top of page
Junge Köpfe.gif
2022-11-07 Stadtgeflüster Illustration Ekki kurz.tif

Peter Sauer spricht mit Andreas Stitz über sein Leben als Rocksänger und Bewährungshelfer

EIN LEICHTMATROSE AM LANDGERICHT

Andreas Stitz ist kreativer Kopf, Komponist und Sänger der erfolgreichen Band „Leichtmatrose“ aus Münster, die jetzt bundesweit ihr 15. Bestehen feiert. Auch in Münster – mit einem besonderen Live-Auftritt am 14. Juni (Freitag) im Sputnik Café am Hawerkamp (Einlass: 20 Uhr). Was viele nicht wissen: Andreas Stitz ist im Hauptberuf verbeamteter Bewährungshelfer am Landgericht Münster. Wie kriegt er das alles unter einen Hut? Höchste Zeit für ein Interview.

Der Weg von deinem Büro zum Landgericht ist nur ein Katzensprung. Mit deiner Band „Leichtmatrose“ bist du bundesweit unterwegs. Wann hast du angeheuert?


Das war ein langer Weg. Das Cover eines Albums von Marc Almond brachte mich 2007/08 auf die Idee, als Leichtmatrose Musik zu machen. Ich habe mit 16 als Bassist in Bands angefangen. Die blieben aber nur im Umfeld von Münster. Damals hatte ich einen größeren Erfolg schon abgehakt.


Wie kam er doch noch zustande?


Das war Zufall. Ich habe meine ersten eigenen Songs bei myspace veröffentlicht. Mehrere meldeten sich: das Produzententeam von Silbermond und dann Joachim Witt.


Hammer. Der Joachim Witt?


Ja. Ich dachte erst, das wäre ein Fake Account, schon als kleines Kind habe ich den „Goldenen Reiter“ geliebt. Joachim hatte mich abends angerufen und nach Hamburg eingeladen. Mit seiner Hilfe kam es zur Produktion des ersten Albums, zum ersten großen Plattenvertrag. Ich dachte damals, das kann doch gar nicht alles wahr sein …


Wie ging es weiter?


Ich hatte die Option für ein zweites Album bei einer großen Plattenfirma, aber die hatten sich mehr Verkäufe vom ersten Album erhofft. Ich war wieder raus. Das zweite Album lief verkaufsmäßig besser, aber es gab Stress mit der neuen Plattenfirma. Jetzt haben wir unser eigenes Label.


Wie entstehen die Songs?


So wie früher. Erst die Hookline, dann kommt der Text. Gemeinsam mit Keyboarder Thomas Fest entsteht so jeder Song. Am besten einer, der in den Köpfen unserer Zuhörer bleibt. Vor allem aber dienen unsere Botschaften als Weckruf. Wir möchten, dass die Menschen mehr auf sich und die Welt Acht geben.


Der Leichtmatrose hat auf dem Schiff den untersten Rang. Warum dieser Name?


Weil Loser mich am meisten interessieren. Sie sind in der Literatur oder im Film oft die sympathischsten Figuren. Überkandidelte Helden haben mich immer schon nicht interessiert. Der Leichtmatrose hat nicht viel zu sagen. Dafür hat er aber jede Menge zu erzählen.


Ein Leichtmatrose-Album heißt „Heile Welt“. In dieser arbeitest du aber nicht, oder?


Als Bewährungshelfer habe ich mit Straffälligen zu tun, die gerade am Knast vorbeigekommen oder schon im Knast gewesen sind und vorzeitig entlassen wurden. Ich helfe ihnen bei der Resozialisierung, überwache ihre Auflagen, schaue, wie ihre Lebensumstände sind, wie ich sie fördern kann. Einerseits bin ich der Helfer der Leute, andererseits bin ich der Controlletti der Justiz, der auch vor Gericht ehrlich sagen muss, wenn es keine gute Sozialprognose gibt.


Was waren zuvor deine beruflichen Stationen?


Während des Studiums der Pädagogik war ich in Münster schon Streetworker am Hauptbahnhof. Mein Anerkennungsjahr habe ich bei der Drogenberatung gemacht. Nach dem Studium war ich in einer Therapieeinrichtung für drogenabhängige Jugendliche in Gelsenkirchen. Dann wurde die Stelle als Bewährungshelfer in Münster ausgeschrieben.

Rocksänger und Bewährungshelfer. Wie kriegst du das unter einen Hut?

Ganz gut. Alles eine Frage des Zeitmanagements. Auftritte und Studioarbeiten sind oft am Wochenende. Bei größerer Tour wird der Familienurlaub gekürzt.


Live durchlebst du voller Inbrunst die Songs. Was zählt bei der Arbeit als Bewährungshelfer?


Wichtig ist es mir, auch dort authentisch zu sein. Nur so bekomme ich einen guten Draht zu meinen Klienten, die mir anvertraut werden.

probe1.jpg

Als Bewährungshelfer habe ich mit Straffälligen zu tun

Gehst du auch mit wilder Haartolle und cooler Lederhose zur Arbeit?


Genau. Ich verändere mich nicht vor Gericht.


Vereinfacht das die Arbeit?


Das kann vereinfachen, dass man einen schnelleren Zugang bekommt. Das kann auch erschweren, dass die Klienten denken, dass ich ein zu lockerer Typ bin. Im Job muss ich aber immer eine professionelle Distanz haben.


Was sind deine Ziele?


Als Oberinspektor der Justiz geht es mir um Gerechtigkeit und Fairness. Um Objektivität, um zu hinterfragen, was zur Tat geführt hat. Da gibt es viele Ursachen: familiäre, berufliche und gesundheitliche Schicksale oder falsche Bekanntschaften. Eine authentische Resozialisierung ist mein Arbeitsziel als Bewährungshelfer. Denn jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient.


Wie machst du das konkret?


Wenn man die eigenen Ressourcen des jeweiligen Probanden fördert, klappt die Resozialisierung am besten. Dann fühlt er sich auch richtig wahrgenommen.


Wenn du so über deine Arbeit sprichst, merke ich, sie macht dir Spaß, oder?


Ja. Der Umgang mit den Leuten. Der Job zeigt, dass alle Menschen Stärken und Schwächen haben und wie schnell es passieren kann, dass man am Rand der Gesellschaft ist.


Hand aufs Herz, gibt es etwas, was dich stört?


Das einzige, was mich als Bewährungshelfer stört, ist die Bürokratie, denn die wächst und wächst.


Ist die Musik da ein guter Ausgleich?


Ja, um die schwere Welt hinter sich zu lassen. Bewährungshelfer ist mein Job und Musik ist meine Leidenschaft. Bei größerem Erfolg würde ich gerne von der Musik leben wollen.


Gibt es Gemeinsamkeiten?


Das gute Gefühl, Menschen helfen zu können. Das treibt mich an. Im Fokus der Songs steht die Frage: Sind wir nicht oft selbst unser schärfster Gegner, unser geliebter Feind?


15 Jahre bist du als Leichtmatrose an Bord. Was hat sich verändert?


Das Business ist schwerer geworden. Musik hat nicht mehr so eine Wichtigkeit. Wir haben früher unsere Lieblingsalben rauf und runter gehört, exzessiv die Songs gefeiert. Es gab eine richtige Jugendkultur. Heute wird oft nur gestreamt und getiktokt.


Euer Sound hat sich im Laufe der 15 Jahre spannend verändert …


Wir sind Gitarrenlastiger geworden. Am Anfang habe ich alleine produziert, ich konnte nicht alle Instrumente spielen, deswegen war es Elektropop.


Wie kam „Scooter“-Mitgründer Rick J. Jordan in die Band?


Als wir das Video zu „Wenn es Nacht wird in Paris“ in Hamburg drehten, hatte Rick J. Jordan unser Video geschnitten und sagte spontan, er würde gerne dabei sein. Wow, nach 26 Jahren bei Scooter! Er passt wunderbar zu Leichtmatrose und bereichert die Band sehr.


Du bist für mich ein klassischer Storyteller. Wie viel von dir steckt in den Songs?


Selten sind die Texte autobiografisch. Erlebtes wird verarbeitet, aber ich bin auch ein Schwarm, der alles um mich herum gut aufsaugen kann. Gerne Liebeskummer-Storys.


Du hast bei der Neuauflage des Anti-Kriegssongs „Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht“ von Reinhard Mey mitgewirkt. Wie war das?


Unser Videoregisseur Ronny Zeisberg hatte die Idee, diesen Song mit verschiedenen Musikern neu zu vertonen. Damals ging es um Wiedereinführung der Wehrpflicht. Reinhard Mey war begeistert und meinte: „Ich will da mitmachen.“ Er hat den Videodreh im Wald von Potsdam organisiert. Das war total schön.

probe1.jpg

Heute wird leider oft nur noch gestreamt oder getiktokt

Inwiefern?


Reinhard Mey war so gerührt. Als er mit seinem Part fertig war, hat er sich vor uns gekniet im Wald und fing an zu weinen vor Rührung.


Und die Neufassung knallte durch die Decke …


Damit hatte keiner gerechnet. Der Song war nur als Benefiznummer für das Friedensdorf International geplant. Mittlerweile hat „Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht“ bei YouTube 17 Millionen Aufrufe. Er hat dem Friedensdorf viel Geld gebracht, allen Mitwirkenden mehr Popularität. Wir spielen den Song am 14. Juni im Sputnik-Cafe. Er sorgt live noch immer für Gänsehaut-Momente. Manche sind in Tränen aufgelöst, berichten von ihren Großeltern und was der Song in ihren auslöst.


Warst du beim Militär?


Nein, ich habe Zivildienst geleistet und habe bei den Ambulanten Diensten in Münster Schwerbehinderte betreut. Ich war immer Pazifist, habe aber immer auch Respekt vor den Soldaten, die ihr Leben weltweit aufs Spiel setzen.


Du warst auf dem 75. von Joachim Witt …


Er war mein Entdecker, hat mein erstes Album ermöglicht, mir die erste Plattenfirma besorgt, wir sind Freunde.


Ist nach dem Erfolgsduett „Hier drüben im Graben“ weiteres geplant?


Leider nein. Wir waren zweimal gemeinsam auf Tour, als Vorband von Joachim. Vertraglich ist die Zusammenarbeit schwierig – unterschiedliche Plattenfirmen. Joachim war bei ein paar Auftritten von Leichtmatrose als Zuschauer dabei, was mich sehr gefreut hat.


Eure Stimmen würden gut zusammenpassen ...


Ich werde Joachim mal darauf ansprechen.


Der Leichtmatrose-Gig am 14. Juni im Sputnik-Cafe soll sportlich werden?


Ja. Wir schauen erst mit den Fans um 21 Uhr auf der Großbildleinwand das EM-Eröffnungsspiel Deutschland gegen Schottland. Ab 23 Uhr entern wir mit unserer Musik die Bühne. Mit Songs aus allen Alben und neuem Material.


Ihr werdet auf jeden Fall abliefern, oder?


Richtig, Peter. Egal, wie die Mannschaft spielen wird, wir werden auf jeden Fall geil spielen. Wir werden einige Dinger reinmachen.


Wo kann man Leichtmatrose noch live erleben?


Am 24. August in Berlin, am 14. September im Komplex/Schüttorf, am 27. September auf einem Kinderhospiz-Benefiz im Kulttempel Oberhausen, Ende des Jahres gibt es Planetarienkonzerte.


Auch in Münster?


Sehr gerne. 2023 Jahr haben wir im Hamburger Planetarium gespielt. Der Ex-Chef sagte uns, er wäre vorher beim U2-Konzert in Las Vegas gewesen und sagte: „Ihr wart deutlich geiler als U2.“

Andreas Stitz
Der Münsteraner Andreas Stitz lebt als Vater zweier Töchter im Erphoviertel. Der kreative Kopf, Komponist und Sänger der Alternativrock-Band „Leichtmatrose“, ist Bewährungshelfer am Landgericht Münster. Das letzte Album „Heile Welt“ schnellte nach Erscheinen auf Platz 1 der Deutschen Alternative Charts, verwies internationale Größen wie The Prodigy, Muse oder Smashing Pumpkins auf die Plätze. Neu ist die EP „Wir Kinder vom Bahnhof Adamo“.

www.leichtmatrose.com

lllustration Thorsten Kambach / Fotos Kirsten Nagel

bottom of page