Arndt Zinkant fragt Carsten Haack nach vielen Möglichkeiten der Handwerksberufe
HIGH-TECH, HOLZ UND HANDWERK
„Schock deine Eltern! Mach erstmal 'ne Lehre.“ Mit diesem Slogan warb vor etlichen Jahren eine Kampagne der IHK Nord Westfalen, um den allzu großen Drang hin zu Abitur und Studium zu hinterfragen. Auch die Handwerkskammern engagieren sich in ähnlicher Weise. Carsten Haack arbeitet bei der Handwerkskammer Münster (Abteilungsleiter berufliche Bildung). Auch für ihn ist es ein Anliegen, den Nachwuchs an den Schulen fürs Handwerk zu gewinnen und berufliche Orientierung zu geben – an der Universitätsstadt Münster nicht selten eine kniffligere Aufgabe als in Gelsenkirchen oder Bottrop.
Als ich in den 90er Jahren studierte, traf ich einen Rentner, der sagte: „Bei uns im Land gibt es bald nur noch Häuptlinge und keine Indianer mehr.“
Das kann man salopp so sagen, und insgesamt geht der Trend in Deutschland ja weiter massiv dahin, dass in den Köpfen vieler Menschen ein Studium der Königsweg ist. Ich will das auch nicht pauschal als falsch darstellen, unsere Erfahrung aus vielen Beratungsgesprächen und bei der Vermittlung von Studienaussteigern zeigt aber, dass viele junge Menschen unabhängig von ihrem Schulabschluss erst sehr spät für sich klarbekommen, dass sie eben nicht nur theoretisch lernen und arbeiten wollen. Das ist ja das Gute an vielen unserer Berufe, dass man sein Wissen und seine Kreativität täglich auch ganz praktisch anwendet. Oder um noch mal auf das Bild von den Häuptlingen und den Indianern zurückzukommen: Unsere Betriebe suchen sehr unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Qualifikationsniveaus. Will sagen: Wir brauchen Menschen, die Spaß dran haben, durchzustarten und Karriere zu machen, aber genauso gibt es attraktive Arbeitsplätze für Menschen, denen das nicht so wichtig ist. Irgendwo dazwischen sind dann noch die vielen Handwerker, die sich regelmäßig für ihre tägliche Arbeit weiterbilden. Nennt man die dann eigentlich Oberindianer?
Wie würden Sie in wenigen Sätzen den Zweck einer Handwerkskammer umreißen?
Sie hat die Aufgabe, ihre Mitgliedsbetriebe – also zur Zeit etwa 30.000 – zu informieren, zu beraten und ihnen vielfältigen Service zu bieten, heißt: von A-Z zu unterstützen und auch die Interessen des regionalen Handwerks gut zu vertreten. Es gilt auch, Kontakte zu jungen Leuten aufzubauen, was vor allem über die Schulen passiert undUnterstützung so lange zu geben, bis die Jugendlichen den richtigen Betrieb gefunden haben. Außerdem bieten wir sozusagen auch Karriereberatung, etwa nach dem Motto: Wie kann es nach der Ausbildung weitergehen? Leider wissen viele nicht, dass es unglaublich viele Möglichkeiten der Qualifizierung gibt. Die Themen ‚Digitalisierung‘ und ‚Energiewende‘werden die Arbeit im Handwerk massiv verändern.
Kümmern Sie sich vor allem um Schüler, die sich schwertun?
Nein, so pauschal kann man das nicht formulieren. Viele unserer Informationen sind digital verfügbar und werden von Jugendlichen und Eltern genutzt, ohne dass wir sie persönlich kennenlernen. So soll das ja auch sein. Unsere Beratungsangebote werden von sehr unterschiedlichen jungen Menschen genutzt. Was wir schon bemerken ist, dass wir Jugendliche mit Defiziten länger begleiten müssen. Ziel ist immer, dass wir unterstützen und nicht überreden. Unsere Stärke ist – glaube ich – dass wir uns auf die unterschiedlichen Ausgangslagen einstellen können und gezielt nach passenden Berufen und Betrieben Ausschau halten. Spannend ist, dass wir im gesamten Regierungsbezirk unterwegs sind und es große regionale Unterschiede gibt. Münster ist als Bildungsstadt ein Extrembeispiel, das ist klar. Die Abiturquote hier liegt, glaube ich, weit über 80 Prozent. Danach ist es für die meisten klar, dass sie auch studieren wollen – ohne dass dies mit ihren wirklichen Interessen und Neigungen tatsächlich übereinstimmen müsste. Wenn wir dagegen ins Ruhrgebiet in Städte wie Gelsenkirchen oder Bottrop fahren, sieht die Welt da noch etwas anders aus.
Sind manche Berufe stärker nachgefragt?
Die absolute Nummer eins der Berufswünsche – insbesondere bei Abiturienten und Studienaussteigern – ist Tischler oder Tischlerin. Was vermutlich daran liegt, dass viele Menschen die Hoffnung hegen, dass man in einer kleinen Werkstatt mit Handwerkzeugen individuelle Möbel baut und seine kreativen Ideen verwirklicht. Im Prinzip wie bei Meister Eder und dem Pumuckl. Tatsächlich hat diese Annahme aber so gut wie nichts mehr mit der Realität zu tun.
Die Abiturquote liegt hier weit über 80 %
Warum nicht?
Tischlereien sind heute in den meisten Fällen spezialisierte High-Tech-Betriebe, die Türen, Fenster, Treppen und natürlich Möbel herstellen. Digitale Planung und Produktion per CNC-Maschinen sind Normalität und Alltag. Deshalb ist der Beruf nicht „schlechter“ geworden, sondern sehr interessant – aber eben auch anders, als ihn sich viele Menschen vorstellen. Insgesamt haben wir stark damit zu kämpfen, dass sich bei vielen Menschen hartnäckig das Vorurteil hält, dass Handwerk nichts mit moderner Technik zu tun hat. Da können wir nur immer wieder sagen: „Mach mal ein paar Praktika und du wirst feststellen, dass es unglaublich spannende Arbeiten und Menschen zu entdecken gibt“.
Kümmern Sie sich mehr um schwache Schüler oder solche, die sich einfach nicht entscheiden können?
Sowohl als auch. Es sind oft Leute, die einfach nicht weiterkommen. Und wenn diese sich dann selber mit der kompletten Beratungsliteratur beschäftigen, kriegen sie nach spätestens fünf Tagen die Krise. Wir haben etwas über 360 duale Ausbildungsberufe und 17.000 Studiengänge in Deutschland. Das alles zu überblicken, ist ja kaum möglich. Aber wir haben als Handwerkskammer eben Angebote, diesen Dschungel zu durchforsten. Sicher glauben auch einige Leute, dass im Handwerk schwächere Schüler eine Perspektive haben. Daran haben die Handwerksbetriebe übrigens ihren Anteil, weil viele Handwerker ein großes Herz haben und eben diesen „Schwächeren“ unter die Arme greifen. Das ist ja total großartig, aber es beeinflusst eben auch das Bild in der Öffentlichkeit. Solche Schüler kämpfen teilweise auch mit Problemen im Elternhaus oder haben Migrationshintergrund. Das kann dann für die betreffenden Handwerksbetriebe durchaus zur Überforderung führen, denn man kann nicht auch noch „Mama und Papa“ spielen.
Sie haben das Stichwort ‚Migration‘ genannt. Da geht es ja teils auch um Leute, die bereits ein Abschluss haben. Wer genau entscheidet, ob dieser Abschluss hier anerkannt wird?
Bei den Anerkennung schulischer Abschlüsse sind wir raus. Wenn sich aber jemand an uns als Kammer wendet, der etwa im Iran eine Ausbildung gemacht hat, sind wir gefordert zu entscheiden, ob es vergleichbar ist und derjenige sich Geselle nennen darf.
In vielen Fällen zeigt sich, dass eine solche Vergleichbarkeit nur in Teilen gegeben ist. Dann versuchen wir, den Kandidaten weiterzuhelfen, über Schulungen und Fortbildungen einen entsprechenden Anschluss zu bekommen.
Carsten Haack, ein Mann so einigen Talenten, eines davon: Gitarren bauen!
Man könnte ketzerisch fragen: Müssten nicht die Universitäten, die teils überlaufen sind, eine Gegenbewegung starten? Nach dem Motto: Bleibt uns doch weg und geht ins Handwerk!
Eine spannende Frage – aber das wird wohl so nicht kommen. Denn die Finanzierung der Hochschulen orientiert sich an der Zahl ihrer Studierenden. Deshalb besteht vermutlich schlichtweg kein Interesse in dieser Richtung. Sehr erfreulich ist, dass wir mittlerweile seit einigen Jahren mit den Studienberatungen der Fachhochschulen und ganz neu auch mit dem Studierendenwerk Münster zusammenarbeiten. Wenn junge Menschen ihr Studium beenden wollen oder zumindest mit dem Gedanken spielen, bekommen sie unsere Kontaktdaten. Das finde ich nun wieder genial. Sollte jemand tatsächlich vom Studium abrücken, vermitteln wir diese Leute quasi mit Kusshand. Durch das Thema ‚Fachkräftemangel‘ ist es mittlerweile noch einfacher geworden.
Aber Sie selbst haben studiert, oder?
Ich bin zunächst Sozialpädagoge geworden und habe dann hier an der Uni Münster Diplom-Pädagogik studiert, Schwerpunkt Erwachsenenbildung. Ursprünglich wollte ich in die Personalentwicklung, also rein in die Unternehmen. Zwischenzeitlich war ich auch freiberuflich tätig; zum Beispiel bei „Sieger Design“. Ich bin also kein Handwerker geworden, spielte allerdings kurz nach dem Abitur mit dem Gedanken, Zupfinstrumentenmacher zu werden.
Die Fotos hier an der Wand lassen auf diesen Traum schließen!
Stimmt, ich vermute, dass viele Menschen, die Musik machen und gerne handwerklich arbeiten irgendwann mal über solch einen Beruf nachdenken. Ich unterhielt mich damals mit Leuten, die das tatsächlich taten – was ich grundsätzlich jedem jungen Menschen empfehlen würde, einfach weil man ein realistischeres Bild vom Alltag im jeweiligen Beruf bekommt. Mir ist dann klar geworden, dass ich doch wohl nicht der Typ für 8-10 Stunden Werkstatt bin, sondern noch viele andere Dinge mache. Gitarrenbau ist nun seit vielen Jahren ein wunderbares Hobby, aber ich bin froh, dass ich in meinem jetzigen Job sehr unterschiedliche Tätigkeiten habe. Manchmal darf ich sogar Interviews geben (lacht). Alles in allem ist für mich das Schönste, womit man seine Zeit verbringen kann, ein Produkt herzustellen – in Handarbeit. Deswegen beneide ich auch Leute nicht, die ausschließlich im Büro sitzen. Mein Vater war Werkzeugmacher und hatte eine tolle Werkstatt im Keller, wo ich als Kind immer herumgebastelt habe. Aber Kinder aus anderen Elternhäusern lernen so etwas leider meist gar nicht kennen.
Carsten Haack
Die Handwerkskammern bieten vielfältigen Service für ihre Mitgliedsbetriebe – im Raum Münster derzeit etwa 30.000. Sie kümmern sich außerdem um die Rekrutierung des Nachwuchses und dessen Beratung. Außerdem um die Regelung der Berufsausbildung und Überwachung ihrer Durchführung. Gesellen-, Fortbildungs- und Meisterprüfungsordnungen werden von den Kammern erlassen.
llustration Thorsten Kambach / Fotos Armin Zedler