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2022-11-07 Stadtgeflüster Illustration Ekki kurz.tif

Chiara Kucharski spricht mit dem Vereinsvorsitzenden von Citizens Forests, Boris Kohnke, ab wie vielen Bäumen ein Wald überhaupt ein Wald ist.

WO GEBUDDELT WIRD, DA KOMMEN WÄLDER

Erst kommen die Mini-Häuser und nun die Mini-Wälder. Dies ist keine Einleitung in die Geschichte der sieben Zwerge, sondern eine neue Bewegung zur Aufforstung in städtischen Gebieten. Wenn man die Stadt vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Initiiert wird sie von einzelnen Bürgern und nach einer Methode, die ihren Ursprung in Japan, beziehungsweise genau genommen sogar in Deutschland hat. Chiara Kucharski spricht mit dem Vereinsvorsitzenden von Citizens Forest, Boris Kohnke, ab wie vielen Bäumen ein Wald überhaupt ein Wald ist, über rechtliche Hürden und Unklarheiten sowie über die einzelnen Schritte, die jeder Bürger gehen kann, der eine kleine Grün-Oase in seiner Gemeinde pflanzen möchte.

Wie oft pflanzen Sie neue Wälder in Deutschland oder Umgebung?


Das, was wir selbst machen, sind zwei bis drei Pflanzaktionen in jeder Teil-Pflanzsaison als Verein Citizens Forest. Aber das ist gar nicht unser Hauptinteresse. Wir möchten vielmehr andere Leute motivieren, zu pflanzen. Spätestens in drei Jahren möchten wir 500 Projekte jährlich machen, die extern sind. Das ist ein sportliches Ziel. Aktuell haben wir vielleicht in einer Pflanz-Saison 20 bis 25 Projekte, die wir dieses Jahr hinkriegen. 


Sie pflanzen nach einer gewissen Miyawaki-Methode. Was ist das Besondere daran?


Der Japaner Miyawaki hat in den 70er-Jahren in Deutschland studiert und da auch diese Methode entwickelt, die bloß in Vergessenheit geraten ist. Sie ist von Pascal Girardot, mit dem ich den Verein gegründet habe, in einem Buch namens „Drawdown“ entdeckt worden. Damit hat man den Vorteil, sich nicht langfristig um den Wald kümmern zu müssen. Wenn man freiwilligen Helfern sagt, sie müssen sich jetzt die nächsten 20 Jahre um den Wald kümmern, findet man auf einmal keinen mehr.


Wie schnell geht das mit euren Wäldern?


Diese Methode sorgt dafür, dass innerhalb von drei Jahren, so war die Theorie, mit der wir gestartet sind, die wir jetzt aber auch praktisch bewiesen haben, kleine, autarke Waldstücke oder Gehölz-Inseln entstehen. Wald ist für die meisten etwas, da geht man rein, geht eine halbe Stunde durch und dann sieht man Licht am Ende des Tunnels. Unsere Wälder sind deutlich kleiner.

Wie groß sind die? Ab wie vielen Bäumen entsteht überhaupt ein Wald?


Das ist vor allem rechtlich eine sehr schwierige Frage. Da das jedes Bundesland und jeder Sachbearbeiter selbst entscheidet, gibt es keine Untergrenze, ab wann irgendwas ein Wald ist.

Ach was!


Es gibt Menschen, die sagen, sobald man den Plan hat, einen Wald zu pflanzen und die ersten Setzlinge in der Hand hat, ist das ein Wald. Andere sagen, unter tausend Quadratmetern interessiere sie das gar nicht. Da wären mal eindeutige gesetzliche Regelungen schön. Mit so etwas rechnet das Landes- oder Bundeswaldgesetz natürlich auch nicht. Wälder sind immer größer gedacht gewesen und jetzt kommen wir um die Ecke und machen so kleine Dinger.

Wie klein?


Die kleinste Fläche, die wir gemacht haben, sind 64 Quadratmeter. Acht mal acht Meter, da in der Methode von Professor Miyawaki steht, ab 60 Quadratmetern könne man autarke Flächen erzeugen. Wir haben das einfach mal praktisch gemacht - und es funktioniert. Die größten Flächen liegen bei knapp 4000 Quadratmetern. In dem Spannbereich bewegt sich das Ganze.

Warum funktioniert die Methode so schnell?


Das ist alles keine Raketen-Wissenschaft, sondern man pflanzt die Bäume besonders dicht. Ein normaler Forst wird ungefähr mit einem halben Baum pro Quadratmeter gepflanzt und wir pflanzen drei Bäume pro Quadratmeter, also ungefähr sechsmal so viele Setzlinge. Das Dichtpflanzen hat den Vorteil, dass man für eine Konkurrenzsituation sorgt, die Bäume streben dem Licht schneller zu und alles wächst wesentlich schneller. Wir versuchen die Natur nachzuahmen.

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Die kleinste Fläche, die wir gemacht haben mal 64 qm

Wie sieht die Pflege aus?


Wir pflanzen 20 bis 30 verschiedene Arten, alle Stockwerke des Waldes. Büsche, kleine und große Bäume, nach einem bestimmten Schlüssel verteilt. Das, was die Natur sowieso machen würde, wenn wir um das Grundstück einen Zaun machen und 50 Jahre warten würden, das machen wir mit der Miyawaki-Methode. Außerdem bereitet man den Boden vor, lockert ihn auf, macht eine Bodenanalyse, ob bestimmte Nährstoffe fehlen, und ergänzt diese aus natürlichen Quellen.

Haben Sie sonst noch Tipps?


Zwei Sachen sind bei uns immer wichtig: Wir machen einen Zaun herum. Sonst hat man schnell Kaninchen und Rehe, die die grünen Triebe abfressen, dann ist das mit der Pflanze auch ganz schnell wieder durch. Und wir mulchen. Wir legen auf die Erde 10 bis 20 Zentimeter Stroh, Holzhackschnitzel, irgendwas, was die Verdunstung hemmt und was dafür sorgt, dass das Unkraut nicht so schnell wächst. Dann muss man die Fläche in halbjährlichen oder dreivierteljährlichen Abständen vielleicht nochmal von Unkraut befreien.

Das klingt unkompliziert.


Nach drei Jahren kann man das komplett sich selbst überlassen, baut den Zaun ab und dann macht die Natur weiter. Für drei Jahre kriegt man schon immer ein paar Leute, die sich darum kümmern.

Wie geht man vor, wenn man mitmachen möchte? Stichwort: passende Grundstücke und die Kostenfrage. 


Das Wichtigste ist, dass man erstmal eine Keimzelle vor Ort braucht. Am besten Sie suchen sich zwei oder drei MitstreiterInnen, auf die man das am Anfang ein bisschen verteilen kann. Dann geht man einfach mal mit offenen Augen durch seine Kommune und guckt nach „hässlichen Entlein“. Es gibt immer irgendwo öffentliche Flächen, da liegt nur Müll rum. Da muss die Gemeindeverwaltung alle zwei Wochen Rasen mähen, die nutzt keiner und die sind zu klein, um ein Haus darauf aufzubauen.

Okay. 


Wenn man so etwas identifiziert hat, können wir helfen, die Flurstück-Nummer herauszufinden. Alles in Deutschland ist irgendwo katalogisiert, inventarisiert. Damit geht man zu den Entscheidungsträgern vor Ort und dabei herauszufinden, wer das ist, können wir auch unterstützen. Wenn das eine Gemeinde ist, dann ist es der Umweltausschuss, der Bauausschuss oder in größeren Städten das Grünflächenamt.


Ja.


Da ist jede Kommunenart anders organisiert und wir haben festgestellt, dass es gerade jetzt wieder interessant wird: Bei uns in Schleswig-Holstein ist wieder Wahlkampf, da ist man gern gesehener Gast in solchen Ausschüssen. Letztendlich haben wir noch nie erlebt, dass die Leute im Ausschuss gesagt haben, Waldpflanzungen wollen sie nicht. Manchmal gibt es Diskussionen wegen der Pflege. Das dauert ein bisschen länger mit den Entscheidungswegen, aber grundsätzlich, wenn man gute Vorarbeit macht, geht das relativ schnell durch.

Was heißt „relativ schnell“?


Das Schnellste war eine Zusage innerhalb von sechs Wochen. Das Längste auf der anderen Seite ist auch eine kleine Gemeinde außerhalb von Hamburg gewesen. Die hätten sofort entscheiden können, da hat es zwei Jahre gedauert, weil sie sagten, sie müssten einen neuen Menschen einstellen und wer solle dies entscheiden? Das hat anderthalb Jahre gedauert, bis sie den gefunden haben.

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Mit den meisten Gemeinden, haben wir Pachtverträge

Das liegt dann an der Bürokratie und nicht an tatsächlich noch zu klärenden Problemen?


Genau und selbst bei uns in Hamburg-Altona hat es auch einen Vorlauf von nahezu anderthalb Jahren gehabt. Das ist nur 400 Meter von der Reeperbahn weg, also wirklich City, City, City. Da sind schon viele Interessenträger dabei gewesen. Selbst das geht.

Wem dieser Wald dann gehört, ist von der jeweiligen Fläche abhängig? Das kann ein privater oder auch ein städtischer Wald sein?


Genau. Damit der Wald bestehen bleibt, haben wir vertragliche Vereinbarungen. Mit den meisten Städten oder Gemeinden haben wir Pachtverträge, weil sie auf der anderen Seite die Sorgfaltspflicht haben, was mit dem Gelände passiert. Bei Privatgrundstücken ist das eine Selbstverpflichtungserklärung. Da verpflichte ich mich, den Wald für einen bestimmten Zeitraum zu pflegen.

Gibt es einen Schutz, dass der Wald auf Dauer bestehen bleibt? 


Wald wieder in ein bebaubares Grundstück oder ein Grasland umzuwandeln, das hat relativ hohe Hürden. Mit dem Vertrag sichern wir das Ganze noch ein bisschen ab, dass sich die Eigentümer in irgendeiner Form mit einer Finanzierung beteiligen.

In welcher Höhe?


Wir verlangen immer mindestens 20 %, was nicht wirklich viel ist, wenn das ein eigenes Grundstück ist. Dafür stellen wir die Arbeitskräfte zur Verfügung, kümmern uns um die ganze Organisation und um den ganzen rechtlichen Zirkus.


Was ist mit den anderen 80 Prozent? In welchem Rahmen bewegen wir uns da? 


Auf unserer Website sind Zahlen. Pro Baum 3 €, ich meine zwei Quadratmeter sind bei 15€. Wir haben Flächen, 400 Quadratmeter ist die letzte gewesen, wo ich es weiß, dafür haben wir knapp 2500€ bezahlt. Also es ist nicht viel, wenn man vergleicht: In Hamburg bezahlt man für einen Stadtbaum und die Pflege der ersten drei Jahre zwischen 7000€ und 8000€. Dafür können wir 1500 Quadratmeter in die Stadt stellen.

Gibt es auch „Gegenwind“ auf die Aktionen?


An eine Aktion kann ich mich erinnern, mit einer ganz kleinen Fläche, die wir neben einem Altglas-Container bepflanzt haben. Da hat sich ein Anwohner beschwert, er hätte da lieber einen Parkplatz. So etwas findet man so selten, das ist zu vernachlässigen.


Kann man als „Kenner“ Ihre gepflanzten Bäume in den Städten erkennen? 


Ja. Das, was wir beim Spazieren als Wald kennen, sind Plantagen. Es gibt kaum richtige Wälder bei uns. Es gibt noch den Urwald Hainich und im Bayerischen Wald ein paar naturbelassene Ecken. Da führen aber so gut wie keine Wege durch. Unsere kleinen Gehölz-Inseln oder Wälder erkennt man daran, dass man nach drei Jahren kaum noch durchgucken und vor allem gar nicht durchgehen kann. Das wird bei jedem anderen Wald anders sein, da müssen Harvester durch und alle 20 bis 25 Meter müssen Schneisen im Wald sein.

Was erhoffen Sie sich von diesen 500 Projekten?


Das ganz große Ziel ist, dass wir in jeder Gemeinde irgendwo Menschen haben, die so ähnlich wie die örtliche Feuerwehr sagen: „Komm, einmal im Jahr treffen wir uns und pflanzen ein kleines Waldstück.“ Wenn jede Gemeinde in Deutschland jedes Jahr 400 Quadratmeter pflanzen würde, dann haben wir jedes Jahr 5000 Hektar neu, dann wird das schon eine Zahl, die für den Klimawandel relevant ist.

Boris Kohnke

Er ist Mitbegründer und Vereinsvorsitzender, zusammen mit Pascal Girardot, von Citizens Forests. Der Verein wurde 2019 in Bönningstedt (bei Hamburg) gegründet. Am 03.06.23 veranstaltet dieser in Hamburg ehrenamtlich ein kostenloses Vernetzungstreffen für baumpflanzende Initiativen. Teilnehmen am Event „reforest together“ können Projekte, Vereine, Stiftungen und Unternehmen, die sich für das Bäumepflanzen einsetzen oder selbst in ihrer Region zum Spaten greifen. Ziel ist es, sich untereinander kennenzulernen und Erfahrungen auszutauschen. Da sich nicht alle baumpflanzenden Initiativen in Deutschland kennen, gibt es die Möglichkeit der Webseite www.reforest-together.de, auf der alle Initiativen weitere Infos bekommen und sich anmelden können.

citizens-forests.org

llustration Thorsten Kambach / Fotos Citizens Forests

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