Arndt Zinkant befragt Münsters neue Theater-Intendantin Dr. Katharina Kost-Tolmein
VORHANG AUF –
WIR SPIELEN!
Es war ein Stafetten-Wechsel, der quasi nicht im sicheren Hafen, sondern auf stürmischer See stattfand: Mitten in der Corona-Pandemie wechselte die Intendanz im Theater Münster von Ulrich Peters zu Katharina Kost-Tolmein. Wie ihr Vorgänger kommt sie aus der Musikwissenschaft, und die Oper ist ihr Fachgebiet. Ein besonderes Anliegen ist der neuen Chefin die Verzahnung der drei Theatersparten. Auf welche Neuerungen und Stücke sich die Theaterfreunde noch freuen dürfen, erzählt sie im Interview.
Die meisten Leute, die nach Münster ziehen, haben Klischee-Bilder im Kopf. Was sind Ihre?
Fahrräder, Tatort, Prinzipalmarkt, Kirchen (lacht). Außerdem kann ich mich an eine tolle Meistersinger-Aufführung erinnern, die vor Jahren mitten über den Prinzipalmarkt zog. Eine tolle Stadt mit einem Theater, das etwas wagt.
Unser Theater gilt seit seinem Bau in den 50er Jahren als Architektur-Leuchtturm. Was haben Sie darüber hinaus Besonderes festgestellt?
Das Äußere ist gar nicht so unwichtig: dass man einen Theaterbau hat, der mit seinen Glasfassaden Offenheit kommuniziert. Das ist nicht nur etwas für die Architektur-Geschichtsbücher – wer hierher kommt, sieht sofort, dass dieses Haus Potenzial hat. Das Theater hat sich in den letzten 50 Jahren entwickelt, ebenso wie der Rest der Welt. Deswegen platzt es jetzt auch einfach aus allen Nähten. Ich freue mich, dass durch Umbaumaßnahmen alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Zukunft besser untergebracht sein werden.
Ein kniffliges Thema ist auch das hiesige Publikum. Es gilt als treu und begeisterungsfähig, aber nicht als neugierig auf Experimentelles. Wie würden Sie damit umgehen?
Immer wieder versuchen, Neugier zu wecken. Ich glaube auch nicht, dass es „das Publikum“ als solches gibt. Die Menschen sind verschieden und werden immer noch vielfältiger. Es ist Aufgabe des Theaters, alle immer wieder neu zu gewinnen: Die Erfahrenen, die das Gefühl haben, alles schon zu kennen – und auch jene Gruppe von Leuten, die hier wohnen, aber aus irgendeinem Grund noch nicht ins Große Haus gefunden haben. Obwohl das Theater durchaus etwas für sie wäre – sie haben es nur noch nicht gemerkt! Wir sind ein Haus mit breitem Angebot. Das reicht in einer Universitätsstadt von den ganz zugespitzten, intellektuellen Produktionen bis hin zu leichter zugänglichen Stoffen. Besonders schön finde ich, wenn ganz verschiedene Wahrnehmungen derselben Sache möglich sind. Der eine kann seinen intellektuellen Höhenflügen frönen, während der andere einfach nur einen schönen Abend hat. Das geht!
Diese Einstellung setzt sich immer mehr durch – Kultur soll allgemein zugänglich sein. Der berühmt-berüchtigte Burgtheater-Chef Claus Peymann bekannte sich dagegen zum Elitären: „Theater ist immer nur für Wenige!“
Da war wohl auch viel Koketterie dabei, denn jeder Theatermensch freut sich, wenn ihm andere Beachtung schenken. Es gibt eben die verletzlichen Künstlerseelen, die aus Angst vor Zurückweisung sagen: „Ich will gar nicht jeden bei mir haben.“ Dabei waren Theater schon immer große öffentliche Institutionen – für alles andere wäre es auch zu teuer. In der Antike oder bei Shakespeare boten Theater große Räume, wo viele verschiedene Menschen zusammenkamen und jeder etwas anderes mit nach Hause nahm. Man muss auch nicht immer alles verstehen (lacht). Verstehen ist zwar schön, aber nicht das einzige, was Spaß macht. Man darf auch einfach mal genießen.
Die Frage des Sinnlichen stellt sich besonders in der Oper. Oft habe ich jedoch das Gefühl, die Musik zielt auf den Bauch, und der Kopf wird die ganze Zeit durch intellektuelle Regie-Details abgelenkt.
Einfach mal auf sich wirken lassen! Das Zeichenhafte auf der Bühne muss nicht unbedingt eins zu eins entschlüsselt werden. Die einen sind durch die Welt des Digitalen ungeheuer schnelles Tempo gewöhnt, die anderen empfinden genau dasselbe als Reizüberflutung.
Die Oper ist ja Ihr eigentliches Fachgebiet – und als erste Produktion haben Sie sich Ernst Krenek ausgesucht. Der ist ja nicht gerade Puccini!
„Leben des Orest“ ist zwar nicht so sehr bekannt, bietet aber viel zugängliche Musik. Krenek hat es zu einer Zeit geschrieben, als man sich fragte, wie es mit der Oper weitergehen sollte: Wird es immer elitärer und abgehobener? In dem Stück gibt es durchaus viel Opulenz, sogar revuehafte Unterhaltungsmusik mit Tanz. Ein richtig saftiges „Stück Fleisch“, das Spaß macht. Natürlich hört man moderne Passagen, die das Entstehungsjahr 1930 verraten. Gleichzeitig wird eine Geschichte behandelt, die wir auch im Tanz oder im Schauspiel wieder aufgreifen. Derselbe Stoff wird ja später dann mit Strauss‘ „Elektra“ wieder auf die Bühne kommen. Diese Geschichte reflektiert auch einen Generationenwechsel – wir wollen aufgreifen, wie fatal es ist, wenn eine Generation den Fluch der Vorhergehenden ausleben muss. Das wird sich als roter Faden durch die ganze Spielzeit ziehen.
Sie haben jüngst angekündigt, dass Sie die drei Sparten miteinander verzahnen wollen. Das stelle ich mir sehr schwierig vor.
Das ist von der Disposition her in der Tat schwierig, weil natürlich jede Sparte ihren ganz eigenen Ablauf hat. Man muss es wirklich wollen, und zum Glück wollen es auch tatsächlich alle im Haus. Wirklich schwierig wird‘s erst, wenn es sich um ein dezidiert spartenübergreifendes Stück handelt, wie zum Beispiel das mit dem Text von Thomas Köck. Dies wird uns voll und ganz fordern, weil dann ein Stück entsteht, das tatsächlich für Schauspiel, Tanz, Chor und Orchester konzipiert ist. Das Lohnende dabei ist, dass man wirklich viel voneinander lernt.
Der Intendanz-Wechsel hat ja im Schatten von Corona stattgefunden, was für alle Beteiligten sicherlich eine harte Belastung war. Wie ist das Theater nun aufgestellt?
Wir sind in den Startlöchern, und alle haben wirklich Lust, wieder loszulegen. Man merkt aber auch, dass die zwei vergangenen Jahre keine normalen waren. Wir haben jetzt hier eine Mitarbeiter-Mischung von Neulingen und Alteingesessenen. Sie alle müssen sich jetzt erst einmal kennenlernen und aufeinander einstellen. Aber: Wir sind ein Theater – am Abend geht der Vorhang hoch und wir spielen!
Wir müssen natürlich noch zum Thema ‚Geld‘ kommen. Herr Peters sagte, dass Wagner und Strauss schlichtweg nicht mehr zu finanzieren seien. Doch nun steht eine „Elektra“ auf dem Programm, und Wagner soll es auch noch geben. Haben Sie eine neue Geldquelle aufgetan?
Das leider nicht. Ich verstehe zwar vollkommen, was Herr Peters meinte, aber wenn man die Ressourcen richtig bindet, kann man so etwas eben doch stemmen. Ich komme ja gerade aus Lübeck und dort hat man besonders viele externe Geldquellen anzapfen können. Es ist die Stadt mit der größten Dichte an Stiftungen. Aber es fehlt dort die Universität. Es ist unglaublich schön, wieder in einer richtigen Universitätsstadt zu sein. Das gibt einer Stadt noch mal ein ganz anderes Gepräge.
Die Corona-Maßnahmen sind nun zum zweiten Mal zurückgefahren worden. Und es hieß schon davor, dass die Leute ganz ausgehungert nach Kultur seien. Merken Sie davon etwas?
Das ist unterschiedlich. Viele Menschen sind sozusagen noch im Schutzmodus. Auch im privaten Umfeld höre ich, dass es noch Ängste gibt, zur Normalität zurückzukehren. Ich selber bin auch eher sicherheitsbewusst. Aber wir wollen unbedingt spielen und sind in puncto Testen gut aufgestellt. Der Kultur-Hunger ist absolut vorhanden, man kann ihn an den Kassen-Schlangen ablesen.
Nun dräuen durch die Energiekrise schon wieder neue Wolken am Horizont. Wenn es den Leuten wirklich an den Geldbeutel geht, wird erfahrungsgemäß an der Kultur zuerst gespart.
Auch in diesem Punkt sind die Menschen verschieden. Ich glaube, es gibt viele, die sich gerade dann überlegen: Was ist wirklich wichtig? Und sie stellen fest, das Leben ist jetzt – man kann es nicht verschieben. Auch das ist eine Grunderfahrung der Pandemie: Carpe diem! Theater haben in Krisenzeiten oftmals keineswegs am Boden gelegen. Gerade dann will man mal etwas Besonderes erleben und nicht nur das graue Einerlei des Alltags. An der Stelle muss auch mal gesagt werden, dass die Preise eines öffentlich finanzierten Theaters ja moderat sind. Man muss kein Krösus sein.
...was natürlich auch an der Subventionierung liegt.
Das Wort hören wir nicht so gerne. Theater sind einfach öffentlich finanziert – genau wie zum Beispiel Straßen. Das Gemeinwesen hat sich darauf geeinigt, beides zur Verfügung zu stellen. Es ist nicht so, dass ein Theater erhoffte Gewinne nicht erwirtschaftet und deshalb subventioniert würde. Eine Gewinn-Absicht ist gar nicht vorhanden. Man kann das nicht als Bilanz aufrechnen. Was wir machen, landet in den Herzen und Seelen der Menschen. Andererseits hängen am Theater durchaus noch wirtschaftliche Faktoren, zum Beispiel ein anschließender Restaurantbesuch.
Das bringt uns zu einem andern Punkt: Sie streben ja eine reichhaltigere Theater-Gastronomie an und wünschen sich ein Theater, das quasi immer geöffnet ist.
Diesen Traum teile ich mit vielen anderen. Wir finden jetzt gerade heraus, warum es bislang noch nicht so ist. Es gibt schon andere Häuser, die über längere Öffnungszeiten und eine durchgängig geöffnete Gastronomie verfügen. Zum Beispiel sitzen dann quasi Unbeteiligte im Theaterrestaurant und sehen am Nebentisch vielleicht einen Schauspieler oder Leute, die gerade aus der Vorstellung kommen. Auch auf diese Weise wird Neugier geweckt.
Letzte Frage: Haben Sie ein künstlerisches Credo?
Nicht im wörtlichen Sinne. Ich betrachte uns als einen herausgehobenen Ort, der Gott sei Dank der Logik der Welt nicht ganz folgen muss. Aber dennoch arbeiten wir ganz dicht an diesem Puls.
INFO
Dr. Katharina Kost-Tolmein
Sie stammt aus Ludwigshafen. Die promovierte Musikwissenschaftlerin ist besonders im Opernfach zuhause und wird im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Dr. Ulrich Peters nicht Regie führen. Sie ist Dramaturgin – so auch bei ihrem ersten Münster-Stück „Leben des Orest“. Von 2013 bis 2020 war Katharina Kost-Tolmein Operndirektorin am Theater Lübeck.
Autor Arndt Zinkant / Illustration Thorsten Kambach / Fotos Armin Zedler
Erstmalig erschien dieser Text in Stadtgeflüster Interview September 2022
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