Carsten Stahl redet Klartext mit Stephan Günther
HARTER STAHL GEGEN KINDESMISSBRAUCH UND MOBBING
Ein Mann, der wie kaum ein anderer polarisiert. Die Rede ist von Carsten Stahl. Den meisten dürfte Stahl mit seiner wuchtigen Statur und seinem kernigen Auftreten schon mindestens einmal beim Zappen durch die privaten TV-Sender begegnet sein. Dort erlangte er in den 2010er-Jahren Bekanntheit in der Pseudo-Doku-Soap „Privatdetektive im Einsatz“, die heute noch des Öfteren wiederholt wird. Die wenigsten wissen, dass Stahl seit zehn Jahren nicht mehr dreht, sondern sich in einem komplett anderen Bereich engagiert. Er nutzt mittlerweile all seine Energie im Kampf gegen Mobbing, Gewalt und Kindesmissbrauch. Wir sprachen mit ihm über seine neue Rolle.
Was machst du eigentlich genau? Ich kenne dich ja nur aus dem Fernsehen!
Hauptberuflich bin ich Anti-Mobbing- und Anti-Gewalt-Coach und Präventionsberater. Und ich bin Gründer von „Bündnis Kinderschutz“ und „Stop Mobbing“ in Deutschland, Österreich und bald auch der Schweiz.
Oh, ich dachte, du wärst in erster Linie Schauspieler!
Ne, die Schauspielerei mache ich schon seit vielen, vielen Jahren nicht mehr. Das hörte auf, nachdem ich anfing, intensiver in den Kinderschutz reinzugehen. Die letzten Sendungen habe ich so um 2013/2014 gedreht.
Dann täuscht die Wahrnehmung, dass du immer noch allgegenwärtig bist im TV.
Ja, das sind dann Wiederholungen. Es sind ja 287 Sendungen, die mittlerweile so um die 50-mal wiederholt wurden. Die Sendungen sind ja in sich geschlossen, da kann man das ja machen. Du bist so natürlich einerseits immer wieder präsent, andererseits fällt dir das immer wieder auf die Füße. Die Leute denken halt, du machst das immer noch, obwohl ich schon zehn Jahre was ganz anderes mache.
Wie man bei mir sieht. Ich sehe dich immer wieder beim Zappen oder dieses eine Meme/Video, wo du gerade über Tische und Bänke springst.
Da gibt es noch viel mehr (lacht). Entscheidend ist aber, dass dies die Sendungen sind, mit denen ich bekannt wurde. Seit zehn Jahren nutze ich meine Stimme, Energie und mein Wissen aber zum Schutz der Kinder.Schwarzenegger zum Beispiel war auch früher Actionheld und hat später etwas komplett anderes gemacht.
Das stimmt, ja.
Wichtig ist, was du aus der Bekanntheit machst. Einige machen halt wenig draus, sind irgendwann weg vom Fenster und enden dann im Dschungelcamp. Ich habe halt eine Kinderschutzorganisation gegründet, Bücher geschrieben und andere Projekte gestartet. Sogar die New York Times hat mal in der Wochenendausgabe über meine Arbeit berichtet.
Das muss man erst mal schaffen! Deine Arbeit abseits des Fernsehens ist also durchaus erfolgreich?
Richtig! Aber das sind halt Dinge, die aus meiner Bekanntheit entstanden sind. Genau, die Erfolge sind aber nicht nur die Medienberichte oder dass ich bereits mit 100 000 Schülern an 350 Schulen bundesweit präventiv gearbeitet habe. Ein sehr wichtiger Erfolg war auch, dass wir im Juli 2021 mit Bündnis Kinderschutz vier Gesetzesentwürfe zum Schutz der Kinder vor Missbrauch mit in den Bundestag getragen haben, die dort dann verabschiedet wurden. Die Grundlagen für zwei dieser neuen Gesetze wurden durch unseren öffentlichen Druck und unsere Petitionen geschaffen. Das waren das Verbot des Handbuchs für Pädophile und von Kindersexpuppen.
Wahnsinn! In der allgemeinen Wahrnehmung taucht sowas dann aber eher nicht auf, oder?
Naja, wenn man sich nicht explizit damit beschäftigt, bekommt man das auch nicht unbedingt mit. Es gibt ja viele Gesetze, die immer mal wieder angepasst oder verändert werden. Ganz besonders das Thema ‚Kinderschutz‘ ist ja leider immer noch ein Tabuthema. Wenn dann mal etwas passiert, wird sich eine Partei nicht unbedingt öffentlich hinstellen und sagen: „Danke, Herr Stahl, dass Sie das gemacht haben!“ (lacht)
Ok, das kann natürlich sein.
Aber wir haben schon eine Menge bewegt, und das auch nachweislich. Ich sage es immer wieder: Politik und Kinderschutz können gemeinsam eine ganze Menge bewegen. Aber in der Politik werden ja auch oft Dinge hinterher gerne vergessen, die irgendwann mal von anderen zuerst öffentlich gemacht und angestoßen wurden.
Du machst dich ja auch beim Thema ‚Mobbing‘ sehr stark. Wie ist dein Fokus auf dieses Thema geraten?
Ich bin ja nicht nur irgendwann mal eine Person des öffentlichen Lebens geworden durch meine TV-Sendung, vor allem bin ich Vater von zwei Kindern. Das ist das Wichtigste; meine Kinder bedeuten mir alles! Zwei Tage nach der Einschulung meines Sohnes wurde er Opfer von Mobbing, Gewalt und Rassismus. Als das geschah, habe ich genau das gespürt, was mein Sohn gespürt hat. Ich war so wütend, verzweifelt und meine eigene Geschichte kam wieder hoch. Als 1zehnähriger Junge war ich selbst lange Zeit Opfer von Mobbing und Gewalt und wusste somit, wie weh das tut und wohin es führen kann. Das wollte ich meinem Sohn unter allen Umständen ersparen.
Wie hast du reagiert?
Ich bin direkt am nächsten Tag zur Schule gefahren und habe Druck gemacht. In der Not und Wut habe ich natürlich auch meine Bekanntheit ins Spiel gebracht und der Schule klar und deutlich gemacht, dass ich das öffentlich machen werde, wenn hier nicht sofort und konsequent gehandelt werden würde, und es sicher nicht im Interesse der Schule wäre, wenn morgen in der Zeitung steht: „Sohn von Carsten Stahl nach zwei Tagen Schule geschlagen, getreten und rassistisch beleidigt“. Es war schnell zu merken, wie das Schulsystem darauf reagiert. Die haben natürlich keinen Bock auf Schlagzeilen oder schlechte News. Und wenn es erst einmal öffentlich ist, ist es natürlich auch auf dem Tisch. Ich habe dann aber auch gemerkt, dass es kein Problem der Schule, sondern ein gesamtgesellschaftliches ist, welches an allen deutschen Schulen vorkommt. Und so habe ich vor knapp zehn Jahren angefangen, dieses Thema anzusprechen und öffentlich zu machen.
Der Beginn einer Erfolgsgeschichte?
Naja, zumindest merkte man schnell, dass der Gegendruck wächst, umso öffentlicher man dieses Thema macht. In Deutschland ist immer der gefährlicher, der die Missstände anspricht, als der, der die Missstände verursacht und zu verantworten hat. Getreu dem Motto/Sprichwort: „Ein Problem, über das wir nicht reden, haben wir auch nicht.“ Ich bin aber jemand, der Probleme anspricht und Missstände offenlegt. Und meine Stimme ist laut und deutlich, ich lasse mich nicht einschüchtern, für dumm verkaufen oder mir blöd kommen!
Einige landen halt im Dschungelcamp
So hätte ich dich auch eingeschätzt!
Ja, ich habe das alles nur geschafft, weil ich halt vehement bin und jahrelang Leistung erbracht habe. In der Schulprävention, beim Kinderschutz oder anderen Projekten. Ich nutze da auch die sozialen Medien. Wenn man bei mir mal schaut, sieht man, dass ich da kein „Tri Tra Trallala, die Welt ist wunderbar“ mache, sondern es gibt nur knallharte Themen. Missbrauch, Vergewaltigung, Mord unter und an Kindern... Und trotz dieser traurigen Themen und dem erschreckenden Content erreiche ich Millionen von Menschen. Natürlich trägt auch meine TV-Präsenz dazu bei. Ich bin vielleicht nicht mehr so jung und kräftig wie damals, aber meine Stimme hat immer noch eine deutliche Botschaft! Mein Grundsatz ist: Kinderschutz ist unverhandelbar! Da gibt es kein ‚aber‘, da diskutiere ich mit niemandem – weder Kanzler, Bundespräsident oder sonst wem, egal wo. So wie ich hier auftrete, trete ich überall auf: im Bundestag, in Landtagen, in Parlamenten oder wo ich sonst schon überall als Experte sprechen durfte. Kinderschutz braucht Menschen, die klar und deutlich sprechen, ohne Angst, Dinge zu benennen. Es gibt auch andere Kinderschutzorganisationen; viele machen auch sehr gute Arbeit. Aber diese Missstände sprechen nur sehr wenige deutlich und öffentlich an. Verständlich, weil viele nämlich den Kopf im Futtertrog der Politik haben und abhängig von Fördergeldern sind.
Es fehlen also gewichtige und vor allem laute Stimmen mit der nötigen Reichweite?
Und die unbequem sind, genau! Die Stimmen aller Menschen fehlen eigentlich, viel mehr Menschen sollten dafür eintreten. Bei den Mainstream-Themen wie ‚Rassismus‘, ‚Antisemitismus‘, ‚Homophobie‘ und ‚Klimaschutz‘ sind vor allem Prominente vorne mit dabei. Da bekommen alle den Mund gar nicht weit genug auf und überbieten sich in den sozialen Netzwerken mit Posts, Bannern in den Profilbildern und so weiter. Aber wenn es um Kinderschutz geht, halten die meisten lieber den Mund. Beim Thema ‚Kinderpornografie‘ gibt es kein Zeichen der Nationalmannschaft, keine Binde, die der Keeper trägt. Weil die Sponsoren es nicht wollen, weil der DFB oder die Sponsoren es nicht wollen. Wo sind die ganzen Spitzensportler oder Künstler, wie Helene Fischer? Ein schmerzhaftes gesellschaftliches Problem, deshalb schweigen so viele. Das ist es, was mich so ankotzt, dass immer noch viele beim Kinderschutz wegschauen! Mir ist es auch egal, was die Presse, was du über mich schreibst, Hauptsache ist, DASS du schreibst!
Was ist mit der Politik?
Mit der Politik muss man sich auch erst anlegen. In Edenkoben zum Beispiel. Da stehe ich da oben mit den besorgten Eltern bei einer Veranstaltung, nachdem ein Täter wieder ein Kind missbraucht hat, weil er eine Fußfessel abgelehnt hat und die Behörden auch auf Hinweise nicht reagierten. Das ging ja durch die Medien. Wir haben klar gesagt: „Ne, liebe Politik, ihr werdet hier heute nicht reden, ihr hattet eure Zeit und habt geschwiegen! Jetzt habt ihr die Pflicht, zuzuhören und euren Job zu machen. Dinge umsetzen, mit Taten, nicht mit Worten!“ Sowas wirkt. Mittlerweile kommen auch Politiker zu mir und fragen, was man machen kann, und bitten mich teilweise um Unterstützung. Die merken, wie viele Menschen mir zuhören, vertrauen und darüber reden. Natürlich habe ich auch politische Gegner aus verschiedenen Parteien. Missstände anzusprechen mögen aber viele nicht. Auch bestimmte Mediengruppen finden mein Tun nicht so gut, weil ich nicht woke und ideologisch vertretbar für sie bin. Aber das ist mir relativ egal. Bestimmt gibt es da auch genug Leute, die mich mögen.Entscheidend ist, dass das, was ich tue, etwas verändert – zum Positiven.
Ich würde gerne kurz noch einmal auf das Thema ‚Mobbing‘ zu sprechen kommen. Wo siehst du die Ursachen für Mobbing.
Mobbing wird sehr oft durch Gruppenpositionierung, durch Gruppendynamik und Gruppenzwang ausgelöst. Es ist wohl seit ewigen Zeiten in unserer Gesellschaft angelegt, dass schwächere Menschen, oder Menschen mit Einschränkung ein höheres Risiko tragen, gemobbt, beleidigt oder diskriminiert zu werden. Das Problem sind eigentlich ja auch nicht die „paar“ Täter, sondern die schweigende, wegsehende oder mitmachende Mehrheit. Die, die oft Angst davor haben, selbst zum Opfer oder ausgeschlossen zu werden. Die lachen lieber mit, als laut „STOPP“ zu sagen. Es fehlt also eigentlich an Zivilcourage.
Mein Projekt trifft den wichtigste Muskel. Das Herz
Ist das Mobbing schlimmer geworden mit der Zeit?
Es hieß nur anders früher! Zu meiner Zeit sagte man „Hänseln“, fühlte sich aber genau so scheiße an. Mobbing gab es also schon immer. Wir haben es aber mittlerweile geschafft, das Ganze zu digitalisieren und als Feinstaub über das ganze Land zu streuen. Es war noch nie so schlimm wie jetzt! Früher war das Mobbing im Klassenzimmer, vielleicht noch in der Parallelklasse. Heute kannst du mit einem Post, sei es ein Bild, ein Geheimnis oder eine Lüge, schon die ganze Schule oder noch viel mehr Menschen erreichen.
Erschreckend!
Ja, hinzu kommt noch, dass Lehrer Mobbing manchmal nicht erkennen oder sogar ignorieren. Sie werden während des Studiums so gut wie gar nicht zu diesem Thema sensibilisiert. Bis heute nicht. Kein Wunder, dass die Lehrer damit dann im Berufsalltag überfordert sind. Smartphones und Social Media haben das Ganze also digitalisiert, potenziert und somit unbeherrschbar gemacht. Auch die Pandemie hat das Ganze noch einmal extrem verschlimmert, Kinder und Jugendliche hatten auf einmal doppelt und dreifach so viel Zeit, die sie mit dem Handy verbracht haben. Das ist extrem gefährlich, denn Mobbing löst nachweislich Suizide oder Amokläufe aus. Fünf bis sechs Kinder versuchen sich täglich das Leben zu nehmen. Ein Kind stirbt durchschnittlich daran am Tag. Und es wird schlimmer!
Was sind deine Lösungsansätze, auch aus der Sicht von Betroffenen?
Ich habe ja selten das Opfer allein. Wenn Eltern zu mir kommen und sagen, mein Kind wird in der Schule gemobbt, dann berate ich die Eltern und biete der Schule Aufklärung und Prävention an. Ich arbeite an den Schulen immer mit allen. Mit Opfern, Tätern und auch den Mittätern, aber auch in Workshops mit den Lehrkräften und in Elternabenden mit den Eltern der Schüler und Schülerinnen. Das Problem wird also dort gelöst, wo es entsteht: in der Schule. Alle Schüler und Lehrer nehme ich mit in einen Workshop, manchmal sind das 500 bis 1500 Schüler. Ich mache Mobbing sichtbar, kläre auf und stärke damit die Opfer, die sich alleine fühlen. Den Tätern mache ich klar, dass es falsch ist, was sie machen. Die meisten Täter haben das oft sogar selbst erlebt. Das Wichtigste aber: Ich sorge dafür, dass die Mittäter nicht mehr mitmachen und sich gegen das Mobbing stellen. Denn wenn die Mittäter nicht mehr mitmachen oder nicht mehr wegsehen, wird das Mobbing nicht mehr unterstützt und die Täter verlieren ihre Position und ihr Gefühl der Anerkennung und der Macht über andere. Die, die es machen, müssen merken, dass sie keine Bühne und keinen Applaus mehr von anderen für ihr Mobbing bekommen! Zu viele Menschen schauen weg oder machen mit. Das ist das Problem unserer Gesellschaft. Das gilt für viele Missstände in unserem Land.
Für wie nachhaltig hältst du diesen Ansatz?
Das ist Mobbingprävention durch zielgerichtete und nachhaltige Aufklärung und Sensibilisierung. Die Aufklärung an Schulen muss aber auch eine gewisse Regelmäßigkeit erlangen, da Prävention kein Langzeitantibiotikum ist und die Schüler und Schülerinnen tagtäglich mit vielen Einflüssen und Erlebnissen innerhalb der Schule und untereinander konfrontiert werden. Prävention und Aufklärung sollten an Schulen ein- bis zweimal im Jahr durchgeführt und diese wichtigen Themen angesprochen werden. Das Entscheidende bei der Mobbing-Prävention ist: Dieses Thema muss ganz klar und deutlich an Schulen vermittelt werden, mit einem starken, wirksamen, und nachhaltigen Impuls! Gemeinsam für Respekt und Toleranz! Das Feedback von einigen Schulen, die mich nach einigen Jahren wieder an ihre Schulen holen , aber auch die positiven Auswertungen und Reflektionen von Schulen, an denen ich schon gewesen bin, zeigt mir, dass es etwas Gutes an den Schulen bewegt hat. Manchmal sitzen sogar Schüler im Workshop, die Jahre zuvor schon teilgenommen haben. Die sagen, dass sie es noch einmal erleben, noch einmal spüren wollen! Jetzt frage ich dich, warum wohl? Weil es wirkt! Prävention ist nur dann wirklich nachhaltig und wirksam, wenn sie emotional berührt und echt und authentisch ist. Mein Projekt zielt immer auf einen Muskel, auf den wichtigsten, auf’s Herz!
Carsten, ein wunderbarer Schlusssatz. Ich danke dir herzlich für dieses ehrliche Gespräch!
Carsten Stahl wurde 1972 in Berlin geboren. Er ist Vater von 2 Kindern und wurde als Schauspieler in der Doku-Soap „Privatdetektive im Einsatz“ bekannt. Mittlerweile arbeitet er als Coach im Kampf gegen Gewalt und Mobbing. Im TV ist er damit auch wieder zu sehen, in der Serie „Stahl: hart gegen Mobbing“.
llustration Thorsten Kambach / Fotos Carsten Stahl