Chiara Kucharski spricht mit Fabian Dudek, wie man sich diese Arbeit konkret vorstellen kann
NIE WIEDER MONTAGS-BLUES – DER NEUE ARBEITSMODUS
Der Nine-to-Five-Job war gestern. Selbst der mittlerweile etwas in die Monate gekommene Begriff „Work-Life-Balance“ kann bei diesem neuen Modell nicht mehr so recht mithalten. Arbeitszeit soll kein Kontrastprogramm zur Lebenszeit sein: Was Fabian Dudek mit seinem Unternehmen „Glassdollar“ beweist, könnte in der Zukunft einiges an Strukturen revolutionieren: Die Beschäftigten können grundsätzlich arbeiten wie, wann und wo auf der weiten Welt sie es möchten. Der Jungunternehmer hat bereits ordentlich was auf die Beine gestellt und ist unter anderem für namhafte Großunternehmen tätig. Chiara Kucharski spricht mit Fabian Dudek, wie man sich diese Arbeit konkret vorstellen kann, welche Philosophien dahinterstecken und was dies für die Zukunft der Arbeitslandschaft bedeuten könnte.
In deinem Unternehmen kann man arbeiten, wo und wann man will. Kannst du kurz umreißen, was ihr macht?
Ja klar. Wir helfen, dass Start-ups und Unternehmen zusammenfinden. Wir unterstützen die etablierten Corporates, sich zu digitalisieren, Nachhaltigkeit voranzutreiben und ihre Produkte mithilfe von Start-ups innovativer zu gestalten. Andersherum helfen wir Start-ups, Umsätze mit großen Firmen zu generieren.
Wie kann man sich das vorstellen?
Wenn eine große Autofirma sagt, sie möchte kein Leder mehr verwenden, und es gibt von Start-ups passende Materialien aus Fischschuppen oder Pilzen, dann verbinden wir die beiden. Aber das beinhaltet auch Software und Drohnen, die helfen, das Inventar zu erfassen. Es geht also um Partnervermittlung bei Unternehmen.
Betrifft diese Arbeitsform alle in deinem Team oder nur bestimmte Tätigkeiten?
Genau, alle könne remote arbeiten. Dass wir remote arbeiten und diese Arbeitsweise möglich ist, hat viel damit zu tun, dass vieles digital läuft. Auch Corona hat uns, was das angeht, geholfen, weil viele Firmen nicht mehr erwarten, dass man sich persönlich trifft. Alles passiert jetzt eigentlich online. Zweitens muss man das „Arbeiten, wo und wann man will“ mit einem Zusatz verknüpfen.
Der wäre?
Beispiel: Es gibt ein Team, das verantwortlich ist für Nachhaltigkeit, Produktion etc. Dies bekommt Anfragen von den Kunden zugeschickt und diese Anfragen haben Deadlines. Das heißt, die Freiheit bei der Arbeit spielt sich innerhalb dieser Grenzen ab, die vom Kunden oder vom Markt aufgezeigt werden. Wir haben ein Team, das Services an Firmen vermittelt, um ihnen zu helfen, überhaupt ihre Kapazitäten auszubauen. Dann ist es deren Entscheidung, wann sie das tun und die Services vermitteln, aber es gibt einen Rahmen.
So.
Komplette Freiheit im Leben gibt‘s nicht. Aber was wir bei Glassdollar machen, ist, ein Umfeld zu schaffen, in dem jeder Mitarbeiter als Unternehmer agieren und seine Freiheit leben kann. Das bedeutet, du bekommst keine Aufgaben übermittelt, die du fertigstellen musst. Sondern du hast Systemverantwortlichkeit, zum Beispiel für Software oder Sourcing.
Wie sieht die Realität aus? Sagt man: „Ich beginne erst nachmittags“ oder macht man schon mal einen Monat Pause?
Beides ist möglich. Wir liefern diese Freiheit, aber viele nutzen sie am Anfang noch gar nicht.
Woran liegt das?
Weil sie ihr ganzes Leben lang zu den üblichen Arbeitszeiten gearbeitet haben und nie gelernt haben zu hinterfragen: „Wie viel war meine Arbeitszeit jetzt eigentlich wert?“ Einige sagen, sie sind drei Tage nicht für Meetings verfügbar, machen aber ihre eigenen Sachen. Andere machen einen extremen Sprint, bauen ein neues Produkt innerhalb von einem Monat, und den Monat danach lassen sie es ruhiger angehen. Das ist okay, weil niemand auf die Stunden guckt, sondern auf die Resultate, die kreiert werden.
Wie wirkt sich das auf die Bezahlung aus?
Jeder, der bei Glassdollar arbeitet, hat ein „Basis Income“. Wir nennen das nicht Gehalt, weil da etwas anderes mit verknüpft wird. Zusätzlich gibt es eigene Anteile am Unternehmen, die sich erhöhen, basierend auf dem Wert der geschaffenen Resultate.
Welche Vorteile, neben Zufriedenheit und Identifikation mit dem Unternehmen, hast du als Chef von diesem Arbeitnehmer-Konzept?
Absolut die zwei Punkte, die du genannt hast. Für mich persönlich noch viel mehr: Ich habe vorher eine Firma aufgebaut mit irgendwann zweihundert Leuten, da war sehr viel Management involviert. Es war unglaublich anstrengend und ich habe überhaupt nichts Neues mehr kreiert. Dieses Gefühl, dass ich dafür sorgen muss – monatsbezogen –, dass für alle am Ende ein Plus rauskommt. Gleichzeitig muss ich Druck ausüben, um andere dazu zu bringen, dass am Ende ein Plus herauskommt.
Das ist Stress, klar.
Aber auf diese neue Art und Weise kann gezeigt werden, dass jeder für seinen Bereich volle Ownership und Freiheit hat, seinen Bereich auszubauen. Das hat jede Menge Energie, die in jedem Mitarbeiter steckt, freigesetzt und ich kann mich auf meine eigenen Sachen konzentrieren. Das ist viel mehr ein Miteinander und ein ehrlicher Austausch. Philosophisch steckt dahinter, dass ich nicht glaube, dass man jemandem seine Kreationen abkaufen kann.
Nicht?
Natürlich kannst du Arbeitsleistung kaufen, aber hier ist das eher ein „partnerschaftliches Agreement“. Für mich bedeutet es, dass ein Teil des Unternehmens der Person gehört, die es kreiert hat, und die Person gleichzeitig merkt, dass sie Wert gestiftet hat. Und dass es an den Kreationen hängt und nicht an der abgesessenen Arbeitszeit.
Bist du mit dem Vertrauen in deine Mitarbeiter schon einmal auf die Nase gefallen?
Mhm … also ich glaube, nicht jeder kann in dieses Glassdollar-System geschmissen werden, fühlt sich da wohl und ist erfolgreich. Hier sind viele Leute, die vorher ihre eigenen Unternehmen hatten. Sie möchten gerne weiterhin selbstständig arbeiten, wollen aber nicht mehr das gesamte Risiko tragen. Auf die Nase gefallen … ja. Hier ist eigentlich niemand in diesem System, der nur so viel machen möchte, wie nötig ist. Aber es gibt Leute, die sind einfach noch nicht so weit auf ihrem unternehmerischen Weg.
Was heißt das dann?
Meistens finden diese Leute das selbst heraus, gerade weil wir allen so viel Eigenverantwortung geben. Einer ist hier im Marketing gestartet, der dann gemerkt hat, dass ihn Design viel mehr interessiert. Er ist dann noch mal an die Uni gegangen. Was ist denn das Spiel, das ich im Leben spielen möchte? Wo ich am meisten Wert generiere? Das im Job herauszufinden, da haben viele bislang keine Gelegenheit zu.
Kann man grob definieren, wann die Leute am produktivsten arbeiten und wann sie sich gerne freinehmen?
Das ist sehr unterschiedlich. Letzten Dezember gab es Folgendes: „Liebes Team, wir haben super hart gearbeitet und es ist viel entstanden. Um auch wieder gut in das nächste Jahr zu starten, bekommen jetzt alle einen Monat frei.“ Die meisten fanden das gar nicht so gut. (lacht) Natürlich gibt es bei Glassdollar auch Work-Addiction, ich bin da, glaube ich, auch ein Teil von. Das Kuriose ist tatsächlich, dass wir Hilfestellung bieten müssen, dass Leute sich freinehmen, weil überhaupt nicht zur Debatte steht, ob Burn-out oder Urlaub.
Gibt es Nachteile wie, dass man Leute nicht erreicht, die gerade irgendwo in der Weltgeschichte umhertingeln, oder Büros nicht beziehbar sind?
Wir haben uns vielmehr Gedanken gemacht, wie das digitale Büro aussehen soll. Wo man seine Informationen und Zugänge bekommt. Das funktioniert schon sehr gut, aber ich bin auch sicher, dass wir da noch Riesenfortschritte sehen werden. Remote Work allein reicht zwar nicht, aber wir wollen jedem möglich machen, von jedem Ort und zu jeder Zeit aus arbeiten zu können. Jedoch wollen wir auch Zeit gemeinsam verbringen.
Wie sieht das dann aus?
Anfangs haben wir auf Mallorca für sechs Monate ein Haus gemietet, wo dann einige die gesamte Zeit dort gearbeitet haben oder mal für ein paar Wochen hingekommen sind. Mittlerweile haben wir zwei Dinge: Zum einen kann jeder sich ein Airbnb überall auf der Welt mieten und Glassdollar zahlt fünfzig Prozent der Kosten, um die Möglichkeit zu geben, überall ein Büro aufmachen zu können, solange man Internetzugang hat.
Okay.
Zum anderen weil ich auch diesen persönlichen Touch mit den Leuten brauche, ist der Plan, eine Art Eco-Village zu bauen, wo man physisch die Glassdollar-Kultur erleben kann. Permakultur wird ein Thema sein. Etwas, wo man sich spontan einbuchen kann mit dem jeweiligen Team, aber auch um mit anderen Teams zusammenzuarbeiten. Die Infrastruktur ist dann schon gelegt.
Kann man benennen, wo die Leute am liebsten arbeiten? Ist das, weil von euch angeboten, Mallorca?
Mallorca ist schon die Top eins. Ansonsten: Süden! Der Großteil unseres Teams am Anfang war in Berlin und viele kommen nach Mallorca, weil es hier eine gute Infrastruktur gibt und einige Teammitglieder hier leben. Auch Portugal, Italien, Griechenland, Spanien sind beliebte Arbeitsorte. In Malaga gibt es viele „Digital Nomads“, der Mensch braucht Sonnenschein. Der nördliche Teil zeigt, man braucht schönes Wetter vielleicht nicht zum Überleben, aber für ein glückliches Leben hilft Sonnenschein auf jeden Fall sehr. Diese Freiheit nutzen tatsächlich auch alle sehr.
Würdest du sagen, dein Modell lässt sich auch auf weitere Branchen übertragen?
Zu hundert Prozent. Ich glaube, das herkömmliche Arbeiten wird über kurz oder lang vom Markt verschwinden. Jeder Mensch, vor allem die neuen, jüngeren Generationen suchen eine andere Verbindung zu ihrer Arbeit. Es soll kein Kontrast mehr zum eigentlichen Leben sein. Ich bin da sehr sicher, dass die Firmen, die es nicht machen werden, das eigentliche Talent der Mitarbeiter nicht akquirieren und daher irgendwann keine Rolle mehr spielen werden.
INFO
Fabian Dudek
Er ist Unternehmer und Macher des Start-ups Nestpick, das mit dem Beteiligungsunternehmen Rocket Internet expandiert ist. Durch den Firmenverkauf nahm er sich eine Auszeit und gründete vor drei Jahren das Glassdollar-Unternehmen mit Sitz in Berlin. Er entwickelte es mit einer ausgewogenen Arbeitsphilosophie weiter. Glassdollar ist eine Start-up- und Inverstoren-Suchmaschine und besteht aus rund dreißig Mitarbeitern. Mittlerweile lebt und arbeitet Fabian überwiegend auf Mallorca oder wo es ihm gerade passt.
Autor Chiara Kucharski / Illustration Thorsten Kambach / Fotos Pressefotos
Erstmalig erschien dieser Text in Stadtgeflüster Interview Juni 2022
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