
Arndt Zinkant fragt den „Tagesschau“-Aussteiger Alexander Teske, wo der Nachrichten-Schuh drückt
INSIDE TAGESSCHAU
In Bezug auf öffentlich-rechtliche Nachrichten mehren sich die Kritiker. Dabei gehörte Alexander Teske anfangs gar nicht dazu. Aber mit der Zeit wuchs seine Skepsis: Deutschlands Nachrichten-Flaggschiff, wo er sechs Jahre tätig war, schien ihm zu einseitig und regierungsnah – auch der westdeutsch geprägte Blick störte ihn. Sein kritisches Buch „Inside Tagesschau“ ist mittlerweile ein Bestseller.
Mit Ihrem Buch haben Sie einen Bestseller gelandet – aber irgendwie ja auch in ein Wespennest gestochen, oder?
Es war nicht meine Absicht, in ein Wespennest zu stechen, und so genau hatte ich mir das vorher auch nicht ausgemalt. Es ist sicherlich gut, mögliche Folgen nicht bereits beim Schreiben einzupreisen. Man muss das schreiben, was einem am Herzen liegt – genauso, wie man es sieht.
Die Berliner Zeitung hat geschrieben, dass ehemalige Kollegen Sie und auch Ihren Verlag unter Druck gesetzt hätten, weil sie das Manuskript einsehen wollten. Wovor hatten die denn Angst?
Das kann ich nicht sagen. Jedenfalls hat es mich überrascht, als der Verlag mir mitteilte, dass es Bemühungen gebe, an das Manuskript zu gelangen. Vermutlich wollte man es vorher juristisch verbieten lassen. Wenn es erstmal in der Welt ist und große Verbreitung findet, kann man ja kaum noch gegen die Inhalte vorgehen. Zum Beispiel hatte man ja auch gegen das Cover etwas einzuwenden – und den Verlag dazu gezwungen, es abzuändern. Es wurde argumentiert, es sei dem originalen Tagesschau-Bild zu ähnlich, daher könnten Leute denken, dass das Buch von der Tagesschau selber publiziert worden wäre.
Sehen Sie sich als Whistleblower?
Nein, denn ich verrate ja keine Geschäftsgeheimnisse. Außerdem habe ich die Tagesschau ja auch nur zum Teil kritisiert, zum Teil aber auch verteidigt. Das wird allerdings kaum wahrgenommen. Mir scheint, es gilt irgendwie als Tabu, wenn Kritik nach außen getragen wird – Stichwort Nestbeschmutzung. Kollegen warfen mir vor, dergleichen sollte man lieber intern behandeln. Andererseits ist das alles intern schon seit langem bekannt – und nichts ändert sich, allenfalls in Trippelschritten. Deswegen finde ich es besser, das öffentlich zu diskutieren, schließlich sind wir ja ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk.
Die Empfindlichkeit rührt wohl auch daher, dass der Ruf der Tagesschau auch zuvor schon gelitten hatte. Hauptkritikpunkt war meist die Einseitigkeit der Berichterstattung. Ist das auch ihr Hauptkritikpunkt?
Während ich dort arbeitete, habe ich diese Einseitigkeit gar nicht so empfunden. Seit ich aber aus dem System raus bin, hat sich mein Blick ein wenig verändert. Zuvor richtete sich meine Kritik eher in Richtung undurchsichtiger Strukturen. Kein Mensch wusste genau, nach welchen Kriterien die Chefredaktion besetzt wird. Keiner weiß, wie man in den elitären Kreis der Chefs vom Dienst überhaupt gelangt. Diese Stellen werden nicht öffentlich ausgeschrieben. Auch hat mich die Art der Themenfindung gestört, weil ich ja genau dort in der Planung gearbeitet hatte – so wie zuvor schon 15 Jahre lang beim MDR. Ich habe also bei der Tagesschau gesehen, wie viele Themen sich eigentlich anboten und was dann am Ende in der Sendung dabei herauskam. Da hat mich vieles gestört.
Die besagte Einseitigkeit?
Die hatte ich gar nicht so stark als politisch wahrgenommen, wohl aber empfand ich ein starkes Ost-West-Gefälle. Der westlich dominierte Blick störte mich oft. Als Ostdeutscher gab es da natürlich eine persönliche Betroffenheit. Die Berichterstattung in der Corona-Zeit habe ich anfangs durchaus mitgetragen, aber je länger es dauerte, umso mehr störte sie mich. Viele Redakteure empfanden sich als Vorreiter: Sie haben nicht neutral berichtet, sondern die Regierung zum Jagen getragen. Ähnliches gilt für die Ukraine-Bericht-
erstattung. Berichte über Waffenlieferungen mit Meinung und Haltung zu verbinden, empfinde ich als unpassend für eine Nachrichtensendung – das könnte man in einem politischen Magazin machen. Aber auch da sollte es ausgewogen sein, ein konservatives Magazin als Gegengewicht geben.

Die Desillusionierung setzte schleichend ein.
Gab es für Sie eine Art Schlüsselerlebnis?
Nein, wie gesagt habe ich dort ja sechs Jahre gearbeitet und hätte mir auch eine Verlängerung vorstellen können. Entfremdung und Desillusionierung setzten schleichend ein. Nachdem ich aber ausgeschieden war, wurde mir bewusst, dass bereits die Ereignisse von Chemnitz 2018 mich bereits sehr nachdenklich gemacht hatten. Sprich, die Erzählung von den angeblichen „Hetzjagden“, die zum Rücktritt von Hans Georg Maaßen geführt haben. Zu der Zeit lief einer der Chefs vom Dienst durch die Redaktion in einem T-Shirt mit dem Aufdruck der Band „Feine Sahne Fischfilet“. Das fand ich ziemlich seltsam. Wenn jemand mit einem Shirt der „Böhsen Onkelz“ rumgelaufen wäre, hätte man das ja auch nicht toleriert.
Was mich damals unangenehm berührte, war, dass einfach ein Wackel-Video gezeigt wurde, auf dem gar nichts Skandalöses zu sehen war. Und als Quelle gab man an: „Antifa Zeckenbiss“. Wurde das nicht als unseriös diskutiert?
Nein, tatsächlich nicht. Man muss verstehen, dass die Tagesschau ja die ganzen Beiträge nicht selber macht, sondern in Auftrag gibt. Entsprechend wenig Kontakt gibt es insgesamt mit der Realität. Da gibt es Leute, die fahren morgens auf den Parkplatz des NDR, holen sich alle Informationen aus den Zeitungen und Agenturen und fahren abends wieder nach Hause. Die haben kaum Berührungspunkte mit anderen Leuten. Das war beim MDR in Leipzig anders, da fuhren die Reporter noch raus vor Ort und sahen dann beispielsweise in Chemnitz, was wirklich vorging. Die Tagesschau beauftragte einfach den „Faktenfinder“ Patrick Gensing, die Echtheit des Videos nachzurecherchieren – und auch, ob dort „Hetzjagden“ zu sehen seien. Was er bestätigte. Und damit war der Fall erledigt.
Sie kritisierten, dass die Stellen der „Chefs vom Dienst“ gar nicht öffentlich ausgeschrieben seien. Außerdem behauptete die ARD, man sei gar nicht verpflichtet, nach Qualifikation einzustellen. Wonach denn sonst?
Gute Frage. Ich hatte mich ja seinerzeit auf eine feste Stelle beworben, wurde aber nicht genommen. Stattdessen wurde jemand genommen, der noch nie mit der Planung betraut worden war, also definitiv weniger qualifiziert war. Jemand, der noch nie fürs Fernsehen gearbeitet hatte – und dagegen habe ich dann geklagt. Darauf hieß es: Nein, wir sind nicht der öffentliche Dienst – und daher seien solche Klagen unzulässig. Kurios: Wenig später kam der „NDR-Klimabericht“ heraus, woraufhin gesagt wurde, dass man jetzt doch nach Qualifikation einstellen wolle. Für den Posten des Chefs vom Dienst wird man aus dem Kreis der übrigen Chefs vom Dienst vorgeschlagen, die natürlich ähnlich gelagerte Leute bevorzugen. So wird für eine politische Kontinuität links der Mitte gesorgt.
Mit Blick auf Ihren Prozess hat natürlich die ARD behauptet, dass ihr Buch vor allem ein „Rache-Buch“ sei. Ist da was dran?
Natürlich schreibt man so ein Buch nicht, wenn man mit sämtlichen Kollegen befreundet ist oder sie die Paten der eigenen Kinder sind. Verstimmungen hat es durchaus gegeben. Aber wer das Buch liest, wird feststellen, dass es kein Rache-Buch ist. Außerdem hatte ich ja eine feste Stelle beim MDR, zu der ich hätte zurückkehren können, also bis zum Renteneintritt bei der ARD beschäftigt bleiben können. Ich bin nicht rausgeworfen worden, sondern habe von mir aus gekündigt. Es hat übrigens auch nie jemand in der Sache mit mir gesprochen oder mich gar widerlegt.

Es ist eigentlich wie eine Akte…
Sie äußern sich ja ambivalent: Bei aller Kritik verteidigen Sie auch die Tagesschau und betonen, dass Sie dort gerne gearbeitet haben. Was sind nun die drei wichtigsten Kritikpunkte für Sie?
Jemand sagte mal zugespitzt: „Es ist eigentlich wie bei einer Sekte – da öffnen sich einem auch erst die Augen, wenn man wirklich dort raus ist.“ Ähnlich war es bei mir. Ich bin sehr froh, dass ich mittlerweile ausgeschieden bin. Ich habe nicht wenige sehr unzufriedene Kollegen erlebt, die zwar sehr gut bezahlt wurden und sich nicht kaputt gearbeitet haben, sich aber trotzdem unzufrieden fühlten. Stichwort „der Rente entgegendämmern“. Vor allem kritisiere ich, dass zu wenig Regierungskritik herrscht, sondern, ganz im Gegenteil, man sich oft dem Regierungsnarrativ verpflichtet fühlt. Beispielsweise hütet man sich, Israel zu kritisieren, will die Ukraine unterstützen und die Corona-Maßnahmen möglichst nicht hinterfragen. Jetzt gerade kam heraus, der BND vermute seit fünf Jahren, dass die Labor-These über das Virus zutrifft. Das wollte das Kanzleramt aber nicht an die Öffentlichkeit dringen lassen. Professor Wiesendanger von der Uni Hamburg hat seinerzeit schon genau dasselbe gesagt: Die Labor-These sei glaubhaft. Ich hatte ihn damals eingeladen, was aber gar nicht gut ankam, und er wurde nicht auf den Sender gelassen. Man hat diesen Professor einfach als Schwurbler dargestellt.
Immerhin sind die Öffentlich-Rechtlichen per Medienstaatsvertrag zur Ausgewogenheit verpflichtet. Wird das intern diskutiert?
Man sieht sich in der Tradition, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Bollwerk gegen den Faschismus gegründet wurde. Deswegen kommt man kaum auf die Idee, auch anderen Stimmen Raum zu geben, heute insbesondere konservativen. Ein Stück weit war das ja immer so: Auch die Grünen hat man in der Anfangsphase bekämpft, und bei der Linken war es ebenso. Man hat sie als kommunistische Spinner abgetan. Im Moment ist es eben die AfD, über die gesagt wird: „Alles Nazis, alles Ossis“. Auch aus dem Rundfunkrat versucht man sie fernzuhalten.
Letzte Frage: Dicke Tanker haben in der Regel nicht die Fähigkeit, sich selbst zu reformieren. Haben Sie Hoffnung, dass sich dennoch etwas tut?
Als ich das Buch schrieb, habe ich für Reformen plädiert und auch geglaubt, dass man sie erreichen kann. Je länger ich dort raus bin, umso mehr fehlt mir der Glaube. Allerdings bin ich nach wie vor für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wenn auch vielleicht ein bisschen schlanker – aber abschaffen würde ich ihn nicht. Alles, was danach käme, wäre wohl kaum besser. Es braucht einfach einen Anstoß von außen, das sieht man daran, wie sie mit Kritikern generell umgehen. Klar, kleine Reförmchen sind immer möglich, aber im Großen und Ganzen wird sich nichts ändern. Sie profitieren zu sehr davon. Wenn man eine echte Reform wirklich wünschen würde, müsste man das ganze System von Grund auf neu aufbauen.
Alexander Teske
Alexander Teske verbrachte sein ganzes Berufsleben im Journalismus. Er volontierte bei Gruner & Jahr, schrieb für „Bild“ in Chemnitz und arbeitete viele Jahre als Redakteur für den MDR in Leipzig. Sechs Jahre war Teske als Themenplaner für die Tagesschau in Hamburg tätig, wo er Anfang 2024 kündigte. Seitdem ist er freier Autor.
www.alexander-teske.de
Illustration Thorsten Kambach / Fotos Arndt Zinkant