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David Olef spricht mit David Gruschka über bewegendes (Jugend-)Theater

ALLES ANDERE ALS BANAL

Kinder- und Jugendtheater, das politische und gesellschaftliche Themen aufgreift und die jungen Menschen miteinbezieht. Mit diesem Ziel gründeten Nina Krücken und David Gruschka vor elf Jahren das echtzeit-theater und inszenieren seitdem verschiedene Stücke und Projekte in Münster, mit denen sie auch deutschlandweit touren. Zum Jubiläum lädt das Kollektiv zu einem Tag in die Heimspielstätte, das Theater an der Meerwiese, ein und zeigt bis Mitte Dezember verschiedene Produktionen aus dem Repertoire. Es wäre jedoch nicht „echtzeit“, wenn nicht auch zu der eigenen Feier Projekte mit viel Liebe zum Detail und Tiefgang realisiert werden würden. 

Herzlichen Glückwunsch David zu diesem kuriosen Jubiläum: Elf Jahre „echtzeit-theater“!

Ja, eigentlich ist es auch mal ganz schön, nicht nur die Standard-Jahreszahlen zu hören. Allerdings muss ich zugeben, dass die Feier schon letztes Jahr stattfinden sollte. Dort hatten wir allerdings dann mehrere Premieren, die sich während Corona „aufgestaut“ hatten, sodass wir es verschieben mussten.

 

Aber eine Schnapszahl ist zumindest mal eine Abwechslung.

Eine Abwechslung auf jeden Fall! Trotzdem glaube ich nicht, dass wir unser 23- oder 17-jähriges Bestehen auch so feiern werden (lacht).

 

Kommen wir direkt mal zu deinen Anfängen. Wann war es klar für dich, dass du Theater machen willst?

Ehrlich gesagt habe ich schon in der Schulzeit angefangen, Stücke zu schreiben, die wir dann teilweise in der Pause eingeübt haben. Außerdem habe ich immer gerne Theaterstücke besucht. Mein ursprünglicher Plan war es auch, nur auf der Bühne zu stehen und zu spielen. Letztlich bin ich aber aus dem Wunsch heraus, mit jungen Menschen zu arbeiten, in der Theaterpädagogik gelandet. Jetzt mache ich alles: Spiel, Inszenieren und mit jungen Menschen arbeiten.

 

Im Studium begannen dann die Pläne für ein eigenes Theaterkollektiv?

Genau, dort habe ich Nina Krücken kennengelernt und wir haben gemeinsam Pläne für ein Ensemble geschmiedet. Unsere erste Produktion „Hänsel und Gretel – Zusammen allein unterwegs“ ist direkt nach dem Studium im Jahr 2011 entstanden. Das war die Gründung von „echtzeit“.

 

Beim Blick in euer Programm entdeckt man viele Stücke, die sich mit gesellschaftlichen Themen wie ‚Fake-News‘ oder ‚Geschlechterrollen‘ auseinandersetzen. Ist das schon politisches Theater?

Politik oder politische Entscheidungen beeinflussen natürlich das Leben von jungen Menschen. Insofern ist diese Komponente immer ein Teil unserer Stücke. Wir versuchen aber vor allem Themen herauszusuchen, die nah dran sind und junge Menschen interessieren. Dafür arbeiten wir auch oft mit Patenklassen zusammen, sodass wir eine Auswahl an Themen zusammenstellen. Wir wollen dabei aber alles andere als banal sein. 

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Wie verhindert man Banalität oder den Eindruck, nur zu belehren?

Ich denke, alle unsere Stücke erlauben unserem Publikum, eine eigene Lesart zu entwickeln. Im Stück „Das schaurige Haus“ haben wir zum Beispiel versucht, das Thema des Fremdseins an einem Ort darzustellen. Wir wollten jedoch keine Menschen unterschiedlicher Nationalitäten zusammentreffen lassen. In der gleichnamigen Romanvorlage bietet die Autorin Martina Wildner eine sächsische Familie an, die nach Südbayern zieht. Das hat uns als Ausgangspunkt gefallen. Übrigens ein tolles Jugendbuch!

 

Es soll also kein Thema einseitig behandelt werden?

Alle unsere Stücke haben eine Offenheit, die dem jungen Publikum erlaubt, eigene Schlüsse daraus zu ziehen. Wir versuchen immer, Interpretationsspielraum zu lassen und Themen aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Durch das Vermeiden von ganz klaren Botschaften sind wir hoffentlich auch nicht belehrend.

 

Was sind aktuell Themen, die in euren Inszenierungen im Mittelpunkt stehen?

Momentan haben wir drei Stücke mit dem Schwerpunkt ‚Mensch und Natur‘. Das hat natürlich den Hintergrund, dass so viele junge Menschen und Schüler sich in den letzten Jahren für den Klimaschutz engagiert haben und uns die Wichtigkeit dieses Themas kommuniziert haben. Zuletzt haben wir auch den klassischen Theaterraum komplett verlassen und nutzen für das Stück „Wilde Wege“ den Dyckburgwald. 

 

Auf eurer Webseite habe ich immer wieder das Stichwort ‚Nähe‘ gelesen. Wie versucht ihr, das umzusetzen?

Zum Einen versuchen wir, die räumliche Distanz zwischen Bühne und Publikum immer wieder aufzubrechen. Bei unserer interaktiven Rauminstallation „mikroGiganto“ (ab 22.10.22 in der Meerwiese) krabbeln die Kinder durch eine höhlenartige Kulisse und treffen dabei auch direkt auf Performer, was natürlich super nah ist. Dazu kommt noch einer der wichtigsten Punkte, der uns als Gruppe ausmacht: Wir versuchen nämlich einen Zugang und eine Nähe zu den Bühnenvorgängen herzustellen. Das heißt, wir verstecken nichts und produzieren möglichst wenig vor. 

 

Wie kann ich mir das vorstellen?

Ein konkretes Beispiel wäre das Schattentheaterstück „Ikar – Zu Wasser, zu Lande, in der Luft“ das Anfang November zu sehen ist (ab 4.11.22). Dort benutzen wir sehr viele Alltagsgegenstände, die sich durch die Darstellung als Schatten in etwas anderes verwandeln: Eine Küchenreibe wird zu einem Tunnel im Labyrinth. Wir haben uns dabei bewusst dazu entschieden, nicht hinter der Bühne, sondern von vorne die Schatten zu projizieren. Dadurch können die Kinder auch vieles zu Hause nachmachen und sehen live, wie die Dinge entstehen.

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In den elf Jahren hat sich insbesondere die jugendliche Welt durch Smartphones und Co rasant verändert. Kann Theater den Konkurrenzkampf gegen Netflix, TikTok und Co überhaupt gewinnen?

Ob wir den Konkurrenzkamp gewinnen können, weiß ich ehrlich gesagt nicht, aber ich glaube, wir sind nach wie vor in der Lage, eine andere Art von Erlebnis zu bieten. Ich hoffe einfach, dass wir unser Theater so machen, dass junge Menschen das Gefühl haben, sie spielen eine Rolle in dieser Welt. In unserem Theater sind die Schüler und jungen Menschen im besten Fall nicht nur Konsumenten; sie werden zu einem wichtigen Teil des Theaterereignisses. Das haben wir TikTok vielleicht voraus.

 

Hast du denn den Eindruck, dass sich euer Publikum in den elf Jahren stark verändert hat? Haben die jungen Menschen mehr oder weniger Lust auf Theater?  

Wie Corona sich ausgewirkt hat, kann ich ehrlich gesagt noch gar nicht einschätzen. Ansonsten richtet sich unser Programm ja hauptsächlich an sehr junge Altersgruppen, wo sich der Einfluss von den Medien noch in Grenzen hält. 

 

Gibt es auch Projekte von euch, die keinerlei gesellschaftliche Ebene haben, sondern nur der Unterhaltung dienen?

Eigentlich mag ich auch das total gerne, aber irgendwie machen wir das nicht (lacht), sondern wir versuchen inhaltlich und ästhetisch immer etwas Neues auszuprobieren. Reine Unterhaltung wäre mir, glaube ich, zu wenig, obwohl Theater natürlich Spaß machen soll!

 

Viele würden sich mit solchen Themen eher älteren Zielgruppen zuwenden. Warum macht ihr Theater für Kinder und Jugendliche? 

Ich glaube, dass Theater für junge Menschen über lange Zeit nur als Rückzugsort und Erschaffen von Kinderwelten verstanden wurde. Aus meiner Sicht kann Theater auch Dinge in Bewegung bringen. Es gibt auch eine starke Entwicklung dahin, jungen Menschen eine andere Art der Auseinandersetzung zu bieten.

 

Was macht denn besonders Spaß am Kinder- und Jugendtheater?

Das Feedback bei Kindern ist viel unmittelbarer. Diese Art von direkter Auseinandersetzung ist sehr spannend und meistens bei Erwachsenen so nicht gegeben. Die folgen den Verhaltensnormen im Theater. Kinder können sich auch richtig empören oder aufregen über bestimmte Figuren.

 

Nach den schönen Seiten des Theaters müssen wir auch über die unschönen Zeiten sprechen. Wie haben euch die Coronajahre betroffen?

Die meisten aus unserem Ensemble sind finanziell zum Glück gut durchgekommen, aufgrund der Förderprogramme. Ansonsten haben das Team und ich noch nie so viel gearbeitet wie in den letzten zwei Jahren.

 

Das überrascht mich ehrlich gesagt.

Es ist auch auf den ersten Blick unlogisch. Der Grund liegt darin, dass wir alle Aufführungen immer wieder neu geplant, organisiert und geprobt haben. Die ständigen Absagen waren dann natürlich frustrierend. Eigentlich war für viele die Luft schon raus, als es richtig wieder losging. 

 

Geht jetzt wegen der Energiekrise die nächste Sorge los?

Mittlerweile gewöhnt man sich ja ein wenig an die Dauerkrise. Meine Hoffnung ist dabei immer, dass Theater in solchen Zeiten auch eine Unterstützung und Dialog sein kann. Ansonsten haben wir aktuell keine eigene Räumlichkeit, weshalb wir zumindest in der Hinsicht keine höheren Kosten erwarten. 

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Als Gruppe seid ihr in ganz Deutschland und NRW unterwegs. Bleibt Münster trotzdem eure Heimat?

Definitiv. Wir kommen aus Münster und unsere Premieren sind auch immer im Theater an der Meerwiese. Das Jubiläum am 29.10. ist deshalb ein kleines Heimspiel.

 

Eine letzte Frage: Was wäre ein Projekt, das du auf jeden Fall mal inszenieren wollen würdest.

Ich würde unglaublich gerne etwas von Roald Dahl auf die Bühne bringen; der hat unter anderem Charlie und die Schokoladenfabrik geschrieben. Am liebsten „James und der Riesenpfirsich“.

 

Was ist besonders schön an den Büchern?

Ich mag den humorvollen Schreibstil und ich glaube, daraus könnte man ein sehr buntes und spannendes Stück machen.

 

Dann hoffe ich, dass das bald möglich wird. Vielen Dank für das Gespräch!

INFO

David Gruschka und Nina Krücken

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David Gruschka studierte Theaterpädagogik an der HS Osnabrück (Bachelor of Arts) und erwarb anschließend zusätzliche Kenntnisse in den Bereichen ‚Regie‘ und ‚Schauspiel‘. Zurzeit leitet er das Studiotheater („Burgtheater Lingen“) des Instituts für Theaterpädagogik der HS Osnabrück und ist als Dozent in den Lehrbereichen ‚Kinder- und Jugendtheater‘, ‚Schauspiel‘, ‚Regie‘ und ‚Kulturmanagement‘ tätig. 

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Nina Krücken studierte Visuelle Kommunikation in Aachen (Diplom) und Theaterpädagogik an der Hochschule Osnabrück (Bachelor of Arts). Seit 2007 ist sie freie Grafik- und Medien-Designerin, Schauspielerin und Theaterpädagogin. 

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Autor David Olef /  Illustration Thorsten Kambach / Fotos Thomas Mohn

Erstmalig erschien dieser Text in Stadtgeflüster Interview November 2022

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