Dennis Kunert spricht mit Romy Hausmann über Poesie und echte Verbrechen
TRAU DICH WAS!
Die gefeierte Thriller-Autorin Romy Hausmann, die für die Netflix-Verfilmung ihres Bestsellers „Liebes Kind“ gerade mit einem Emmy ausgezeichnet wurde, wagt mit ihrem neuen Gedichtband „Princess Standard“ den Schritt ins Unerwartete. Im Interview erzählt sie unter anderem, warum wir uns von äußeren Erwartungen befreien sollten und wie eine alte Schreibmaschine therapeutisch wirken kann.
Wer ist Romy Hausmann?
Ganz unbescheiden? Ich wäre gerne der deutsche, literarische David Bowie! (lacht)
Na ja, der Erfolg gibt dir schon irgendwie recht.
Aber das zu behaupten, wäre wirklich vermessen. Bowie ist ein Gott! Aber behaupten zu können, ein Mensch zu sein, der einfach sein Ding macht und sich dabei immer wieder neu erfindet – das finde
ich toll! Ich bin Autorin und erzähle Geschichten auf allen möglichen Arten, die mir zur Verfügung stehen.
Wie bist du zum Schreiben gekommen?
Ich glaube, manche Dinge sind einem einfach gegeben, so wie manche Menschen von Natur aus blond sind. Und ich bin eine Geschichtenerzählerin, das war ich wohl schon immer. Überhaupt sind viele der Lebensläufe von AutorInnen sehr ähnlich. Oft waren es etwas schräge Kinder, die immer ein bisschen im Abseits standen. Bis sie irgendwann in eine Lebensphase kamen, in der sie Zeit fanden, längere Texte zu schreiben. Kein Witz, das ist wirklich oft die gleiche Vita. Und ich gehöre auch dazu.
Was hat dich als „schräges Kind“ in den 80er Jahren popkulturell geprägt?
Ich komme aus dem Osten, und wir haben vieles heimlich gemacht. Meine Eltern hatten irgendwo Schallplatten durch wilde Tauschgeschäfte bekommen, und ich erinnere mich noch gut an die erste Schallplatte meiner Eltern, die ich selbst gehört habe: Guilty von Barbra Streisand mit Barry Gibb. Ich werde das nie vergessen! Als ich vier Jahre alt war, habe ich diese Platte mit Woman in Love in mich aufgesogen.
Hattet ihr auch David Bowie?
(Lacht) Ja, der hat mich auch krass geprägt. Aber wir haben auch Westfernsehen geschaut und ich habe immer noch ein Faible für diese amerikanischen Soaps wie Denver Clan. Da wir sehr eingeschränkt waren, hat sich mir vieles in der Popkultur erst in den 90er Jahren geöffnet, als ich im Westen gelebt habe.
Nun bist du als Thriller-Autorin bekannt und sehr erfolgreich, aber dein aktuelles Buch Princess Standard ist ein Gedichtband. Das ist schon radikal anders.
Total. Ich bin im Thriller erfolgreich, warum sollte ich auf die Idee kommen, plötzlich etwas ganz anderes zu machen? Vor allem, wenn ich von vornherein weiß, dass ich damit nicht das verdiene, was ich mit dem Thriller verdiene. Ich bekomme auch nicht die mediale Aufmerksamkeit und die Reichweite bei den Lesern. Warum sollte ich mich auf einer alten Schreibmaschine (Anm. d. Verf.: aus den 60er Jahren, Typ „Princess Standard“ des Herstellers Auerbach) abmühen? Da sind wir wieder bei David Bowie oder überhaupt bei Menschen, die sich nicht den Regeln des Marktes unterwerfen. Ich möchte zeigen, dass es nicht immer um die harten Fakten geht, nicht um Kohle, Zahlen oder Standing. Es geht darum, dass Kunst einfach entstehen kann. Du fühlst etwas, du hast eine Idee und du setzt sie um, gegen eine Erwartungshaltung oder einen Druck von außen.
Am Anfang von „Princess Standard“ schreibst du, dass dich nach deinen Thrillern interessiert hat, wie sich echte Verbrechen anfühlen. Du hast dich intensiv mit einigen Verbrechen beschäftigt, ein Sachbuch darüber geschrieben und einen Podcast mit Mark Benecke gemacht. Aber am Ende standst du vor einem seelischen Abgrund ...
Ja, da habe ich zum ersten Mal verstanden, was ich mache. Ich hatte vorher drei Thriller geschrieben, aber das war Fiktion. Sie gehört mir, ich kann sie kontrollieren und als Autorin entscheide ich, was mit meinen Figuren passiert oder ob es ein Happy End gibt. Bei „True Crime“ kam ich zum ersten Mal an den Punkt, an dem ich nur zuhören und dokumentieren konnte. Aber ich konnte nichts ändern, weil es natürlich wahre Geschichten sind.
Gefühle sollte man nicht zensieren.
Ein Fall ging dir besonders nahe: der der 24-jährigen Australierin Phoebe Handsjuk, die 2010 unter mysteriösen Umständen ums Leben kam.
Für mein Sachbuch habe ich 2021 ihre Mutter Natalie kontaktiert und um ein Interview gebeten. Daraus hat sich eine E-Mail-Freundschaft entwickelt, und Phoebes Familie ist mir sehr ans Herz gewachsen. Aber auch hier konnte ich diese schreckliche Geschichte natürlich nicht umschreiben. Man ist hilflos, weißt du? Das hat mich wahnsinnig gemacht!
Wie hat es dich berührt?
Ich hatte damals auch angefangen, einen Roman zu schreiben, aber alles war so willkürlich, so egal. Ich war in meiner eigenen Zensur gefangen. Nichts, was ich schrieb, war gut genug für mich, und vieles war bedeutungslos. Ich fing immer wieder an und löschte es dann wieder. Ich konnte nicht weitermachen wie bisher, nachdem ich mich so intensiv mit den wirklichen Kriminalfällen beschäftigt hatte.
Bis du die alte Schreibmaschine auf einem Flohmarkt gekauft hast …
Ich habe darin eine Art Therapie gefunden. Wenn du auf der Schreibmaschine tippst, sind die Dinge auf dem Papier unveränderlich. Aber in einem positiven Sinn. Ich kann sie nicht mehr anfassen, ich kann sie nicht einfach löschen und von vorne anfangen. Das, was mich vorher bei True Crime so geärgert hat, dass ich Dinge aufschreiben musste, die auf ihre schreckliche Art unveränderlich waren, konnte ich jetzt in etwas Positives umwandeln. Ich habe die Gedichte aus Princess Standard getippt, sie sind da, und das Wichtigste: Sie dürfen da sein. Wir zensieren so oft unsere Gefühle und Gedanken und schämen uns für so vieles – das wollte ich nicht mehr.
Die Gedichte spiegeln deine innersten Gefühle und Gedanken wider. Warum wolltest du sie veröffentlichen?
Das war eigentlich nicht mein Plan. Ich dachte, ich schreibe die Gedichte nur für mich. Es gab auch nur das Typoskript und keine Kopien. Aber dann habe ich gemerkt, wie gut es mir tut, und ich dachte, vielleicht hilft es auch anderen.
Mit „wie gut es dir tut“ meinst du das Schreiben von Gedichten?
Nein, eher die Idee, etwas Unerwartetes zu wagen. Deine Gefühle nicht zu zensieren. Der Gedanke, den ich vermitteln möchte, ist: Steh zu dem, was du fühlst, auch wenn es negativ ist oder andere sagen: „Jetzt stell dich nicht so an!“ Doch, wenn du dich so fühlst, darfst du dich auch anstellen. Und das ist, abgesehen vom Inhalt der Gedichte, die Botschaft von Princess Standard: Du darfst fühlen und du darfst ALLES fühlen!
Warum hast du die Gedichte auf Englisch geschrieben?
Wie gesagt, ich hatte nicht vor, die Texte zu veröffentlichen. Wenn ich auf Deutsch schreibe, habe ich unzählige Synonyme für ein Wort. Ich fange automatisch an zu überlegen, ob zum Beispiel eine Metapher besser ist oder den Text runder macht. Im Englischen, das ich zwar gut spreche, aber nicht meine Muttersprache ist, nehme ich das erste Wort, das mir einfällt. Und das entspricht auch eher diesem Grundgedanken, dass das, was ich tippe, unveränderlich auf dem Papier steht und unzensiert bleibt.
Deine Angst ist eine Wolke und zieht vorbei.
„Princess Standard“ liegt auch eine CD und ein Link zur Vertonung einiger Gedichte mit der Indie-Pop-Band Fortuna Ehrenfeld bei. Warum hast du die Lyrik vertont?
Musik ist für mich sehr wichtig. Ich finde, dass Autor-Innen eigentlich nur Musiker sind, denen das Talent komplett fehlt. (Lacht) Ich hätte selbst immer gerne Musik gemacht, aber ich kann kein Instrument spielen und auch nicht singen. Das kann man bei mir wirklich vergessen. Aber ich bin extrem musikaffin und habe immer Soundtracks für bestimmte Lebensphasen. Bei meinen Lesereisen hatte ich auch einen Musiker dabei, der speziell für diese Veranstaltungsreihe Musik komponiert hat. So wurde das geschriebene Wort durch die Musik auf eine andere Ebene transportiert und anders erfahrbar gemacht. Nun hatte ich mich bei den Gedichten entschieden, auf Englisch zu schreiben, und theoretisch könnten das Menschen auf der ganzen Welt lesen. Andere wiederum nicht, wie meine Mutter, die kein Englisch spricht. Das heißt, diejenigen, die ich durch die Sprache vielleicht ausschließe, kann ich durch die Musik wieder reinholen.
Und wie kamst du mit Fortuna Ehrenfeld zusammen?
Ich kenne Martin Bechler, den Kopf der Band, schon länger und ich liebe die Musik und Texte der Gruppe. Martin ist ein toller Typ und eines Tages habe ich ihn angerufen und zum Essen eingeladen. In Wirklichkeit hatte ich eine Mission und die Gedichte schon in der Tasche. (Lacht) Irgendwann habe ich ihm beim Essen gesagt, dass ich ihm gerne etwas zeigen würde, weil ich Gedichte schreibe. Und ich bemerkte sofort, wie er mit dem Sushi zwischen den Stäbchen erstarrte. „Gedichte?“ „Ja, und zwar auf Englisch“. Das Sushi schwebte weiter vor ihm. „Und ich möchte sie vertonen und selbst einsprechen.“ Ich konnte sehen, wie er dachte: „Bitte frag mich jetzt nicht, ob ich die lesen will.“ Und ich sagte: „Ich habe sie mitgebracht und möchte, dass du sie dir ansiehst.“ „Oh, Romy, nein.“ Er hatte einfach Angst, dass ich auf den amerikanischen Plüsch-Poetry-Trend aufspringe, nach dem Motto: „Deine Angst ist eine Wolke und zieht vorbei“, und er mir sagen muss, was das für ein Mist ist. Aber dann habe ich seine Rechnung für das Sushi übernommen, unter der Voraussetzung, dass er die Gedichte liest.
Wie war seine erste Reaktion?
Er hat die Gedichte verstanden und direkt gesagt, dass wir daraus kein Hörbuch machen dürfen, sondern direkt „auf die Zwölf“ gehen müssen.
Ab Februar gehst du mit Fortuna Ehrenfeld auf eine kleine Tournee durch neun Städte. Hast du schon eine gewisse Distanz zu den Texten, wenn du sie auf der Bühne vorträgst, oder bist du noch emotional involviert?
Beides. Bei manchen Gedichten denke ich an den Moment zurück, in dem ich das getippt habe. Warum habe ich das geschrieben oder wer hat mich auf diesen Gedanken gebracht? Und bei besonders schmerzhaften Erinnerungen finde ich es interessant, dass ich sie jetzt anschauen kann und meinen Frieden damit habe. Das ist wirklich schön! Aber die Auswahl der Gedichte, die vertont wurden, hat Martin getroffen. Insofern haben meine Texte bei ihm etwas aktiviert, um die Musik entsprechend umzusetzen.
Du bist die erste Emmy-Preisträgerin, mit der ich spreche. Deshalb muss ich dir unbedingt die folgenden Fragen stellen: Werden gute deutsche Serien nur noch von Streamern produziert? Und können die Öffentlich-Rechtlichen nur noch Tatort?
Du wirst lachen, eigentlich sollte die Serie „Liebes Kind“ an einen öffentlich-rechtlichen Sender gehen. Ich kann dir gar nicht genau sagen, was passiert ist. Aber ich hatte zusammen mit der Regisseurin Isabel Kleefeld und dem Produzenten Tom Spiess ein Treatment für die Serie geschrieben. Ich sage jetzt nicht, welcher, aber ein öffentlich-rechtlicher Sender hat das Treatment zuerst bekommen. Ich kenne keine Details, aber irgendwann hieß es, die sind nicht mehr dabei, und die nächste Nachricht, die ich bekam, war, dass Netflix es macht. Das war natürlich total „okay“ für mich. (Lacht)
Eine letzte Frage: Im Sommer erscheint dein neuer Thriller. Schreibst du ihn auf der Schreibmaschine?
Ich bin wieder zum Laptop zurückgekehrt. Es ist ein bisschen aus dem Ruder gelaufen und es wird ein sehr langes Buch werden. Du musst wissen, meine Schreibmaschine ist so ein altes Ding aus den 60er Jahren. Und weil die mega schwergängig ist, tippst du nur mit einem Finger und musst richtig viel Kraft auf die Tasten ausüben. Danach tut dir alles weh! (Lacht)
Romy Hausmann
Romy Hausmann ist eine deutsche Schriftstellerin, die vor allem durch ihre Psychothriller bekannt wurde. Ihr Debütroman Liebes Kind wurde ein Bestseller und international erfolgreich. Ab Februar geht sie mit ihrem Gedichtband Princess Standard und der Band Fortuna Ehrenfeld auf Tour.
lllustration Dennis Kunert / Fotos Astrid Deckert