Henrike Hartmann spricht mit Stefanie Hoffmann und Jan Baumann über Queersein in der katholischen Kirche
KIRCHE OHNE ANGST
Queer-Feindlichkeit, also die Ausgrenzung von Homo-, Bi-, Trans- und Intersexuellen Personen, ist innerhalb den Institutionen des christlichen Glaubens tief verwurzelt: So ist Sex zwischen zwei Männern im Buch Levitikus der Bibel als „todeswürdiges Verbrechen” gelistet. Im März 2022 endete der sogenannte „Synodale Weg”, ein Reformdialog der katholischen Kirche. Die letzte Vollversammlung beschloss, dass gleichgeschlechtliche Paare sich künftig kirchlich segnen lassen dürfen – bisher war dies untersagt. Einen Schutzraum finden christliche Queers aus Münster seit 1999 in der Queer-Gemeinde. Der Gottesdienst findet jeden zweiten Sonntag im Monat um 18:30 Uhr in der Krypta der St. Antoniuskirche statt.
Man findet queere Kirchengemeinden nur in acht deutschen Städten. Eine davon gibt es in Münster. Wie ist die Queer-Gemeinde Münster entstanden?
Stefanie Hoffmann: Es gibt keine Gründungsurkunde oder so etwas. Das Ganze ist 1999 gestartet, als sich einige wenige Menschen zusammengefunden haben, die Sehnsucht nach einem queeren Gottesdienst hatten. Relativ bald nach der Gründung hat das Bistum Münster der Queer-Gemeinde ein Eucharistieverbot erteilt. Aber das wurde nicht lange beachtet: Die Queer-Gemeinde hat trotzdem Eucharistie gefeiert. Im Laufe der Jahre sind unsere Gottesdienste immer öffentlicher und größer geworden.
Wie groß ist die Queer-Gemeinde Münster?
Jan Baumann: Das lässt sich gar nicht genau beziffern. Die Queer-Gemeinde ist eben kein eingetragener Verein mit Mitgliederzahlen, sondern ein loser Zusammenschluss queerer Gläubiger. Ich würde schätzen, dass etwa 70 Menschen an unseren Gottesdiensten teilnehmen.
Wie kann man sich einen ‚queeren’ Gottesdienst vorstellen?
Stefanie Hoffmann: Zu Beginn jedes Gottesdienstes gibt es immer den Impuls eines Gemeindemitglieds; dabei werden Inhalte aus dem Evangelium, Fürbitten oder andere christliche Texte mit queeren Themen verbunden. Genauso bringt auch der Priester in irgendeiner Weise queere Themen mit in die Predigten. Dabei wird auch auf queer-sensible Sprache geachtet! In den liturgischen Gebeten wird deutlich, wie offen die Priester gegenüber queeren Themen sind. Außerdem machen wir uns optisch erkenntlich durch Regenbogenfarben. Wir beleuchten den Altar zum Beispiel in Regenbogenfarben und haben eine Pride-Flag auf dem Boden liegen.
Nehmen nur queere Menschen an den Gottesdiensten der Queer-Gemeinde teil?
Jan Baumann: An unseren Gottesdiensten nehmen auch Menschen aus der normalen Gemeinde teil, die einfach am Sonntagabend vor Ort sind. Diese Menschen gehen nicht einfach weg, wenn sie unsere Regenbogenfahnen sehen. Sie nehmen sogar gerne an einem Gottesdienst teil, der einfach mal ein bisschen anders ist. Hier in der Kirchengemeinde St. Joseph Münster-Süd habe ich das Gefühl, dass wir als Queer-Gemeinde wirklich dazugehören und wertgeschätzt werden.
Sind die Priester selbst queer?
Stefanie Hoffmann: Nicht alle. Wir laden speziell Priester für unsere Gottesdienste ein, die wir schon jahrelang kennen und die unser Anliegen unterstützen möchten. Für uns ist es irrelevant, ob die Priester selbst queer sind oder nicht.
Sind das Anliegen zur Reformierung der katholischen Kirche, welche die Queergemeinde vertritt?
Jan Baumann: Wir vertreten keine offiziellen Thesen oder ein Manifest. Die Queergemeinde unterstützt im Großen und Ganzen die Anliegen des synodalen Weges, aber die Haltungen unserer Gottesdienstteilnehmenden sind ganz unterschiedlich. Manche haben vielleicht ein ganz traditionelles Bild von Kirche. Viele würden einen Aufbruch innerhalb der Kirche aber durchaus befürworten.
Warum braucht es extra Gottesdienste für queere Menschen?
Jan Baumann: Gleich und gleich gesellt sich gerne. Geteilte Erfahrungen oder Interessen verbinden; das sehen wir ja auch in Frauensportclubs, Karnevalsvereinen oder anderen Bereichen. Aber geteilte Erfahrung ist auch ein Schutzraum. Die Queer-Gemeinde ist ein Ort, an dem sich queere Christen, die nicht geoutet sind, frei bewegen können – ohne dass sie Angst vor Anfeindungen haben müssen. Hier können sie ganz sie selbst sein. Zu Gründungszeiten hat das eine besondere Rolle gespielt, denn da war die Ausgrenzung für queere Menschen innerhalb der katholischen Kirche noch viel größer als heute.
Habt ihr selbst solche Diskriminierungserfahrungen gemacht?
Jan Baumann: Ich persönlich habe keine Ausgrenzung erlebt. Das mag aber auch Glück und Zufall gewesen sein. Ich weiß, dass es vielen queeren Menschen mit Bezug zur Kirche anders geht.
Stefanie Hoffmann: Ich habe selbst auch noch keine negative Erfahrung aufgrund meines Queerseins mit der Kirche gemacht. Ich habe sehr lange bei einem kirchlichen Arbeitgeber gearbeitet und habe mehr oder weniger offen über meine Partnerschaft gesprochen. Viele kannten meine Frau auch. Als wir geheiratet haben, bekamen wir von der Geschäftsführung eine Glückwunschkarte, in welcher es hieß, dass sie sich sehr freuen und es schön wäre, wenn andere unserem Beispiel folgen würden. Das war eine wunderschöne Erfahrung.
Den kirchlichen Segen gab es aber wahrscheinlich zu dieser Zeit noch nicht für euch…
Stefanie Hoffmann: Doch, wir haben uns segnen lassen! Natürlich nicht offiziell. Aber ein befreundeter Priester hat uns im Rahmen einer katholischen Eucharistiefeier den Segen ausgesprochen.
Letztes Jahr gingen 125 queere Menschen mit ihren Diskriminierungserfahrungen innerhalb der katholischen Kirche an die Öffentlichkeit. Und nicht nur die „OutInChurch”-Kampagne bescherte der katholischen Kirche innerhalb der letzten Jahre Kritik.
Habt ihr euren Glauben da nicht schon mal in Frage gestellt?
Jan Baumann: Meinen Glauben habe ich nie in Frage gestellt. Ich denke, das kann ich auch gar nicht, weil der Glaube tief verwurzelt in mir steckt. Es gab Zeiten, in denen ich mit dem Gedanken gespielt habe, der römisch-katholischen Kirche den Rücken zuzukehren. Jedoch habe ich dann gesehen: Die römisch-katholische Kirche bewegt sich. Daher lohnt es sich für mich, dabei zu bleiben und zu kämpfen, damit sich die Kirche weiter bewegt!
Stefanie Hoffmann: Ich merke, dass es wichtig für mich ist, Mitglied der katholischen Kirche zu sein. Ich fühle mich dort beheimatet. Ich habe noch nie mit dem Gedanken gespielt, aus der Kirche auszutreten, aber natürlich wünsche auch ich mir Veränderung. Ich habe mit der Queer-Gemeinde zum Glück meine Nische gefunden.
Umgekehrt gefragt: Hat euch euer Glauben in eurem Queersein oder Outing geholfen?
Stefanie Hoffmann: Indirekt sicherlich. Ich habe mich so, wie ich bin, immer gewollt gefühlt. Sowohl von Gott gewollt, als auch von meinen Eltern. Diese ganze Atmosphäre, mit der ich aufgewachsen bin und mein Queersein entdeckt habe, hat dazu beigetragen, dass ich damit gut umgehen konnte.
Jan Baumann: Ich musste tatsächlich gerade etwas länger überlegen. Ich weiß nicht, ob mir das vorher so bewusst war, aber ich muss schon sagen, dass mein Glaube mir bei meinem Outing im Weg stand. Denn ich habe durch meinen Glauben nie die Erfahrung gemacht, dass es Homosexualität oder Queersein gibt. Im Religionsunterricht kam das niemals vor. Auch in den Gottesdiensten in meiner Heimat, in einem kleinen Dorf im Westerwald, kam Queersein niemals vor. Und wenn es dann vorkam, dann doch eher als nicht gewollt. Erst durch einen befreundeten Priester habe ich erfahren, dass sich das Queersein und Christsein nicht ausschließen. Er hat mir gesagt, dass ich so gut bin, wie ich bin.
Stößt euer Bekenntnis zum christlichen Glauben innerhalb der queeren Community auf Unverständnis?
Jan Baumann: Wir nehmen als Queer-Gemeinde am Münsteraner CSD teil. Dort wollen wir der queeren Community zeigen, dass sich queer sein und christlich sein nicht ausschließen. Wir erleben auf dem CSD in der Regel ein großes Interesse an der Queer-Gemeinde. Sogar von Leuten, die der Kirche eigentlich sehr fernstehen!
Was würdet ihr euch wünschen?
Jan Baumann: Ich persönlich hoffe inständig, dass sich in der Kirche noch mehr verändern wird: Dass auch Frauen in der Kirche die Möglichkeit bekommen, sich in allen Ämtern niederzulassen, dass jeder, der queer ist, auch in der Kirche die Chance hat, den Beruf auszuüben, den er möchte.
Stefanie Hoffmann: Ich würde mir auch wünschen, dass sich die Kirche ohne Angst durchsetzt und alle queeren Menschen mit der Kirche so positive Erfahrungen machen können wie ich.
Vielen Dank für das Gespräch!
Stefanie Hoffmann, 51 Jahre alt, ist Sozialarbeiterin und wohnt in Münster zusammen mit ihrer Frau und ihren zwei Hunden. 2002 nahm sie erstmals an einem Gottesdienst der Queer-Gemeinde teil. Seit 2017 engagiert sie sich ehrenamtlich für die Queer-Gemeinde.
Jan Baumann, 31 Jahre alt, ist Pflegefachkraft im Krankenhaus und lebt seit 2015 in Münster. Seit 2018 ist er engagiertes Mitglied der Queer-Gemeinde. Daneben sitzt er im Pfarreirat der Pfarrei St. Joseph Münster Süd, die gemeinsam mit den Queer-Beauftragten des Bistums eine queer-sensible Seelsorge entwickeln.
Autor Henrike Hartmann / Illustration Thorsten Kambach / Foto Quergemeinde