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Dominik Irtenkauf und Herman Van Veen finden beide, dass Musik unsere Gegenwart erleuchten oder beleuchten kann

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Er ist ein Multitalent: Herman van Veen. Nicht nur hat er die Idee für die schöne Zeichentrickserie „Alfred J. Kwak“ entwickelt und das Titelstück beigesteuert. Auch als Maler und Autor bewegt sich der über Siebzigjährige noch selbstverständlich über die Bretter, die die Welt bedeuten. Aktuell ist er auf Tour durch Deutschland, Österreich, die Schweiz und Luxemburg. Flächendeckend beackert er die deutschsprachigen Länder. Der Niederländer ist im Gespräch ein wacher Geist, der mit präzisen, zugleich atmosphärischen Worten unsere Gegenwart beschreibt – sowohl in guten wie auch in schlechten Zeiten.

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DAS SINGENDE TAGEBUCH

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In einer Talkshow haben Sie vor zehn Jahren gemeint, Sie wollten nicht aufhören. Das scheint ja immer noch nicht der Fall zu sein?

Nein. Ich habe das große genetische Glück, dass noch alles gut funktioniert. Ich genieße meinen „Beruf“, den man vielleicht gar nicht so nennen sollte. Allen Menschen würde ich empfehlen, Dinge zu tun, die einem gut gefallen. Das hält fit! Ich bin so beschäftigt, dass der Tod mich nicht finden kann.

 

(Lacht) Die Bewegung – mental wie physisch – ist für Sie elementar?

Statt einer Antwort kann ich eine Geschichte erzählen: Vor ein paar Tagen hatte ich ein Gespräch mit zwei Damen über Gesundheit. Eine davon war Ärztin und sie wies darauf hin, wie wichtig das Wohlfühlen für die eigene Gesundheit sei. Eine der besten Altersvorsorgen ist, das zu tun, was einem gefällt.

 

Das Älterwerden beschäftigt Sie aber schon? Im Mai erscheint Ihr Buch „Solange es leicht ist. Geschichten über das Älterwerden“. Der Titel macht ja deutlich, dass Sie sich Gedanken übers Alter machen.

Ganz praktisch denke ich darüber nach. In der Nähe von Utrecht betreibe ich mit anderen lieben Leuten ein Kunstzentrum, das Alt und Jung zusammenbringt. Wir arbeiten dort mit Studenten zusammen. Dorthin kommen viele alte Menschen, die sich verschiedene Kulturveranstaltungen ansehen können, ohne dass sie dafür bezahlen. Bei diesen Konzerten vergessen diese Senioren etwas von der Einsamkeit, die sie sonst in ihrem Leben verspüren.

 

In der heutigen Zeit werden die Alten vielleicht abgehängt?

Da stimme ich Ihnen zu. Den jungen Leuten würde ich raten, sich mehr mit den alten Menschen zu beschäftigen. Von deren Erfahrungen können sie vieles lernen. Umgekehrt trifft das natürlich auch zu. 

 

In Deutschland hat man häufig den Eindruck, in den Niederlanden wäre alles happy & easy!

Es gibt Schattenseiten. Man kann viel aus der Geschichte lernen. Die wiederholt sich zwar nicht, aber kehrt ähnlich wieder. Es wäre dumm, nicht aus der Vergangenheit zu lernen. Wichtig ist es, kritische Fragen zu stellen. Daher finde ich, dass besonders an den Schulen und Universitäten das Thema nicht vergessen werden darf.

 

In Europa wendet sich gerade einiges zum Negativen!

Ja, denken Sie bloß an den Brexit! Da wird so viel Energie verschwendet. Bereits vor Jahren habe ich in einem Lied gesungen „Wolken stoppen nicht an Grenzen“ – Vögel auch nicht, auch kein Fluss. Ich kann nicht verstehen, wie sich Menschen mit solchen Abgrenzungen das Leben unnötig schwer machen?! Man sollte endlich lernen, dass uns Grenzen absolut nichts bringen. 

 

Einige Menschen denken das Gegenteil.

Ich finde, man muss immer im Dialog bleiben. Erklären und erklären. Ich weiß noch, als wir vor dreißig Jahren unterwegs waren, mussten wir an der Grenze nach Belgien zwei bis drei Stunden warten, um unseren Reisepass zu zeigen. Das ist heute nicht mehr vorstellbar! Dennoch gibt es Menschen, die das wiederhaben wollen. Die Mauer gibt es doch auch nicht mehr. Aber in den Köpfen finden wir noch viele dieser Wälle.

 

Sie meinen damit die „Flüchtlingskrise“?

Ja, das ist ein anderer Aspekt dieses Dilemmas: Welcher Mensch möchte schon freiwillig flüchten? Wer möchte sein Haus, sein Land oder seine Umgebung verlieren?

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Da gibt es Gründe für!

Genau. Wir befinden uns immer noch in einer postimperialistischen Epoche. Dieses schwere Erbe schleppen wir bis heute mit uns herum. Allein die Grenzen in Afrika sind willkürlich von den Kolonialisten gezogen worden. Horizontal und vertikal haben die das Gebiet aufgeteilt, indem sie gerade Linien auf der Karte einzeichneten. Sie nahmen keine Rücksicht auf die Menschen, die dort lebten.

 

In Ihrer Kunst wirken diese Themen gar nicht so schwer. Oder täusche ich mich da?

Keinesfalls. Ich versuche, in meinem Beruf schwere Themen so leicht, aber doch so objektiv wie möglich zu beschreiben. Im selben Moment bemühe ich mich, Erlebnisse so abstrakt wie möglich darzustellen, damit die Menschen die Chance erhalten, das auf ihre Situation zu übertragen. Ich bin Künstler ohne erhobenen Zeigefinger!

 

Komisch ist es dann trotzdem?

Klar. Ich kreiere Verhältnisse, die zum Lachen provozieren, aber nicht leicht sind. Das bringe ich auch auf der Bühne. Ich singe zum Beispiel ein Lied über die Themen, über die wir gerade gesprochen haben – und zum Schluss sage ich: „Wie auch immer es heiße/Einsamkeit ist scheiße“. Kein Mensch erwartet das!

 

Da muss ich jetzt auch lachen! 

Ja. Aber es ist ernst: Man soll sich nicht so sehr von ökonomischen Umständen beeinflussen lassen. 

 

Die wirtschaftlichen Gründe werden häufig verhüllt. Andere Rechtfertigungen werden vorgeschoben, wie die der Nation, Identität, Sicherheit und so weiter.

In einem Lied spreche ich das an. Ich singe: „Glaube, was offenbar ist.“

 

Bringen Sie diese kritischen Gedanken bei „Alfred J. Kwak“ unter? Auf den ersten Blick dreht es sich um eine Ente, die mal schöne, mal traurige Geschichten erlebt. Aber steckt da mehr dahinter?

Ja, auf jeden Fall! Jede der Geschichten behandelt eines der Kinderrechte. Also das Recht von Kindern auf Gesundheitsvorsorge, auf ein Haus, auf Begleiter, auf Unterricht. Ich habe es damals aber nicht extra erklärt. Das wäre zu pädagogisch geworden! Das sollte Unterhaltung sein. Heute kann ich in aller Ruhe darüber plaudern: Ja, ich verfolgte seinerzeit mit „Alfred J. Kwak“ einen Plan!

 

Heute ist vielleicht das Problem, dass Schule häufig mit Pflicht verbunden wird und daher langweilig ist!

Wichtig ist wie erwähnt, dass man Spaß bei seiner Tätigkeit hat. Es hilft nicht, wenn du zu etwas gezwungen wirst. Ich hatte das große Glück, dass meine Eltern mir immer schon Liebe geschenkt haben. Die kannst du quasi später an andere Menschen weitergeben.

 

Diese Liebe hält Sie sicher auch fit?

Ja. Wenn man überlegt, was zur Gesundheit gehört, ist es immer wichtig, wo du dich bewegst, wie du dich fühlst, wie du das Leben annehmen kannst. Wie viel leichter es auch fällt, eine Krankheit zu ertragen, wenn man sich in einer Umgebung aufhält, wo man gerne sein möchte. Das ist ungeheuer hilfreich. Wenn du etwas machst, was dich ausfüllt, hast du vielleicht gar keine Zeit für Krankheiten. 

 

Apropos Plan: Ihre Diskographie ist wahnsinnig umfangreich. Können Sie sich an die einzelnen Platten erinnern?

Ja. Wenn ich im Radio ein Lied von mir höre, öffnet sich eine Tür in die Vergangenheit. Das kann ich dann sehr gut visualisieren. Das Lied versetzt mich in Stimmungen zurück, die ich erlebt habe. Wie ein singendes Tagebuch. Sehr schön! Ab und zu muss ich auch aufschlucken und denke: Was hast du da denn gemacht? (Lacht)

 

Spielen Sie auf der Bühne auch altes Material?

Nein. Also wir spielen vor allem neues Material, zu Themen, mit denen ich mich aktuell beschäftige. Auf freundliche Bitte der Fans spiele ich hin und wieder eine alte Nummer, wenn mich das Thema anspricht.

 

Könnten Sie denn jeden Ihrer Songs einfach so spielen?

Nein. Leider ist vor ein paar Jahren mein sehr wichtiger Begleiter am Piano – Erik van der Wurff – verstorben. Viele dieser Lieder müsste ich A-Capella singen. In meiner Band spielen jetzt nur junge Leute, die von den alten Sachen nicht viel wissen. (Lacht) Wir müssten uns also hinsetzen und überlegen, ob wir das Stück in ein aktuelles Programm integrieren könnten.

 

Wie läuft denn die aktuelle Tour?

Ich muss sagen, dass es so schön ist. Ich genieße es. Die Sprache Deutsch finde ich ja wunderbar. Ich sehe all diese Menschen wieder, treffe die nach dem Konzert. Die Leute kommen mit ihren Kindern und Enkelkindern. Es ist eine sehr interessante Tour. Wir sind jetzt zwei Wochen unterwegs. Ich freue
mich riesig.

 

Sie haben gerade die Sprache erwähnt. Wie eng ist das Verhältnis zwischen Deutsch und Niederländisch?

Das stimmt. Ich kenne das von den skandinavischen Sprachen: Dänisch und Norwegisch kann ich sehr gut lesen, das verstehe ich teilweise auch gut. Es klingt total anders, wenn man es spricht. Wenn Deutsche Holländisch lesen, können sie ebenfalls Einiges verstehen, aber viele Wörter bedeuten etwas völlig Anderes. Das kann zu höchst merkwürdigen Situationen führen, die häufig auf unbequeme Weise lustig sind. (Lacht)

 

Stimmt! 

Abschließend möchte ich noch mit Ihnen über einen tollen Roman sprechen: „Der Golem“ von Gustav Meyrink. Diesen haben Sie im Deutschlandfunk als eine Ihrer Lieblingslektüren angegeben.

Das ist schon einige Zeit her, aber woran ich mich deutlich erinnern kann, ist, dass mich der Versuch fasziniert hat, einen künstlichen Menschen zu schaffen. Dieser soll noch besser als wir selbst sein. Ich verstehe nicht ganz, warum wir uns selbst nicht verbessern?

 

Woran mag das liegen?

Es ist ein bisschen wie Gott spielen. „Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbilde“. Was bringt einen Menschen dazu, von sich ein künstliches Ebenbild zu schaffen? Finde ich superspannend.

 

Wäre Science-Fiction also ein Thema für Sie?

Nein, da bin ich nicht der Künstler für. Ich bin ein Realist, möchte über Sachen schreiben, die ich erlebe. In der Zukunft lebe ich (noch) nicht. Das wären letztlich Hypothesen. Zwar lese ich gerne Romane, aber lieber noch Auto- und Biographien. Mich interessiert, welche Wege eingeschlagen, welche Entscheidungen getroffen, welche Schicksale durchlebt werden – von realen Menschen.

 

Mensch Herman, deine Antwort liest sich wie der Inhalt deiner Texte!

Ach, stimmt! (Lacht)

 

Vielen Dank. Tot ziens.

Gerne. Bis bald.

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INFO

Wird mit zunehmendem Alter jünger im Kopf. Tourt derzeit durch Mitteleuropa und kommt am 15. März auch nach Münster in die Halle Münsterland. Vormerken! Es lohnt aber immer wieder der Blick auf die anderen Künste wie Malerei und Literatur, denen Herman van Veen nicht minder leidenschaftlich nachgeht. Rückhalt findet er in seiner Familie. Kurzum: Diesem Mann wird so schnell nicht langweilig.

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Viele, viele weitere Infos zum Herman Van Veen erfahrt Ihr am besten hier:

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Autor Dominik Irtenkauf / Illustration Thorsten Kambach

Erstmalig erschien dieser Text in Stadtgeflüster Interview

März 2019

​Alle Rechte bei Stadtgeflüster – das Interviewmagazin vom

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