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2022-11-07 Stadtgeflüster Illustration Ekki kurz.tif

David Olef spricht mit Clarissa von Ohnesorge, Ulla Lucka und Dieter Broekmann über ehrenamtliche Hospizarbeit und das volle Leben

LEBEN. LACHEN. LOSLASSEN.

„Das könnte ich ja nie.“, hören Ulla Lucka, Clarissa von Ohnesorge und Dieter Broekmann oft genug. Obwohl fast alle in ihrem Leben bereits mit den Themen Tod und Sterben konfrontiert wurden, schrecken die meisten bei dem Stichwort „Hospiz“ erstmal zurück. Trotzdem sind Ulla und Clarissa ehrenamtlich bei der Hospizbewegung Münster e.V. engagiert. Dabei stehen die beiden nicht nur traurige und schwere Momente durch, sondern erleben mit den Trauernden und Sterbenden auch Freude und das volle Leben. Vielleicht könnten wir es ja doch?

Hallo, vor zwei Jahren feierte der Verein Hospizbewegung Münster e.V. bereits 30-jähriges Jubiläum. Seit wann seid ihr drei aktiv engagiert?


Ulla Lucka (UL): Ich bin seit 2018 dabei und jetzt im fünften Jahr.

Clarissa von Ohnesorge (CvO): Seit 2015 helfe ich ehrenamtlich bei der Hospizbewegung. Davor war ich anderweitig, neben meinem Beruf in der frühen Hilfe für behinderte Kinder, auch schon ehrenamtlich engagiert.


Dieter Broekmann (DB): Ich übernehme ein bisschen die Vermittlerrolle (lacht) und arbeite mittlerweile seit 2007 als Koordinator für die Hospizbewegung.


Hattet ihr schon vorher Berührungspunkte mit der Hospizarbeit, bzw. in welchen Bereichen wart ihr vorher engagiert?


CvO: Ich habe mir schon als junger Mensch in Klinik-Nachtwachen während des Studiums Geld dazu verdient und war dabei schon früh mit Sterbesituationen konfrontiert. Über die Malteser habe ich dann in den 70er- und 80er-Jahren bereits Fortbildungen gemacht und war immer interessiert an dem Thema.


UL: Ich komme aus einem ganz anderen Bereich und war 44 Jahre in einem kaufmännischen Beruf tätig. Nach meinem Arbeitsleben wollte ich grundsätzlich etwas anderes machen und habe begonnen, mich aufgrund einer Erkrankung im familiären Umfeld mit dem Thema Demenz auseinanderzusetzen. Letztendlich bin ich dann hier bei der Hospizbewegung gelandet.


Das sind aber wirklich zwei sehr unterschiedliche Hintergründe. Wie kann man sich euren ehrenamtlichen „Alltag“ vorstellen?


CvO: Die ambulante Hospizbewegung hat verschiedene Arbeitsschwerpunkte. Zum einen die Sterbebegleitung, wo die Sterbenden selbst begleitet werden, und daneben die Trauerbegleitung, wo wir Trauernde begleiten. Ich für meinen Teil bin in der Trauerbegleitung, Ulla ist in der Sterbebegleitung aktiv.


DB: Zusätzlich bieten wir noch Informationen zur Patientenverfügung für alle Menschen, unabhängig davon, ob man akut betroffen ist, Schulungen und sogenannte Letzte-Hilfe-Kurse an. Also ein breites Spektrum.


Dann beginnen wir mit der Trauerbegleitung. Wie sieht dort das ehrenamtliche Engagement aus?


CvO: Zunächst habe ich auch eine sehr intensive Ausbildung für die Sterbebegleitung absolviert. Über Trauerkaffees und Frühstücksangebote für die Trauernden konnte ich dann in den Arbeitskreis Trauerbegleitung reinschnuppern und habe während Corona ausschließlich Waldspaziergänge für Trauernde angeboten. Dementsprechend bin ich gern bei diesem Angebot geblieben (lacht).


Du hast klassische Aktivitäten im Bereich der Trauerbegleitung schon dargestellt. Wie sieht denn in der Sterbebegleitung
der ehrenamtliche „Alltag“ aus?


UL: Ich gehe in den Haushalt, in die entsprechende Altenpflegeeinrichtung oder auch in das Krankenhaus. Manchmal begleite ich die Sterbenden kurz, dann wieder über einen langen Zeitraum. In akuten Fällen bin ich auch öfter als wöchentlich für die Sterbenden da. Wir gucken, welche Ansprüche und Wünsche es gibt. Manchmal ist ein verbaler Dialog mit der Person nicht mehr möglich. Dann geht es eher um die Nähe und das Dasein.


Was war für euch der ausschlaggebende Punkt, sich ehrenamtlich im Hospiz zu engagieren?


UL: In der Vergangenheit habe ich gesehen, wie traurig es sein kann, wenn Menschen allein sind in ihrem Sterben. Da wurde mir deutlich, dass man für die Menschen da sein und etwas tun sollte. Diese Motivation hat sich während meines Engagements immer mehr verfestigt.


CvO: Mein Interesse ist durch meine Erfahrungen bei der Nachtwache geweckt worden. Es ist außerdem ein großes Geschenk und ein Vertrauensbeweis, mit Menschen Grenzsituationen teilen zu dürfen. Insbesondere in der Sterbesituation geht es um das „Dasein“ und das solidarische Nebenhertraben. Ich habe selbst in meinem Leben viel Solidarität erfahren dürfen und würde das gerne weitergeben. Dieses Gefühl kennen, denke ich, viele Menschen. In bestimmten Situationen ist es einfach schön, einen Menschen neben sich zu haben, der einen nicht zutextet mit eigenen Geschichten, sondern einfach da ist und nicht wegläuft. Leben ist auch unter schweren Bedingungen gestaltbar.


Es gibt also auch die schönen Momente in der Begleitung.


UL: Ja, zum einen ist das Vertrauen und das Sich-Öffnen der Menschen ein großes Geschenk. Und auch die Freude, die man zusammen erleben kann. In einer letzten Begleitung haben wir so viel zusammen gelacht. Auch im Sterben selbst habe ich Menschen erlebt, die ganz friedlich und so gestorben sind, wie sie wollten. Da können Menschen auch leichter Abschied nehmen.


CvO: Ich finde es unglaublich schön, wie diese Fülle von Leben auch in Grenz- und Trauersituationen deutlich wird. Oft ändern unerwartete Ereignisse vieles, zum Beispiel nach der Geburt des Enkels macht sich die Person neu auf den Weg. Oft gehe ich aus dieser Tätigkeit wieder mit der Erfahrung: Wow, es geht auch weiter.


DB: Es gibt von der stillen Begleitung bis zu aktiven Ausflügen eine wirklich große Spannweite.

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Gibt es denn auch Grenzen für euch beide? Also Dinge, die ihr nicht machen würdet?


UL: Es ist sehr wichtig, dass die Chemie zwischen den beiden Personen stimmt. Nur dann kann man die Begleitung übernehmen. Kleinere Probleme oder Störungen werden auch in der regelmäßigen
Supervision besprochen.


DB: Darüber hinaus wird die Ausgangssituation immer mit den Begleitenden abgesprochen. Wenn es dann grenzüberschreitende Situationen gibt, ist es auch immer legitim, „Stopp“ zu sagen.


CvO: Mir kam gerade noch ein anderer Aspekt in den Kopf. Möglicherweise kommt in Zukunft das Thema assistierter Suizid auf uns zu. In diesem Bereich wird jeder für sich eine Position und Abgrenzungen entwickeln müssen.


Hat sich die Motivation in den Jahren, in denen ihr bereits engagiert seid, geändert? Oder übt ihr das Ehrenamt immer noch aus denselben Gründen wie damals aus?


CvO: Bei mir hat sich in der Zwischenzeit herauskristallisiert, dass ich besonders gerne die Waldspaziergänge in der Trauerbegleitung mache. Ansonsten ist mir das einfache Dasein noch wichtiger geworden. Als junger Mensch hatte ich öfter das Gefühl: „Da muss ich dies tun oder das könnte ich machen.“ Dieses Gefühl ist weniger da.

UL: Zu Anfang war auf meiner Seite noch eine Unsicherheit da. Im Laufe der Zeit ist diese aber verflogen und meine ursprüngliche Motivation hat sich verfestigt. Ich mache es immer noch gerne.

CvO: Bei mir ist vielleicht noch mal ein anderer Aspekt dazugekommen. Durch Gedanken, zum Beispiel an den Ukraine-Krieg, wurde mir klarer, wie gut es uns eigentlich geht. In Deutschland und insbesondere in Münster sind wir, bei allen Defiziten, mit zwei stationären Hospizen und mehreren ambulanten Diensten gut aufgestellt.

Kann euer Umfeld euer Engagement nachvollziehen oder tauchen immer wieder Fragen auf, warum man sich freiwillig so viel mit dem Thema Tod und
Trauer auseinandersetzt?

UL: In meinem Umfeld gab es verschiedene Reaktionen. Viele Jüngere sagen eher: „Oh Gott, das könnte ich nicht.“ Andere verstehen das sehr gut oder sind dankbar, mit mir über solche Themen sprechen zu können.

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Im Laufe der Zeit ist die Unsicherheit verflogen

CvO: Viele Leute in meinem Umfeld sind irritiert, da ich zum einen gerne Jux mache und Spaß habe und auf der anderen Seite mich so viel mit dem Sterben auseinandersetze. Da sage ich immer: Das ist eben die Fülle des Lebens von ganz schwarz bis ganz weiß, die ganze Farbpallette.


Gibt es denn auch auf eurer Seite Momente der Hilflosigkeit und wie geht ihr damit um?


CvO: Es gibt Situationen, die schwerer sind und einen auch emotional anfassen. An der Stelle hilft es mir auch neben der Supervision, Dinge im religiösen Sinne nach oben abzugeben. Manchmal gibt es keine Antwort.


UL: Ich muss in diesen Situationen etwas dagegensetzen. Dann gehe ich spazieren oder setze mich aufs Fahrrad. Es geht als begleitende Person auch darum, auf sich selbst achtzugeben.


DB: Sterbebegleitung ist eben auch Lebensbegleitung, finde ich. Das Leben besteht aus schönen und unschönen Momenten. Deshalb ist Hospizarbeit auch nicht nur schönes Sterben, sondern es gibt auch qualvolle Momente und auch dort versuchen wir mitzugehen, auszuhalten und nicht wegzusehen. Dazu gibt es auch die Möglichkeiten der Reflektion.


Habt Ihr durch eure Arbeit auch einen anderen Blick auf das Leben und den Tod?


UL: Für mich hat der Tod nicht mehr dieses Furchtbare, was vielleicht vor einigen Jahren noch da war.


CvO: Bei mir wird das Dankbarkeitskonto einfach immer voller. Ansonsten habe ich auch sachliches Wissen dazugelernt. Aus diesem Grund bieten wir auch Letzte-Hilfe-Kurse und Informationen zur Patientenverfügung an. Weil es auch Faktenwissen gibt, das Sterbenden hilft.


DB: Genau, wir müssen als gesamte Gesellschaft wieder einen natürlicheren Umgang mit dem Tod und Sterben lernen. Kinder haben beispielsweise oft einen natürlicheren Umgang mit dem Tod
und weniger Berührungsängste als wir Erwachsenen.


Gibt es noch andere Dinge, die ihr euch in Zukunft gesellschaftlich wünscht, ausgehend von eurem Ehrenamt?


UL: Ich hoffe, der Gedanke „Ich bin da für andere“ wird noch selbstverständlicher. Darum sind wir auch immer wieder bemüht, Informationen in die Breite der Bevölkerung zu geben.


Vielen Dank an euch alle für dieses Gespräch!

Clarissa von Ohnesorge ist 71 Jahre alt und Diplom-Pädagogin. Seit 2015 ist sie bei der Hospizbewegung Münster aktiv. Davor war sie bereits bei der frühen Behindertenhilfe aktiv.

Ulla Lucka ist gelernte Industriekauffrau und mittlerweile Rentnerin. Bei der Hospizbewegung ist sie seit dem Jahr 2018 engagiert.

Dieter Broeckmann ist seit 1995 in der Hospizarbeit, zuerst ehrenamtlich und mittlerweile als Koordinator des ambulanten Hospizdienst engagiert. Davor war er von Beruf Krankenpfleger.

llustration Thorsten Kambach / Fotos Pressefotos

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