Peter Sauer spricht mit Christel Vieth und Andreas Steinke über ihr „Cycling for Mutoto“
2723 KM IM SATTEL FÜR KINDER IM KONGO
Von Wien bis nach Barcelona mit dem Rennrad fahren, durch die Dolomiten, das Zentralmassiv und die Pyrenäen – auf diese Idee können auch nur Münsteraner wie Christel „Kiki“ Vieth und ihr Mann Andreas Steinke kommen. Beim Ultra-Cycling-Event „Three Peaks Bike Race“, dem drittlängsten europäischen Langstreckenrennen fuhren sie in elf Tagen, sechs Stunden und zehn Minuten insgesamt 2723 Kilometer. Pro Tag saßen sie 245 Kilometer im Sattel, absolvierten im Schnitt 2855 Höhenmeter, um für ihr Projekt „Cycling for Mutoto“ Spenden zu sammeln, damit arme Kinder im Kongo zur Schule gehen, ihren Abschluss machen und einen Beruf finden können, der sie ernährt.
Welche Bedeutung hat das Fahrrad in eurem Leben?
Andreas: Bevor wir uns kennengelernt haben, habe ich mir ein Rennrad gekauft. Und Kiki hat sich auch ein Rennrad gekauft, ohne dass wir das vorher voneinander wussten. Wir wollten zur gleichen Zeit mit dem Rennradfahren anfangen, als wir ein Paar wurden. Was für ein Zufall.
Gleich von Anfang an also eine große sportive Gemeinsamkeit . . .
Andreas: Genau. Der Rennradstart war auch unser Beziehungsstart. Und wir squashten damals öfters gemeinsam an der Borkstrasse.
Wie entwickelte sich das mit dem Radfahren weiter?
Andreas: Kiki hat früher Triathlon gemacht und wir sind auch öfters beim Münster Giro mitgefahren. Seit zehn Jahren machen wir grundsätzlich nur noch mit dem Fahrrad Urlaub. Entweder erkunden wir jeweils von einem besonderen Standort die Umgebung oder wir fahren direkt zwei bis drei Wochen durch die Gegend, ob durch Frankreich, Italien, Kroatien, Slowenien, die Niederlande oder Deutschland – wir suchen uns immer ganz besondere Strecken aus.
Kiki: Und seit ein paar Jahren machen wir Bike-Packing.
Was kann ich mir darunter vorstellen?
Kiki: Wir fahren längere Radstrecken mit ultrawenig Gepäck. Da konzentriert man sich auf das Wesentliche. Denn man hat es auf dem Rad immer mit dabei. Da überlegt man es sich zweimal, was man mitnimmt und was nicht.
Vom 9. bis 20.Juli diesen Jahres seid ihr nun das „Three Peaks Bike Race“ gefahren. Wie habt ihr euch vorbereitet
Andreas: Wir haben regelmäßig trainiert. Wir waren zweimal jeweils zwei Wochen unterwegs, im Zentralmassiv in Frankreich und in der Provence mit 25.000 Höhenmetern. Insgesamt 8000 Trainingskilometer hatten wir bis zum Start des „Three Peaks Bike Race“ absolviert. Vor drei Jahren wollten wir schon dieses Rennen machen. Es ist aber damals wegen der Corona-Pandemie ausgefallen.
Zu eurer Vorbereitung gehörte auch ein Spezialtraining mit einem richtigen Radprofi. . . .
Andreas: Ja. Mit Fabian Wegmann sind wir gemeinsam durch die Baumberge gefahren. Als Schirmherr hat er uns wichtige Tipps gegeben. Er bezeichnete das „Three Peaks Bike Race“ als “hartes Brett„.
Dann seid ihr das „Three Peaks Bike Race“ gefahren. Warum heißt das eigentlich so?
Andreas: Schloss Schönbrunn in Wien war der Startpunkt. Barcelona diesmal das Ziel. Nächstes Mal ist es Nizza. Du musst bei diesem besonderen Radrennen drei vom Veranstalter ausgewählte
Punkte anfahren und dort abstempeln. Der erste Peak, also Checkpoint, war das Timmelsjoch in den Dolomiten. Der 2. Peak war Puy-Mary im Zentralmassiv, der 3. Portet-d'Aspet in den Pyrenäen. Hinzu kamen noch besondere Parcours vom Veranstalter. Und dazwischen sucht man sich seine eigene Route. Insgesamt hattest du zwölf Tage Zeit.
Es gab keine Pannen,keine Stürze , keine Unfälle
Was unterschied die Etappen?
Kiki: Zwei Etappen der Tour waren relativ flach, da kamen wir auf 300 Kilometer am Tag, Bei den Etappen mit 4000 bis 5000 Höhenmetern schafften wir wegen den Steigungen allerdings nur 150 Kilometer am Tag.
Habt ihr euch mal verfahren?
Andreas: Nur einmal. Ich dachte, ich hätte eine gute Abkürzung gefunden. Dem war aber nicht so. Es waren aber nur 20 Kilometer, die wir uns dort verfahren haben. Das holten wir schnell wieder auf.
Kiki: Andreas war insgesamt ein sehr guter Scout. Die meiste Strecke sind wir frei gefahren. Das war bislang unsere längste Tour, auch mit den Höhenmetern. So etwas hatten wir vorher noch nie gemacht.
Was war eure Strategie?
Andreas: Wir haben uns vorher einen Plan gemacht, wie viel wir täglich fahren wollen und wie viel wir nachts schlafen wollen. Pro Nacht haben wir immer nur fünf Stunden geschlafen.
Das ist verdammt kurz. . . .
Kiki: Fünf Stunden war die maximale Schlafzeit. Das haben wir von Anfang an so festgelegt. Ich bin immer vorher schon wach geworden. Wir saßen immer schon um 3 oder 4 Uhr frühmorgens auf dem Rad. Das besonders Schöne im Sommer ist es, dann loszufahren, nicht nur wegen der Sonnenuntergänge. Allein diese ganze Stimmung. Es gibt wenig Verkehr, es ist alles so still und die Landschaft ist so wunderbar friedlich.
Und gab es keine Schwierigkeiten mit dem frühen Aufstehen?
Andreas: Keine. Das Besondere nach dem frühen Losfahren war für mich, wenn nach drei Stunden die erste Bäckerei kam – mit frischen Croissants oder Brötchen. Da freute ich mich immer schon vorher drauf.
Was waren die größten Herausforderungen?
Kiki: Der Jauffenpass im Regen und das endlos lange Sellajoch. Die wunderschöne Strecke durchs Trentino auf den Gardasee zu war wegen des Autoverkehrs auf der Straße anstrengend.
Was waren die schönsten Erlebnisse?
Kiki: Es gab so viele eigentlich. Beeindruckend waren die Reisfelder südlich von Mailand. Wir wussten gar nicht, dass es sowas dort gibt.
Andreas: Für mich war das schönste Erlebnis die beste Eisdiele der Welt. Sie steht in Turin. Wir haben bei der Tour einfach gesehen, wie richtig schön Europa ist. Das war wunderbar.
Die Tour war unsupported. Gab es irgendwelche Probleme?
Kiki: Nein, zu Glück gab es keine Pannen, keine Stürze, keine Unfälle oder Zusammenstöße mit wilden Tieren, freilaufenden Hunden oder Autos.
Und wie lief das mit den Unterkünften?
Kiki: Die mussten wir uns immer selbst besorgen.
Andreas: Wir haben immer mittags geguckt, wo wir abends landen und buchten dann kurzfristig.
Kiki: Wir sind immer mega gut empfangen worden und bekamen auch immer frühmorgens unsere geliebten Haferflocken direkt aufs Zimmer.
Ein Drittel der rund 180 Teilnehmer kam nicht ins Ziel. Was hat euch jeden Tag aufs Neue angetrieben, weiter unermüdlich in die Pedale zu treten?
Andreas: Die Einnahme von Spenden für unser Projekt „Cycling for Mutoto“. Das Geld kommt dem Verein Mutoto e.V. zugute.
Wie funktionierte das mit dem Spenden?
Andreas: Ab einen Cent pro Kilometer Radtour konnte man unsere Teilnahme unterstützen, jeden Kilometer per Tracking App verfolgen und live dabei sein. In den sozialen Medien. Viele haben uns unterstützt, auch die Mitarbeiter unserer Salons in Münster.
Ihr seid für den Verein Mutoto e.V. geradelt. Wofür setzt er sich ein?
Andreas: Der Verein Mutoto e.V wurde vor über 20 Jahren von dem Münsteraner Richard Nawezi für Waisenkinder gegründet. Vor dem Hintergrund des schlimmen Bürgerkrieges in Ruanda. Das Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, Bildungschancen für benachteiligte Kinder und Jugendliche im Kongo nachhaltig zu verbessern. Es unterhält im sogenannten „Village Mutoto“ in Lumbashi Kongo einen Kindergarten und eine Schule mit mittelweile insgesamt rund 1200 Schülern. Viele haben bereits ihr Abitur hinter sich. Nur so können sie gute Jobs finden, die sie ernähren und ihre Familien unterstützen. Manche der früheren Schüler werden selbst Lehrer oder Gärtner im „Village Mutoto“. Das ist eine tolle Erfolgsgeschichte.
Unter dem Label „Cycling for Mutoto“ habt ihr euer Spendenziel übertroffen?
Andreas: Ja, unfassbar. Wir erradelten einen Spendenstand von 17.331 Euro. Hinzu kam eine großzügige Direktspende von 12.500 Euro, so dass wir insgesamt auf rund 30.000 Euro gekommen sind. Das Spendenziel war seinerzeit vor dem Rennen noch mit 15.000 Euro angesetzt.
Was passiert jetzt mit dem Geld?
Andreas: Die zentralen Häuser im „Village Mutoto„ werden renoviert und neue Klassenräume für die Waisenkinder geschaffen. Es gibt neue Möbel für die Schulen. Die sanitären Einrichtungen werden ebenso gewartet und saniert wie die eigene autarke Wasserversorgung. Es gibt neue Pumpen für sauberes Trinkwasser. Das ist ganz wichtig. Langfristig planen wir auch den Bau einer Bibliothek und eines kulturellen Begegnungsortes. Dafür planen wir bereits neue Spendenprojekte. 2024 wollen wir zum Beispiel ein eigenes Radrennen veranstalten. Es wird ab Cabelo im Hafen von Münster starten. Mit Radprofi Fabian Wegmann unter anderem.
Warum macht ihr das eigentlich?
Andreas: Als Unternehmer sehen wir uns in der Verantwortung, sich für das Gemeinwohl zu engagieren. Und als Mensch ohnehin.
Und was steht jetzt nach dem Interview an?
Kiki: Wir fahren gleich noch mit unseren Rennrädern vom Erphoviertel zum Kaffeetrinken nach Billerbeck und zurück. Eine eher kurze und gemütliche Tour.
1999 gründeten Christel „Kiki“ Vieth (heute 57, geb. in Hohenholte, wohnt seit dem 25. Lebensjahr in Münster) und Andreas Steinke (heute 61, geb. in Essen, lebt seit dem 6. Lebensjahr in Münster) ihr Friseur-Unternehmen CABELO, in dem sie inzwischen 35 Mitarbeiter (davon 15 Auszubildende) beschäftigen. CABELO zählt im Monat rund 1200 Kunden. Seit einigen Jahren gehören auch die Jungen Köpfe am Ludgeri-Kreisel und am Germania-Campus mit weiteren 25 Mitarbeitern zu ihrem Friseur-Portfolio. Seit 2001 haben sie 120 Lehrlinge ausgebildet. Christel und Andreas sind seit 2001 verheiratet und wohnen im Erphoviertel.
FILM zur Tour: https://www.youtube.com/watch?v=jMVueAbF7-U&t=1s
llustration Thorsten Kambach / Fotos Adventure Bike Racing