Tom Feuerstacke und Horst Lichter über Arschlöcher und die fehlende Zeit
Selbst die größte Frohnatur kann ein Schicksalsschlag ereilen – dann steht der geborene Spaßmacher vor seinen dunkelsten Tagen. Manche zerbrechen, andere marschieren da gestärkt raus. Horst Lichter etwa. Im neuen Buch verarbeitet „Hotte“ einen schweren Verlust. Uns erzählt er, warum er deshalb keine Zeit mehr an Arschgeigen vergeudet, dass es Menschen gibt, die wütend werden, gerade weil man sich nicht über sie lustig macht – und dass auch eine Ulknudel nicht gänzlich waffenlos sein muss.
KEINE ZEIT FÜR ARSCHLÖCHER
Horst, die Leute sehen in dir den heiteren Fernsehkoch, der mit ’nem Pfund Butter das Leben schmiert. Nun heißt es: „Keine Zeit für Arschlöcher“ – im gleichnamigen Buch. Was ist los?
Weißt du, Tom, als Clown gebe ich oft Dinge von mir, die inhaltsleer wirken. Ihr Sinn liegt aber auf der Hand: Ich will unterhalten, damit die Menschen sich besser fühlen. Doch beim neuen Buch habe ich bewusst ’nen komplett anderen Zugang gewählt. Es gibt schließlich schon so viele Bücher, viele davon unterhaltsam und nett, aber eben auch inhaltsleer. Ich denke aber, man sollte nur schreiben, wenn man was zu sagen hat. Wenn es für den Leser einen Mehrwert gibt. Darum hat es gedauert, bis das Buch erschienen ist.
Moment bitte, du gehst ja direkt in die Vollen. Hab ich das richtig kapiert? Du willst also mit deinem neuen Werk nicht „nur“ unterhalten?
Ursprünglich schon, wie vor zehn Jahren, als Markus Lanz mit mir meine Biographie geschrieben hat. Ich wollte jetzt eigentlich ein Buch herausbringen, das daran anknüpft. Das sollte beschreiben, was mit mir und meinem Umfeld in den letzten fünf Jahren passiert ist. Am Anfang feierst du kleine Erfolge – und am Ende kennt dich fast jeder. Dabei passieren Dinge in deinem Leben, die sind aus der Distanz betrachtet witzig. Diese netten Begebenheiten hätten aber keinen Mehrwert für den Leser gehabt. Deswegen habe ich nie angefangen, dieses Buch zu schreiben.
Jetzt gibt es dein Buch aber doch – und du gibst nicht den Clown. Da ist der ungeschminkte Horst mit all seinen Macken, Ängsten und menschlichen Defiziten?
Als vor zwei Jahren meine Mutter verstarb, hat mich das für mein Leben verändert. Das hat alles auf den Kopf gestellt – und zwar ganz böse. Ein dreiviertel Jahr habe ich kämpfen müssen, um dahin zu kommen, wohin ich wollte. Dabei entstand meine Idee davon, welches Buch ich schreiben will. Mit dem Titel, den ich mir bewusst ausgesucht habe: „Keine Zeit für Arschlöcher“. Aber das hat eben einen anderen Hintergrund, als die meisten Leute denken.
Was denken die denn?
Es sprach sich rum, dass der Lichter ein Buch mit besagtem Titel schreibt und daraufhin wurden die Rechtsanwälte von der Leine gelassen. Da dachte ich nur: „Leckt mich am Arsch!“ Das zeigte mir, was für eine Meinung gewisse Personen von mir haben müssen, wenn sie im Beißreflex sofort annehmen, dass ich über sie schreibe. So etwas würde ich im Leben nicht tun. Ich zog daraus zwei Schlüsse. Erstens: Die schätzen mich total falsch ein, denn ich bin keiner, der ein Abrechnungsbuch schreibt. Zweitens: Die kommen sich so wichtig vor, dass sie tatsächlich glauben, ich würde ihnen ein Buch widmen. Das habe ich den einen oder anderen auch wissen lassen.
Woran machst du den zweiten Schluss fest?
Ganz einfach: Ein Herr hatte sich nach Erscheinen des Buches bitterlich beschwert, dass er nicht erwähnt wurde, mit bitterbösen Mails, auch sowas gibt es.
Ich habe das Buch angefangen und es dann zur Seite gelegt. Echt harter Tobak, nichts, was ich mal eben so zwischendurch schmökern kann.
Jeder, der das Buch hat, auch meine Frau, liest es eigentlich in Windeseile durch. Es wird dabei viel geweint und gelacht. Am Ende wird es sehr nachdenklich weggelegt. Das Buch wirkt auf dich insofern, dass du über gewisse Dinge anders denkst. Ursprünglich sollte es sogar deutlich dicker werden. Es gab so viele Geschichten, die ich noch erzählen wollte. Aber ich war durch. Bei dieser Arbeit habe ich festgestellt, wie viele inhaltslose Themen es überhaupt gibt. Die gehörten nicht in mein Buch rein. Seitenfüller müssen wegbleiben. Nach dem Motto: „Scheiß drauf und weg damit!“
Inwieweit beeinflusst einen das Buch, inwieweit denkt man anders über gewisse Dinge?
Du entdeckst vielleicht ein paar Situationen, in denen du dich wiedererkennst. Doch kommen Dinge dazu, die du so nicht erwartet hättest. Über manche Stellen in meinem Buch wirst du herzhaft lachen. Aber nicht bewusst, sondern so, wie es aus mir rauskam.
Horst wollte witzig sein und diese Heiterkeit zu Papier bringen. Er stellt fest, dass das Witzige unspektakulär ist, und entscheidet sich für ein Buch, das in eine völlig andere Richtung geht. Wie kam es zu diesem Umdenken?
Tom, nachdem das mit Mutter vorbei war, brauchte ich relativ lange, um mit mir im Reinen zu sein. Ich habe zwar schnell wieder angefangen zu arbeiten, habe dem Team erzählt, was sich ereignet hatte. Ich erklärte, dass wir ab heute nicht mehr darüber reden. Wir werden einen geilen Job machen, gemeinsam lachen und die Zuschauer unterhalten. Wir können hier nicht heulen, das hat keinen Sinn. Für mich dauerte es aber trotzdem knappe neun Monate, bis ich wieder Entscheidungen treffen konnte. Wie mein Leben weiterläuft und was ich zu ändern habe. Dann habe ich gesagt, für dieses habe ich keine Zeit und ich will auch jenes nicht mehr. Aber eines wusste ich sicher: welches Buch ich schreiben will.
Eine Sache möchte ich nochmal erörtern. Den Titel – und warum er nicht so gemeint ist, wie die meisten Menschen annehmen.
Der resultiert nicht daraus, dass ich jemanden Bestimmtes meine. Das ist ein Satz, den ich immer im Theater zum Schluss gesagt habe. Wer mich kennt, weiß, dass ich viel Scheiße erlebt habe. Die Leute fragen mich immer, wie es kommt, dass ich so viel Spaß habe am Leben. Die wundern sich, wo das herkommt, manche meinen, dass ich eventuell etwas einfältig sei. Denen entgegne ich, dass das Leben wie ein Maßband ist: Hundert Zentimeter gleich hundert Jahre. Wir Männer werden im Schnitt 80 Jahre alt, heut bin ich 55. Bleiben mir also noch knapp 25 Jahre. Der Körper baut ab, wir werden nicht mehr besser. In diesen Jahren könnte ich jetzt wenigstens noch viel Spaß haben. Aber mein Vater ist in fast meinem Alter gestorben. Demnach hätte ich genau noch zweimal Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Daraus resultierend habe ich keine Zeit für schlechte Laune und Arschlöcher. Das war der Grund für den Titel dieses Buches.
Das ist eine gute Erklärung für den Titel. Was hat denn der Verlag dazu gesagt?
Den musste ich am Anfang erst davon überzeugen. Ich habe gehört, dass es Verkäuferinnen im Buchladen gibt, die sagen, dass man das Buch von Lichter mit dem Titel „Keine Zeit für …“ meint. „Arschloch“ im Buchladen ist scheinbar so böse, dass sich die Verkäuferin nicht traut, das auszusprechen. Das finde ich schon seltsam.
Horst, wenn man in deinem Buch das Kapitel über deinen allzu menschlichen Auftritt im Krankenhaus liest, bei dem es um deine Mama geht und du so durchdrehst, dass du dich nur schwer selbst wiedererkannt hast. Wie schaffst du es da, auf die Bühne zu gehen und gleichzeitig den Sonnyboy für die Zuschauer zu geben?
Das ist meine Allzweckwaffe. Lass es mich so erklären: Als Kind habe ich schnell rausbekommen, dass ich mein Umfeld formen kann, wie ich es gerne hätte. Ohne böse Absicht. Ich war schon immer harmoniesüchtig und brauche dementsprechende Menschen um mich herum. Ich mag lachen, ich mag Freude und ich mag es, wenn alle gut drauf sind. Wie bekommst du das hin? Indem du selber gut drauf bist! Ich habe immer mehr gegeben, als ich genommen habe, und gebe stets das, was ich selber haben möchte.
Das musst du mir näher beschreiben.
Wenn meine Eltern Sorgen hatten – und die hatten viele Sorgen –, habe ich versucht, denen keine zu machen. Da verhielt ich mich lustig und albern. Dann gab es in der Schule Gruppierungen wie im Alltag auch. Im Leben gibt es die Kranken, Hässlichen und Alten, und wenn wir ehrlich sind, will niemand was mit denen zu tun haben. Es gibt die Schönen, Reichen und Starken. Da will jeder hin – und gehörst du nicht dazu, findest du die auch scheiße. Dann gibt es die Streber, denen ja gewisse Dinge leichter fallen, mit denen will auch keiner was zu tun haben. Und du gehörst eigentlich keiner der Gruppen an. Nur einen gibt es, der in allen Kategorien gerne gesehen ist und sich zwischen diesen Welten bewegen kann, ohne dazuzugehören: den Clown.
… und der bist du?
Genau. Deshalb war ich als Kind schon Clown. Da kannst du nämlich zu den Starken gehen und bekommst nicht aufs Maul – weil du sie zum Lachen bringst. Wie gesagt, das war meine Waffe, um alles „gut zu bekommen“. Denn was kann ich? Ich kann besser kochen, als viele glauben, aber deutlich schlechter als ein Sternekoch, weil ich das so nicht gelernt habe. Ich bin auch kein Comedian, denn der kann Comedy, ich bin maximal lustig. Ich aber kann mit den Leuten lachen, vor allem lache ich mit meinen Zuschauern über Dinge, die man nicht aufschreiben kann. Das ist kein aufgebauter Witz, ich bin Geschichtenerzähler, das dauert alles etwas länger.
Wofür ist das gut, weil du ja wahre Gefühle unterdrückst?
Ich habe gemerkt: Erleidest du einen Schicksalsschlag, wirst du in eine andere Ecke gestellt. Wenn du als kräftiger, selbstbewusster Hüne zum Arzt gehst, der dir sagt, du hast Krebs und noch vier Monate zu leben – was passiert? Dein Umfeld weiß nicht mehr, wie es mit dir umgehen soll. Die werden sich seltener melden, sind peinlich berührt, wenn sie dich sehen und werden nicht mehr den Spaß mit dir machen wie vorher. Die werden sich verändern. In Wirklichkeit haben die Schiss, dich zu treffen. Um das zu verhindern, habe ich den Clown gemacht – und bin auf die Leute zu und habe eine Brücke gebaut, indem ich sagte: „Ich scheiß aufs Schicksal, lass uns einen trinken gehen.“
Irre, wie du deine Einstellung verändert hast, damit du und die Leute gut drauf – und sie bei dir sind?
Deshalb sind die Menschen aber auch geschockt, dass ich heute sagen kann: Mir geht es jetzt mal scheiße. Aber ich kann mit dir einen trinken und weinen, gerade weil mal nicht alles gerade geht, und am Ende stehen wir auf und stellen fest, wie geil es draußen duftet.
Du hast in deinem Leben so viele Schicksalsschläge erlebt. Eigentlich hättest du das Buch doch schon eher schreiben müssen?
Da hatte ich nie Zeit für. Ich habe viel zu oft mich selbst verdrängt oder vergessen, damit alles wieder gut ist.
Dann kam der Schicksalsschlag mit deiner Mutter und gab den Ausschlag zu einem Buch?
Ich hatte mit meiner Mutter gar nicht so eine tolle Beziehung, wie man nach dem Lesen meinen könnte. Das Verhältnis war wie bei vielen anderen auch. Wir waren nie ein Herz und eine Seele, wir waren Mutter und Sohn ... Ich mache zum ersten Mal in meinem Leben zweieinhalb Monate Urlaub, habe die freie Zeit total verplant mit etwas, das ich schon immer tun wollte: einfach leben. Am ersten freien Tag aber sagte meine Mutter, dass bei ihr ein Tumor gefunden wurde. Und zwei Tage vor dem Ende des Urlaubs stirbt sie in meinen Armen. Das erlebst du tagtäglich mit – und am Ende schläfst du bei ihr. Das verändert dich komplett. Das haut dich einfach um.
Das glaube ich dir – und kann verstehen aus eigenen Erfahrungen, wovon du sprichst.
Es gab doch tatsächlich Leute, die mir sagten, dass ich mich nicht so intensiv um sie kümmern müsse, dass es mir eh keiner dankt. Denke auch an dich, sagten sie. Nein, die hat mich geboren und die hat gelitten. Ich bin kein Arschloch und lass meine sterbende Mutter einsam und alleine zurück. Nein, das hatte sie nicht verdient.
Letzte Frage, Horst. Was kommt als Nächstes?
Ich habe alles abgeschafft, was sich für mich nicht mehr richtig angefühlt hat. Das letzte Jahr war das des Abarbeitens. Ich werde dieses Jahr mehr Zeit für mich haben und nur die Dinge tun, die mir Spaß machen. Arschlöchern, die mir querkommen, werde ich mit meiner Allzeitwaffe begegnen: der Freundlichkeit. Daran gehen sie kaputt. Das Einzige, was ich nicht schaffen werde: Ich habe mir vorgenommen, nie wieder einem Menschen wehzutun. Aber das ist vermutlich nicht machbar.
Danke für das Gespräch…
… du bist im Übrigen der Erste, dem ich ein Interview gebe, obwohl er das Buch nicht ganz gelesen hat.
Ich hätte auch noch Fragen über Fragen, aber die Zeit
ist um.
Jetzt bin ich auch in der Stimmung, was Leckeres zu essen und zu trinken und das Ding bis morgen früh durchzuziehen. (Lacht).
Anm. d. Red: Etwas länger wurde es dann doch noch…
INFO
Der 1962 geborene Fernsehkoch schreibt, kocht und unterhält. Er ist deutlich mehr als nur der Clown, als der er sich selber beschreibt.
Viele, viele weitere Infos zum Horst Lichter erfahrt Ihr am besten hier:
Autor Tom Feuerstacke / Illustration Thorsten Kambach
Erstmalig erschien dieser Text in Stadtgeflüster Interview
Januar 2019
Alle Rechte bei Stadtgeflüster – das Interviewmagazin vom