigentlich ist das eher ungewöhnlich, dass jemand so lange durchgehend dabeibleibt, gerade in so einer Rolle. Es gibt viele Beispiele, bei denen jemand nur zwei- oder dreimal mitgespielt hat und dann wieder weg war. Ich hatte da etwas Glück – aber auch den richtigen Moment erwischt. Ich fing gerade an, regelmäßig Geld zu verdienen, und mir war klar, dass ich dafür andere Dinge wie das Theaterspielen zurückstellen müsste. Die Kombination aus Krankenhausjob tagsüber und Theater abends funktioniert auf Dauer einfach nicht.
Wie kam es dann zur Figur Dr. Roth?
Das war tatsächlich ein Vorschlag von Dietmar Bär. Der meinte einmal: Der Kollege kommt jetzt öfter, der benötigt auch einen ordentlichen Namen. Und so wurde aus der Figur dann Dr. Roth.
Hat dir deine Doppelrolle als Arzt und Schauspieler in der Darstellung geholfen?
Absolut. Es hat sicherlich nicht geschadet, dass ich beides bin. Und vielleicht hat es sogar dazu geführt, dass wir die Rechtsmedizin so darstellen konnten, dass selbst echte Rechtsmediziner sagen: Das, was da in Köln passiert, kommt der Realität am nächsten. Aus dieser Konstellation heraus hat sich dann auch etwas weiterentwickelt.
Du meinst den Tatort Münster?
Genau. Auch der Tatort Münster ist aus dieser Entwicklung heraus entstanden. Produziert wurde er ebenfalls von der Colonia Media. Und dort spielt mit Jan Josef Liefers dann ein anderer Mediziner die Hauptrolle – auf eine ganz andere Art. Diese Entwicklung der Rechtsmedizin im Fernsehen zu beobachten und teilweise mitzugestalten, war wirklich spannend. Und ich finde, wir bekommen das ganz ordentlich hin.
Wenn du ein neues Drehbuch bekommst – prüfst du die medizinischen Details?
Ja, gerade am Anfang war das wichtig. Es kam vor, dass ich ein Drehbuch gelesen und dann zurückgemeldet habe, wenn etwas nicht stimmen konnte. Manche Regisseure haben das auch ausdrücklich eingefordert. Ich konnte dann Vorschläge machen, wie man es realistischer umsetzt. Manchmal waren es nur kleine Änderungen, manchmal auch größere Anpassungen, um es medizinisch plausibler zu machen.

Es hat nicht geschadet, dass ich sowohl Arzt als auch Schauspieler bin
Hast du ein Beispiel?
Einmal ging es um eine Leiche, die während des Karnevals gefunden wurde, offenbar erschlagen mit einem Pokal. Im Drehbuch stand, man habe Marmorpartikel in der Wunde gefunden. Das war natürlich Unsinn. Marmor splittert nicht einfach so. Ich habe dann vorgeschlagen, das in Polierpaste umzuwandeln, die auf dem Sockel des Pokals verwendet wird. Solche Details sind wichtig, damit es stimmig bleibt.
Warst du auch in der Vorbereitung anderer Tatorte beteiligt?
Ja, auch das kam vor. Gerade zu Beginn hat sich unter anderem die Maske häufig bei mir rückversichert, ob eine Verletzung so realistisch dargestellt ist. Da war ich als medizinischer Berater gefragt. Und über die Jahre sind meine eigenen rechtsmedizinischen Kenntnisse durch die Arbeit natürlich auch gewachsen. Ich wurde sogar von Autoren anderer Tatorte kontaktiert, wenn es darum ging, ob ein geplanter Mordfall medizinisch plausibel ist oder wie man einen Selbstmord wie Mord aussehen lassen kann.
Wirst du auf der Straße oft erkannt?
Ja, ziemlich oft. Die Leute sprechen mich an, sind sich erst unsicher und fragen dann, ob ich es wirklich bin. Viele sagen einfach, dass sie mich erkannt haben, manche kennen auch den Namen meiner Figur. Andere wissen zwar nicht genau, wie sie heißt, erinnern sich aber an das Gesicht. Der Wiedererkennungswert ist hoch, gerade weil der Tatort eine so prägende Sendung ist. Der Tatort ist das Flaggschiff des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und ich darf da seit vielen Jahren mitwirken. Und es ist auffällig, dass mich nicht nur ältere Zuschauer erkennen. Auch viele Jüngere, die den Tatort heute über Streaming oder die Mediathek schauen, kommen auf mich zu.
Du bist Jahrgang 1953, also inzwischen über 70. Gibt es für dich eine Altersgrenze, was deine Rolle als Rechtsmediziner angeht?
Für mich ist das eine Frage der Glaubwürdigkeit. Solange es stimmig wirkt, warum nicht. In anderen Formaten wie Miami CSI sind die Figuren auch nicht alle Anfang dreißig. Wichtig ist, dass das Spielalter zur Rolle passt und die Figur glaubhaft bleibt. Schauspielerei bedeutet auch, zwischen realem Alter und gespielter Figur zu trennen. Früher wurde das Alter gerade bei Schauspielerinnen noch bewusst verschwiegen. Heute sieht man das lockerer. Solange ich körperlich fit bin, mich aufrichten und hinknien kann, sehe ich keinen Grund aufzuhören. Ich benötige keine Doubles, ich bin einsatzfähig – auch nachts um zwei.
Du hast nicht direkt mit Medizin begonnen, sondern erst etwas ganz anderes studiert. Wie kam es zu dieser Wendung?
Ich habe zunächst Theaterwissenschaft, Germanistik und Politikwissenschaft studiert. Die Idee war, mich dem Theater auch theoretisch zu nähern, vielleicht als Dramaturg oder Regisseur. Anfangs dachte ich, das sei der richtige Weg. Aber ich habe schnell gemerkt, dass das Studium nicht meinen Erwartungen entsprach. Es war sehr theoretisch, fast museal. Ich wollte etwas mit mehr Praxis. Gleichzeitig habe ich nebenher im Theaterbetrieb gearbeitet, teilweise wirklich körperlich, zum Beispiel als Kabelträger. Fernsehen und Film begannen mich mehr zu interessieren, aber damals gab es noch nicht viele Möglichkeiten. Die große Zeit der Privatsender kam erst später.
Wie kam dann der Schritt zur Medizin?
Nach einem gescheiterten Versuch in der Regie hat mir ein Intendant geraten, es doch einmal auf der Bühne zu probieren. Das funktionierte anfangs, aber später war klar, dass das nicht dauerhaft tragfähig ist. In meiner damaligen Wohngemeinschaft lebten zwei Medizinstudierende, die kurz vor dem Abschluss standen. Das hat mich inspiriert. Tiermedizin kam für mich nicht infrage. Die Vorstellung, mit Schweinen zu arbeiten oder mit Stallgeruch, war nichts für mich. Also entschied ich mich für Humanmedizin. Diese Entscheidung fiel nicht leichtfertig. Medizin benötigt Disziplin, Ausdauer und echten Einsatz. Ich musste sehr viel lernen, um den Anschluss zu schaffen, vor allem, weil mein vorheriges Studium schon ein paar Jahre zurücklag. Aber ich habe es durchgezogen.

Der Wiedererkennungswert ist sehr hoch
Wie wird man Arzt in einer Justizvollzugsanstalt?
Indem man sich ganz normal bewirbt. Ich habe mich damals nicht direkt bei einer JVA beworben, sondern am Justizkrankenhaus Nordrhein-Westfalen in Fröndenberg. Das liegt in der Nähe von Unna. Der Hintergrund war damals politisch aufgeladen. In Folge des Todes von Holger Meins, der durch Hungerstreik starb, rechnete man mit vielen ähnlichen Fällen politischer Gefangener. Es wurde ein Krankenhaus geschaffen, das auf solche Situationen vorbereitet sein sollte. Ich wollte dort eigentlich nur für etwa anderthalb Jahre arbeiten, höchstens zwei. Danach hatte ich geplant, in die Urologie zu wechseln. Das Fach fand ich interessant, überschaubar und auch wirtschaftlich attraktiv.
Wie verlief dein Einstieg dort?
Ich bekam direkt die Frauenstation. Gleich zu Beginn hatte ich Kontakt mit einer ehemaligen RAF-Gefangenen, was sehr eindrücklich war. Sie war neu inhaftiert und ich war in etwa gleich alt, was die Situation auf besondere Weise geprägt hat. Wir haben viel diskutiert, und das war herausfordernd. Danach betreute ich ältere Männer, unter anderem nationalsozialistische Täter, die sich an nichts erinnern wollten oder konnten. Auch das war aufschlussreich, weil man mit Menschen konfrontiert war, die sich ihrer Schuld entziehen wollten. Dann kamen andere Gruppen: Menschen mit Hepatitis, Drogenabhängige, HIV-Infizierte – allesamt Patienten, die im Gefängnis oft stigmatisiert oder gemieden wurden.
Hattest du das Gefühl, mit deiner Arbeit etwas verändern zu können?
Ja, sehr. Wir waren mit die ersten, die Substitutionstherapien bei drogenabhängigen Gefangenen durchgeführt haben, mit Genehmigung unseres damaligen Chefarztes. Es war eine spannende, fordernde Zeit. Medizinisch, aber auch gesellschaftlich. Man war nah dran an sozialen Brennpunkten und gesellschaftlichen Entwicklungen. Ich hatte das Gefühl, dass die Arbeit Bedeutung hat.
Gab es einschneidende Erlebnisse?
Ja, unter anderem eine Geiselnahme im Jahr 1992. Ich war zu der Zeit gerade dabei, nach Duisburg in ein anderes Krankenhaus zu wechseln, hatte bereits Gespräche geführt. Die Geiselnahme war ein Schlüsselmoment. Einige Kolleginnen sind danach nie wieder zur Arbeit erschienen. Für mich war das ein Punkt, an dem ich mich entschieden habe zu bleiben. Ich wollte Verantwortung übernehmen und wusste, dass meine Familie im Ernstfall gut abgesichert wäre, weil ich im Staatsdienst war.
Hattest du ursprünglich andere Pläne mit deinem Medizinstudium?
Ja. Ich wollte eigentlich in entlegene Gebiete, vielleicht nach Australien, und dort als fliegender Landarzt arbeiten. Ich hatte den Anspruch, alles zu beherrschen – von der Geburt bis zur Notfallchirurgie. Deshalb habe ich mich sehr breit ausbilden lassen, in der Inneren Medizin, in der Chirurgie und in der Notfallmedizin. Ich war darauf vorbereitet, überall einsetzbar zu sein. Am Ende bin ich nicht um die Welt gereist – aber die Welt ist zu mir gekommen. In meinem Arbeitsalltag im Justizkrankenhaus hatte ich mit sehr vielen unterschiedlichen Menschen, Kulturen und Krankheitsbildern zu tun. Auch das war eine Art von Weltreise.
Du bist Arzt, Schauspieler und schreibst nebenbei auch noch Bücher. Woher kommt dieses Interesse am Schreiben?
Das Schreiben hat mich schon lange begleitet. Bereits während meiner Zeit am Theater habe ich Stücke mitverfasst oder ganz geschrieben. Gemeinsam mit Freunden habe ich an Drehbüchern gearbeitet. Einige dieser Projekte wurden sogar verkauft. Schreiben war für mich also nie etwas vollkommen Neues, sondern immer ein Teil meines kreativen Ausdrucks.
Was hat dich letztlich dazu gebracht, eigene Bücher zu veröffentlichen?
Ein enger Freund war der entscheidende Impulsgeber. Er war Journalist und politisch sehr engagiert. Er schrieb einen Krimi mit dem Titel „Kalte Wut“ und wollte, dass ich bei Lesungen seine Texte spreche. Wir traten gemeinsam auf, ich war seine Stimme. Und ich habe gemerkt, dass ich das auch selbst machen möchte – mit meinen eigenen Texten, meinen eigenen Ideen. Vor Publikum zu stehen und etwas Eigenes zu präsentieren, hat mich fasziniert.
Dabei weiterhin viel Spaß und danke für das Gespräch.
Danke euch.
Joe Bausch
Der 1953 im Westerwald geborene Mediziner ist Schauspieler und Autor. Zudem studierte der Tatort-Rechtsmediziner Theater-, Politik-, Rechtswissenschaften und Germanistik. Und manchmal fährt er Zug, und während dieser Zeit kann man ihm begegnen und Spannendes erfahren.
Illustration Thorsten Kambach / Fotos Wolfgang Schmidt & WDR-Martin


