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2022-11-07 Stadtgeflüster Illustration Ekki kurz.tif

Tim Schaepers spricht mit Hannes Solling über kiffende kirchliche Seelsorger

THEY LEGALIZED IT!

Seitdem der Anbau und Besitz von Cannabis in Deutschland entkriminalisiert wurde, rückt das Thema immer wieder in den öffentlichen Diskurs. Biertrinkende CSU-Politiker stellen Marihuana auf eine Ebene mit „Crystal Mett“ [sic!]. Wohingegen viele Kiffer in Deutschland sich über das halbgare Gesetz beschweren. Wie es um den ersten sogenannten Cannabis-Social-Club in Münster, der legales Gras an seine Mitglieder ausgegeben hat, bestellt ist, erzählt Hannes unweit des Doms – dem jetzt grünen Herzen der Stadt.

Hannes, kann ich dich als ersten legalen Grasdealer Münsters bezeichnen?


(Lacht). Irgendwo schon, klar. Wir sind der erste Verein mit Lizenz und ich bin der Vorstandsvorsitzende. Wir versuchen uns sehr stark vom Schwarzmarkt und damit auch vom Begriff des Dealers abzugrenzen. Ich glaube, allein schon durch unsere Struktur, durch unseren Aufbau und wie alles funktioniert, sind wir der Gegenentwurf zum Dealer. Aber ich denke, so plakativ kann man das sagen.


Wie bist du auf die Idee gekommen, diesen Verein zu gründen? Anders gefragt, was hat dich getrieben, diesen bürokratischen Berg zu besteigen?


Das Thema Cannabis hat bei mir schon immer eine gewisse Rolle gespielt. Aufgrund von medizinischer Anwendung als auch im Freundeskreis gab es immer mal Berührungs- und Bezugspunkte. Ich habe immer gesehen, dass die Zeit der Prohibition vielen Menschen geschadet hat. Als dann die Legalisierung beschlossen wurde, war das für uns eine Art Grundsatzüberlegung: Können wir uns das vorstellen oder nicht? Ich finde, dass das Vereinsmodell viele gute Ansätze mit sich bringt, die eine Goldgräberstimmung verhindert. Das sähe ich sonst sehr kritisch.


Kann man sagen, dass die Idee einer Bierlaune oder besser einer Graslaune entstanden ist?


Nein. Da steckte von Beginn an mehr dahinter. Wir haben sofort ernsthafte Planungen angestellt und das Ganze durchgerechnet. Man muss sich über viele wichtige Punkte im Klaren sein. Wobei es auch eine romantische Idee oder besser gesagt Vorstellung von dem Ganzen gab.


Wie groß war der bürokratische Aufwand? Wie viele Bögen Papier musstet ihr ausfüllen?


Es gibt unterschiedliche Ebenen. Zum einen die Antragsgeschichte: Die würde ich sogar als relativ schlank bezeichnen. Da wir mit die Ersten waren, lief das noch alles analog. Mittlerweile geht das komplett digital übers Internet. Ich würde es aber nicht unbedingt als Aufwand betrachten. Vieles in den Vorgängen hat Hand und Fuß. Dass man sich zum Beispiel Gedanken um die Sicherheit oder den Jugendschutz macht. Und eben diese Gedanken umsetzt und dementsprechend dokumentiert. Vor dem Hintergrund dessen, worum es hier eigentlich geht, würde ich den Aufwand nicht als überbordend bezeichnen. Es war sogar eine sehr gute Zusammenarbeit mit der Bezirksregierung. Ich kenne Geschichten, dass in Bayern überall Spielplätze geplant werden, damit man die Abstandsregelungen der 200 Meter nicht mehr hinbekommt. Da ist NRW etwas lösungsorientierter – zum Glück.


Dennoch gibt es mit Sicherheit eine Menge Auflagen. Nicht an Kinder verkaufen, ist klar. Welche gibt es noch?


Aus meiner Sicht das Wichtigste: Jugendschutz- und Präventionskonzepte. Hier muss man sagen, dass es vorher kaum Jugendschutz gab. Jetzt macht man da viel mehr. Uns ist sehr wichtig, dass wir als Verein keine neuen Zielgruppen oder Menschen für den Konsum begeistern. Wir richten uns ausschließlich an bestehende Konsumenten. Außerdem ist wichtig, dass sich im Verein jeder auf eine gewisse Art und Weise beteiligen kann. Das finde ich sinnvoll, wobei man natürlich nicht jedes Vereinsmitglied dazu zwingen kann, gemeinschaftliche Arbeit zu leisten. Außerdem dürfen die Vereinsvorstände keine Vorstrafen haben. Das ist verständlicherweise ebenso wichtig und richtig.


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Das wichtigste ist Jugendschutz

Der Name des Klubs lautet Layf e.V. Ich vermute, es hängt damit zusammen, dass wir uns über dem Café Fyal am Dom getroffen haben?


Ja, ganz genau. Oben ist der Layf, unten das Fyal. Ganz wichtig: Es gibt keine rechtliche, finanzielle oder organisatorische Zusammenarbeit. Die wäre auch verboten. Es ist eine tolle Lage in dem Gebäude und ohne das Fyal hätten wir die auch so nicht bekommen.


Du kanntest also die Betreiber des Cafés?


Genau. Und da unterstützt man sich. Ich selbst habe da früher gearbeitet. Es gibt auch einige Leute aus dem Vereinsumfeld, die dort arbeiten. Das Fyal ist ein eher progressiver Laden. Das passt zu unserem Konzept.


Eure Räumlichkeiten sehen nicht aus wie Coffeeshops, so wie man sie zum Beispiel bei unseren niederländischen Nachbarn kennt. 


Das hat einfach den Grund, dass es keine Coffeeshops sind. In Deutschland benutzen wir die Bezeichnung ‚Social Clubs‘. Im Prinzip ist auch das nicht korrekt, da wir eine Anbauvereinigung sind, in der es um den Anbau geht. Nicht um das Soziale oder die Kultur, was schade ist.


Wir dürften uns hier also keinen Joint rauchen?


Nein. In einem Radius von 200 Metern um uns herum dürften wir das nicht. Wir befinden uns hier in der Abgabestelle. Natürlich würden sich einige Vereinsmitglieder gerne hier aufhalten und gemeinsam Zeit verbringen. Ich fände das auch schön. Aber so weit sind wir in Deutschland noch nicht.


Wie läuft das mit der Grasübergabe? Rufe ich eine Nummer an, vereinbare einen zwielichtigen Ort hinterm Bahnhof und treffe mich da mit dir?


Ja, und im Anschluss musst du dann die Nummer löschen (lacht). Quatsch. Wir haben eine App, worüber auch unsere ganze Verwaltung stattfindet. Da kann man die Sorte wählen und einen Termin zur Abholung buchen. Ganz wichtig noch mal zu sagen, es ist eine Abgabe und kein Verkauf. Durch meinen Mitgliedsbeitrag leiste ich einen Anteil am Anbau und bekomme diesen in Form von Cannabis zurück.


Ich wähle eine Zeit und komme dann hierher?


Per App, ja. Es gibt jetzt keine festen Öffnungszeiten im klassischen Sinne, auch um Stau, Schlangen und somit Aufmerksamkeit zu verhindern. Man muss natürlich sagen, der Schwarzmarkt findet das nicht gut, was wir machen. Dem sind wir ein Dorn in Auge. Dementsprechend haben wir einen Fokus auf unsere eigene Sicherheit.


Man kann seinen Mitgliedsbeitrag im Grunde selbst bestimmen?


Im Prinzip ja. Das richtet sich danach, wie viel man braucht. Im individuellen Gespräch redet man dann miteinander. Die Preise darf ich gar nicht öffentlich kommunizieren. Das fällt schnell unter das Werbeverbot. Ich kann aber sagen, dass wir uns zwischen sieben und zwölf Euro pro Gramm befinden.


Ich denke, das ist für viele Kiffer in Münster und Umgebung ein lang ersehnter Traum. Wie voll ist der Verein? Wie groß war der Andrang?


Wegen des Werbeverbots lief es teilweise eher langsam mit neuen Mitgliedern. Wir stehen jetzt bei knapp etwas mehr als 300 Mitgliedern, 500 dürfen wir gesetzlich haben. Im Endeffekt ist das auch gut so. Wir wachsen stetig, aber nicht zu schnell. Besser kontrolliert als zu wild wachsen. Wir nehmen aber noch Mitglieder auf.


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Das klingt vernünftig. Darf jeder Münsteraner Mitglied werden?


Man muss einen festen Wohnsitz in Deutschland haben und über 21 Jahre alt sein. Viele denken, man müsste deutscher Staatsangehöriger sein, aber das stimmt nicht. Münsteraner muss man also auch nicht sein.


Aus welchen Schichten oder Milieus sind die Mitglieder?


Ich würde sagen, wir sind ein Querschnitt der Gesellschaft und von 21 bis 89 Jahren ist alles dabei – Studenten, Azubis, Handwerker, Selbstständige, kirchliche Seelsorger, Rentner, Uni-Professoren. Unser Altersdurchschnitt liegt so bei Ende 30, Anfang 40.


In den Medien gibt es widersprüchliche Aussagen. Einerseits heißt es, dass alles schlimmer geworden sei. Andererseits, dass wir auf einem guten Weg sind. Wie siehst du die politische Lage im Hinblick auf Cannabis?


Ich glaube, hier gibt es verschiedene Ebenen. Wenn man schaut, wie die Situation für den einzelnen Konsumenten aussieht, kann man ganz klar sagen, dass eine Legalisierung, egal in welcher Form, immer guttut. Die Menschen müssen sich nicht mehr verstecken. Gleichzeitig müssen wir aber auch offener über mögliche Probleme durch übermäßigen Konsum sprechen und aufklären. Außerdem gibt es im Gesetz noch einiges an Verbesserungspotenzial. Zum Beispiel der ‚Wild-West-Markt‘ im Bereich der Cannabis Apotheken – da passiert genau das, was man eigentlich nicht wollte: Ein neuer Markt wurde erschlossen, wo Menschen und Unternehmen dicke Gewinne erzielen. Menschen tun so, als bräuchten sie Cannabis aus medizinischen Gründen und besorgen sich auf teils sehr unseriösen Internetseiten ein Rezept. Von medizinischen Patienten, die es tatsächlich benötigen, höre ich, dass sie nicht mehr bekommen, was sie wirklich benötigen. Dieser Bereich müsste von der Gesetzgebung noch reguliert werden. Ich glaube, es ist nicht zielführend, uns als Vereine derart einzuschränken und auf der anderen Seite den Apotheken und der Pharmalobby quasi komplett freie Hand zu lassen.


Wenn du Bundeskanzler wärst, oder sagen wir Autokrat mit grenzenloser Entscheidungsfreiheit, was würdest du verbessern bezüglich des Gesetzes?


Ich glaube den Aspekt, den ich gerade eben angesprochen habe: die Kultur. Zu der Legalisierung selbst gehört eben nicht nur die Abgabe, sondern auch eine geduldete Cannabiskultur. Menschen, die ein gemeinsames Zusammenleben und Konsumieren etablieren können und sich nicht allein zu Hause verstecken müssen sozusagen. Und wie gesagt, den medizinischen Bereich regulieren. Abgesehen davon: die AFD verbieten.


Hannes Solling

Geboren am 12. April 1993 in einer großen Patchworkfamilie in Oldenburg kam der gelernte Bankkaufmann zum Jurastudium nach Münster. Nach Jobs in der Gastro, als DJ und dem Fachwechsel hin zu Politik und Recht gründete Hannes Solling zusammen mit anderen den Layf e.V.

https://layf.club/

Illustration Thorsten Kambach / Fotos Hannes Solling

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