Tom Feuerstacke und Jan Hardelauf besprechen Entwicklungen im Fußball
KOOPERATIVES HANDELN AUF DEM PLATZ UND DANEBEN
Häufig fragt man sich, wenn man über Volkswirtschaftler spricht, was die so machen. Daraufhin googelt man etwas und findet die Antwort. Also man weiß dann, dass alle, die Güter produzieren, verteilen und verbrauchen, zu einer Volkswirtschaft gehören. Aha. Alles verstanden oder auch nichts. Dann trifft man auf einen Volkswirt, der sich gesagt hat, dass er in dem Bereich nicht arbeiten will, aber durchaus das Studierte in seinem heutigen Beruf anwendet. Als Autor und Trainer im Fußball findet er, dass dieser Job als Coach sich nur wenig vom Ökonomen unterscheidet.
Jan. Eigentlich kennt man dich als Jugendtrainer im Fußball. Was viele nicht wissen: Du bist kein Student mehr. Du bist Volkswirt. Allerdings schreibst du für den Philippka-Verlag. Ihr erstellt Fachliteratur für den Fußball. Wieso so weit weg vom Volkswirt?
Ich hatte als junger Spieler nie Bock auf Training. In der A-Jugend trainierte uns ein Coach, der von der Sporthochschule Köln kam. Er war derjenige, der mich inspirierte, Trainer zu werden. In seinem Training gab es eine Menge spielerische Elemente mit Sinn. Es gab ein Trainingsziel. Mit meinem Umzug aus Köln nach Münster wurde ich schnell Jugendtrainer.
Okay. Jetzt kennen wir den Grund, aus dem du Trainer bist. Wir wissen aber nicht, warum du nicht als Volkswirt arbeitest, sondern als Autor für Fachliteratur und als Trainer?
(Lacht) Trainer und Ökonomen sind gar nicht so verschieden. Ökonomen versuchen, dass die Menschen durch Regeln das Optimale hervorbringen. Das heißt: Als Coach versuche ich, den Spielern durch leichte Veränderungen im Training eine andere Spielweise, einen anderen Lösungsansatz implizit zu zeigen. Im Prinzip sagen die Ökonomen, dass der Mensch faul ist. Und wir müssen Wege finden, diese Faulheit zu nutzen, um Ziele zu erreichen. Es geht um kooperatives Handeln. Da ist der Fußballplatz nicht anders als der Rest der Gesellschaft.
Aber warum der Philippka-Verlag?
Das entstand aus einer Laune heraus. Ich war jahrelang Abonnent des Magazins „Fußballtraining“. Nach meinem Abschluss wollte ich während Corona allerdings nicht in die Wirtschaft. Viele meiner Kommilitonen haben Beraterjobs angenommen. Der Umgang und die Arbeitsweise haben mich abgeschreckt. Ich hatte per Zufall gelesen, dass der Verlag Mitarbeiter sucht und ich habe an dem gleichen Abend noch das Bewerbungsschreiben fertig gemacht. Die Bewerbung war nicht standardmäßig. Ich habe sie völlig frei gestaltet und zwei Wochen später habe ich einen Anruf erhalten.
Wenn ich das im Vorfeld richtig gelesen habe: Du schaust dir Trainings an und schreibst darüber, um es anderen Interessenten nahezubringen?
Derzeit bin ich für das Magazin „Fußballtraining“ aktiv. Hier veröffentlichen pro Ausgabe vier bis fünf externe Autoren. Bei zwei bis drei dieser Artikel bin ich bei den Autoren vor Ort und spreche mit ihnen, führe Interviews oder wir haben Fotoshootings. Aber vor allem schaue ich mir deren Trainings an, um mir ein Bild machen zu können. So kann es sein, dass ich beim BVB bin – wie jetzt kürzlich beim DSC Wanne-Eickel.
Worin besteht das Interesse, über das Nachwuchsleistungszentrum des BVB zu berichten und dort mit den Trainern zu sprechen und auf der anderen Seite den Trainingsbetrieb des DSC zu zeigen?
Man lernt durch Unterschiede. Egal auf welchen Leveln kann es gute Trainer geben. Du hast als Coach in Wanne-Eickel in der Landesliga eine andere Aufgabenstellung als der, der das Training bei Dortmund im NLZ leitet. Du hast auch völlig unterschiedliche Spieler. Wie formst du jetzt deine Mannschaft an drei Trainingstagen, um die Aufgaben in der Landesliga erfolgreich bewältigen zu können, während im NLZ die Trainer jeden Tag mit den Kids arbeiten – und das hauptberuflich? Das sind ja zwei völlig unterschiedliche Herangehensweisen, die aber gemeistert werden müssen im optimalen Fall. Das ist auf unterschiedlichen Leveln spannend zu beobachten.
Es gilt die Mannschaft zu formen
Wie sehr unterscheidet sich das Training eines Landesligisten zu einem im Nachwuchsleistungszentrum?
Ich habe selber eine Landesligamannschaft trainiert. Das Training in einem NLZ ist deutlich durchdachter. Was selbstredend ist, weil die Trainerteams mehr Zeit miteinander verbringen; sich über die Aufgaben ständig austauschen können. Hinzu kommt, dass die Spieler solcher Zentren die Trainingseckpunkte schneller aufnehmen und umsetzen können. Das Niveau ist einfach höher. Die Trainer sind in ihrer Ansprache vermutlich besser und können den Spielern ihre Trainingsinhalte deutlich schneller vermitteln.
Wie viele Leser nutzen eure gedruckte Hilfestellung. Printmedien haben es ja nicht so einfach in der heutigen Zeit?
Kann ich nicht genau sagen. So circa 15.000 Leser haben wir. Das Magazin ist ein offizielles Heft des Deutschen Fußball-Bunds. Wir sind ein Dienstleister für den DFB und bespielen verschieden Medien und Plattformen mit unterschiedlichen Redaktionen.
Wie sehr beeinflusst ihr mit euren Publikationen die Trainingsarbeit der Trainer von heute. Wenn man so sagen kann, seid ihr Trendsetter der Trainingsgestaltung auf den Plätzen der Republik?
Interessante Frage. Wir arbeiten gerade an unserer Ausgabe zum 40-jährigen Jubiläum. Ich habe dazu Artikel aus den Achtziger- und Neunzigerjahren gelesen. Dort ist uns das Bochumer Modell aufgefallen, bei dem es um Handlungsschnelligkeit, Wahrnehmung, Entscheiden und Ausführen im Fußball ging. Das ähnelt dem Spielerkompetenzmodell, welches es heute gibt. In Bochum vor 40 Jahren besprochen und veröffentlicht. Wir sehen uns schon als Plattform für neue Ideen. Wir stehen im ständigen Austausch mit dem DFB und deren Wissenschaftlern, um neue Wege zu finden.
Jetzt habe ich gesehen, dass auch du in deinem Verein mit den Kleinsten das Modell Funino spielst. Der DFB beschreibt das Spiel so: Ziel des Funino ist die Verbesserung der Spielintelligenz, also der Wahrnehmung, Antizipation, Kreativität sowie der Analyse von Spielsituationen: Kling erstmal sehr revolutionär. Kleine Klapptore; 3-3 Spieler. Kein Torwart. Dann sehe ich, dass seit ungefähr in den Achtzigern die Spanier in der Jugend das Modell spielen. Also doch nicht so revolutionär. Warum tut sich der DFB so schwer mit solchen Neuerungen?
(Lacht) Dazu noch die verrückte Anekdote. Der deutsche Horst Wein war es, der das Ganze in den Achtzigern nach Spanien gebracht hat. Hier in Deutschland ist er nicht so auf Anklang gestoßen…
…sein Buch war in Englisch verfasst und das konnte niemand in der DFB-Zentrale lesen…
…(lacht) Könnte man denken, ist aber nicht so. Das Buch gab es auch in deutscher Sprache. Aber jetzt im Ernst: In Deutschland ist Fußball ein Volkssport. Und aus der Nostalgie heraus besteht eine gewisse Hemmschwelle, Dinge neu zu gestalten. Das ist meine Meinung. Die Idee hatte man in der Zentrale in Frankfurt sicherlich schon länger, aber es ist ein Verband mit Mitgliedern und eine Umsetzung dauert da aus meiner Erfahrung länger. Denn jeder Verein muss auf die Reise einer Neuerung mitgenommen werden – und bis da alle Bedenken ausgeräumt sind. Diese Bedenken haben auch Eltern, die diese dann auf die Kinder projizieren. Wie die Frage, wann man endlich auf richtige Tore schießt. Und wenn dann da noch ein richtiger Silberrücken an Trainer steht, der seit Jahren seine Trainingsmethodik nur schwerlich ändert: Den gilt es erstmal zu überzeugen.
Vor leeren Rängen, lässt es sich gut plaudern
Aber noch mal: Wem ist es aufgefallen, dass Horst Wein dieses Buch geschrieben hat und warum erst jetzt dieses Umdenken?
Der Autor Wein hat das Ganze jahrelang propagiert. Professor Matthias Lochmann hat auf dem internationalen Trainer-Kongress darüber einen Vortrag gehalten. Ich bin überzeugt, dass es innerhalb des DFB schon lange Stimmen gab, das Ganze auf den Weg zu bringen. Gleichzeitig ist man dankbar dafür, dass Ehrenamtler in den Vereinen bis in die untersten Ligen den Spiel- und Trainingsbetrieb aufrechterhalten. Dass eine ständige Änderung an der Trainings- und Spielsteuerung so manchen vor den Kopf stößt und sie überfordert, will man auch nicht. Man muss ehrlich sagen, dass Trainer in der U-6 häufig Jugendliche unter 14 Jahren sind, oder Väter, die froh sind, dass ihre Kids kicken. Da schreckt man vor neuen Spielmodellen schnell zurück.
Der Straßenfußball zeigt wieder den Weg. Der Ball steht im Mittelpunkt. Einfache Taktiken. Man sucht den starken Entscheider auf dem Platz. Also alles soll einfacher werden und weg vom starren taktischen Korsett. Den kopfballstarken Stürmer braucht es auch nicht mehr. Manchmal wirkt es so wie ein Hinterherlaufen. Gerne nach misslungenen Welt- und Europameisterschaften?
Das hat etwas mit den Tendenzen im Weltfußball zu tun. Man muss schon sagen, dass der FC Barcelona mit seinem Trainer Pep Guardiola die letzten Jahre des Fußballs geprägt hat. Dort sind Spieler wie Zlatan Ibrahimovic und Samuel Eto`o als Stoßstürmer rausgeflogen. Irgendwann wurde mit Messi als falsche „9“ gespielt. Als junger Trainer orientierst du dich daran. Und als grundsätzliche Verbandsidee orientiert man sich auch an solchen Taktiken. Und klar, auch der Pep kann nicht ohne Stürmer. Also hat er nun den Erling Haaland. Und es gab auch jede Menge Artikel, wie man den perfekten Stürmer bekommt. Alle diese Tendenzen prägen den Weltfußball und seine Verbände.
Du bist in den besten Jahren eines Trainers angekommen. Was möchtest du in den nächsten 30 Jahren entwickeln und schaffen, damit sich Jugendliche von dir inspiriert fühlen, Trainer zu werden?
Schwierig. Die Idee meines Trainings ist, dass die Kinder lernen, auf der Basis von Spaß. Ich merke, dass Generationen sich verändern. Ich hoffe, dass ich einen Beitrag leiste. Sei es hier im Verein oder einem kleineren Level, wo man jungen Menschen hilft, das leisten zu können: Lernen mit Spaß. Meine große Sorge wäre, dass ich irgendwann dastehe, immer noch Trainer bin, den Ball in die Mitte schmeiße und genervt bin, dass die Jungs mich nicht verstehen. Es wäre super, wenn mein Wissen sich nicht als kurzfristig entpuppt, sondern über eine längere Zeit bestand hält.
Da mache ich mir keine Sorgen.
Jan Hardelauf
Der 1992 in Köln geborene und aufgewachsene Volkswirt wendet seine studierten Theorien an, aber nur im Fußball und da auf dem Platz. In seinem Hauptberuf bringt er anderen Trainern Ideen in der Gestaltung des Fußballs als Autor näher.
Autor Tom Feuerstacke / Illustration Thorsten Kambach / Fotos Armin Zedler