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2022-11-07 Stadtgeflüster Illustration Ekki kurz.tif

Peter Sauer spricht mit Phil Seeboth über Donnerschläge, Zwangsarbeit und Bigfoot

ZUM GLÜCK NICHT MIT SIDOS MUSIK AUFGEWACHSEN

Phil Seeboth ist waschechter Münsteraner, hat aber schon von seinem Opa den Blues in seinen Genen. Der arbeitete auf den Baumwollplantagen in Louisiana, der Keimzelle des Blues. Phil stellt am 21. Februar mit „Shadow Man Blues“ sein neues Album vor. Die elf selbst komponierten und produzierten sehr stimmungsvollen Songs spannen einen weiten Bogen von Southern Rock über Country Blues bis Bluegrass.

Blues-Musik zählt in der Regel eher zur Erwachsenen-Musik, taucht so gut wie kaum in den aktuellen Charts auf. Phil, wann hat das bei Dir mit der Blues-Musik angefangen?


Früh. Schon in meiner Kindheit. Meine Eltern haben beide keine Schlager-Musik gehört, sondern Blues und Rock. Meine Oma Ilse hat Klavier gespielt. Das ist schon ein Unterschied zu anderen Menschen, die jetzt zum Beispiel mit der Musik von Rapper Sido oder anderen Leuten aufwachsen.


Welchen Einfluss hatte Dein Großvater Eugen auf Dich als Musiker?


Den größten. Durch ihn lernte ich den Blues kennen und lieben.


Wie kam das?


Mein Großvater Eugen Krol schwitzte sechs Jahre in den 1940er Jahren auf den Baumwollplantagen Louisianas.


Wie kam er als Deutscher dorthin?


Er war im Zweiten Weltkrieg im Afrikakorps unter General Rommel und kam als Kriegsgefangener in die USA. Er war ein Zwangsarbeiter. Als Feldarbeiter in Louisiana auf den Baumwollplantagen musste er Tag für Tag die gleiche harte Maloche machen, die die schwarze Bevölkerung dort auch gemacht hat. Er war dadurch sehr nah an der dortigen sehr einflussreichen Musikkultur dran, am bodenständigen und klassischen Blues und Jazz einer entbehrungsreichen, aber musikalisch sehr prägenden Zeit. Bei uns zu Hause gab es viele Fotos von ihm und die Musik jener Zeit.


Wann starb Dein Opa?


Mein Opa Eugen starb leider früh. Er starb, als ich sechs Jahre alt war.


Aber er blieb in Dir drin?


Ja, als ich mit zwölf Jahren anfing, Gitarre zu spielen, stand dann ganz klar der Blues im Mittelpunkt.


Wann war Dein erster Auftritt?


Mein erster Auftritt war 1995. Mit 15 Jahren. Ich trat als Mitglied der Schulband der Realschule Wolbeck auf – unter Leitung von Helmut Althoff, der mit seinem großen Engagement mir sehr viel gegeben hat. Dann folgten mehrere Auftritte, auch im Bahnhof Wolbeck.


Warum warst Du eigentlich am Ludwig-Erhard-Berufskolleg beim Berufsfeld „Wirtschaft und Verwaltung“?


Auf Wunsch meiner Eltern wollte ich etwas Vernünftiges machen. Also etwas mit Wirtschaft und Verwaltung. Aber das hat nicht so gefruchtet. Da habe ich es wieder abgebrochen.


Zurück zur Musik. Was sind Deine musikalischen Vorbilder?


Wegen des US-amerikanischen Gitarristen Mike Campbell von Tom Petty & The Heartbreakers spiele ich überhaupt Gitarre. Ich finde sein Spiel klasse. Das erste Gitarrensolo, das ich je nachgespielt habe, war von ihm, von Mike Campbell. Dann hat mich auch das freie Spiel von Forrest Richard „Dickey“ Betts (1943 – 2024) bei der Allman Brothers Band sehr geprägt. 


„Dickey“ Betts ist bekannt durch seine Hits „Ramblin’ Man“ und das fantastische Instrumental „Jessica“. Und was ist bei Dir mit „Slowhand“ Eric Clapton?


Gute Frage, Peter. Als ich Eric Clapton 2004 in der Westfalenhalle Dortmund das erste Mal live gesehen habe, war das für mich wie ein Donnerschlag. 


Eric Clapton hatte damals gerade das Album „Me and Mr. Johnson“ veröffentlicht …


Genau. Und mit was für einer Macht, mit was für einer Wucht er den Blues spielt. Das hat mich bis ins Mark erschüttert. In Erinnerung an dieses Konzert kriege ich jetzt wieder eine Gänsehaut.


Interessanterweise prägt Dich auch eine Band, die man in Sachen Blues nicht so auf dem Schirm hat?


Das Electric Light Orchestra (ELO) von und mit Jeff Lynne fasziniert mich seit meiner Kindheit. Das ELO-Album „Out oft the Blue“ war da mein musikalisches Jugend-Erweckungserlebnis. Jeff Lynne ist einfach ein Genie, als Komponist und Gitarrist. Ich war zweimal auf der Re-Union-Tour und konnte das Electric Light Orchestra mit Jeff Lynne live sehen.


ELO-Mastermind Jeff Lynne hat viele Gitarren bei sich zuhause. Wie viele Gitarren hast Du in Deiner Wohnung?


So ein Dutzend Gitarren, E-Gitarren und akustische Gitarren.


Bluesikone B.B. King nannte seine Lieblings-Gitarre ehrfurchtsvoll „Lucille“. Haben Deine Gitarren auch persönliche Namen?


Nein, Instrumente sind für mich Tools, also Werkzeuge, die funktionieren. Ich habe zu meinen Gitarren keine emotionale Ebene.


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Ich habe mit Sicherheit ein Dutzend an Gitarren

Welche Gitarren spielst Du auf Deinem neuen Album?


Gibson Firebird, Gretsch Hollowbody, Fender Telecaster bei den elektrischen Gitarren und bei den akustischen Gibson J-35 und Martin D28.  


Was war Dir für Dein neues Album „Shadow Man Blues“ wichtig?


Dass es ein Americana-Album ist. Also mit Stilelementen von Country Rock über Bluegrass, klassischem Rock, Rhythm ’n’ Blues bis zum puren Blues. Sehr gutes Songwriting und hervorragende Songs waren für mich das A und O beim neuen Album.


Um welche Themen geht es?


Bei dem Song „Jasmine“ geht es zum Beispiel um Sehnsucht, bei „Appalachian Woods“ um Bigfoot, einen humanoiden Kryptid von erheblicher Leibesgröße. Mich interessiert diese Bigfoot-Geschichte wirklich sehr. Schon länger. Bei dem Song „Sweet Whiskey Queen“ geht es um unseriöse Mädels in einer Bar in Münster, in der man jedes Zeitgefühl verlieren kann. Im neuen Song „It‘s a good Day to Die (but I Missed it“) geht es um die Story einer Silvesternacht, eher sozialkritisch. Ich hatte mal Silvester einen ultracoolen schwarzen Cowboy getroffen.


Wie lange hast Du an Deinem neuen Album gearbeitet?


Insgesamt zwei Jahre, weil ich alles selbst komponiert und eingespielt habe, bis auf ein paar wenige Basslines.


Was ist bei Dir zuerst da, Musik oder Text?


Immer beides. Akkorde, Harmonien, Melodie und Text. Das muss immer Hand in Hand gehen, wenn ich nicht sofort einen Text habe, dann aber schon auf jeden Fall rudimentär.


Wann kommen Dir die Ideen für Deine Songs? Auch nachts?


Die Ideen kommen mir öfters und ich mache mir dann sofort Notizen. Nachts träume ich auch manchmal eine Melodie, wache dann auf, bin völlig außer Atem. Manchmal ärgere ich mich, wenn der Song dann in der Traumwelt hängengeblieben ist und er durch das Aufwachen wieder komplett verschwunden ist und einfach nicht in mein Gedächtnis zurückkommt.


Du stehst ja schon zwei Drittel Deines Lebens auf der Bühne. Hast Du eigentlich noch Lampenfieber?


Lampenfieber habe ich fast nie. Eigentlich habe ich Lampenfieber nur im Hot Jazz Club.


Warum ausgerechnet nur dort?


Weil ich im Hot Jazz Club in Münster immer viele Bekannte im Publikum habe. 


Apropos. Dein nächstes Münster-Konzert ist am 21. Februar im Hot Jazz Club am Hafen. Was erwartet uns bei Deinem Konzert dort?


Es ist der Start meiner bundesweiten Tour zu meinem aktuellen Album „Shadow Man Blues“. Es begleiten mich Bassist Franz Eickmann aus Recklinghausen und am Schlagzeug Cullen Corley aus Boston/USA, der inzwischen aber in Münster lebt. Wir werden einiges vom neuen Album spielen, aber auch ganz neues Material und Klassiker von The Allman Brothers Band, von Tom Petty and the Heartbreakers und von J.J. Cale.


Wie probt Ihr für die Konzerte?


Mittlerweile nicht mehr in den dunklen Kellerproberäumen unter Rare Guitar am alten Güterbahnhof, sondern bei mir zu Hause.


Proben bei Dir zu Hause im Geistviertel? Was sagen denn Deine Nachbarn dazu?


Wir proben inzwischen nur noch in Zimmerlautstärke, also ohne, dass die Nachbarn ausrasten. Die Kommandos sind während der Proben auch kurz. 


Neben dem Nachbarschaftsschutz, welchen Vorteil haben leise Proben noch?


Man kann bei leisen Proben unter den Musikern besser miteinander kommunizieren und sich so auch besser auf Timing und Abläufe konzentrieren.


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Hat sich das Publikum bei den Blues-Konzerten im Laufe der vergangenen knapp 30 Jahre, in denen Du auf der Bühne stehst, verändert?


Der Blues in Deutschland stirbt aus. Es kommt kaum noch etwas nach beim Blues-Nachwuchs und auch beim Publikum, das immer älter wird. Die alten Protagonisten sind weg.


Aber es gibt doch zum Beispiel die sehr erfolgreichen „The Bluesanovas“ …


Ja, das stimmt. Das sind tolle und sehr begabte Kollegen. Aber die fünf Jungs von The Bluesanovas aus Münster sind die einzige Sperrspitze beim Blues-Nachwuchs in Deutschland. 


Das heißt?


Es muss deutlich mehr vom Schlage der Bluesanovas geben.


Du bist waschechter Münsteraner. Mensch und Musiker. Was könnte Münster für Musiker besser machen?


Da gilt das gleiche wie bundesweit: mehr Spielstätten und eine Gesellschaft, die Musik auch finanziell honoriert, damit Musiker überhaupt Musik anbieten können – heißt konkret mehr Publikum, das zu Konzerten geht und das auch wieder Tonträger kauft und nicht einfach nur kostenfrei konsumiert. Und es muss viel mehr in musikalische Bildung investiert werden.  


Warum ist das so wichtig?


Einerseits weil Musik für den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft enorm wichtig ist, womit nicht nur das reine konsumierende Hören gemeint ist, sondern auch das miteinander Musizieren. Aber auch damit das Qualitätsniveau von Musik nicht nur vom Markt und der Musikindustrie bestimmt wird, was auch zu einer völligen Abstumpfung des Hörers und der Gesellschaft geführt hat. 


Wie kann die Stadt Münster an dieser Stelle konkret und vor allem konstruktiv für nachhaltige Qualität sorgen? 


Mit einer gezielten Kulturförderung und vielfältigen Kulturbildungsangeboten. 


Was ist Dein Wunsch als Musiker?


Ich möchte weitere Alben aufnehmen, touren und besonders das jüngere Publikum mehr begeistern für handgemachte und American-Roots-Bluesmusik.


Was machst Du eigentlich, wenn Du nicht Musik machst?


Inzwischen versuche ich, so gesund zu leben, wie es eben für mich geht. Dazu gehören dann auch entsprechende sportliche Aktivitäten, wie Schwimmen oder Entspannungskonzepte.


Warum ist Entspannung als Musiker und Mensch so wichtig?


Entspannung ist wichtig, um mit sich selbst in Verbindung und geerdet zu bleiben. Dazu gehören auch Reisen ans Meer. Mir hilft das im Kreativprozess ungemein. Das wilde Leben ist ja inzwischen vorbei.


Auch bei Deinen neuen Songs?


Oh ja. Die Hookline (also eine für ein Musikstück charakteristische eingängige Melodiephrase oder Textzeile) zu meinem Song „Set me free“ ist mir zum Beispiel am Limnionas-Strand eingefallen. 


Limmionas ist mir noch unbekannt …


Limmionas ist ein wunderbarer Strand auf der griechischen Insel Samos, im Südwesten der Insel. Und an diesem griechischen Strand, voll in der Sonne, da schaute ich auf das Meer und, bämm, hatte ich die Hookline für „Set me free“ – wie aus dem Nichts an der „Angel“. 


Phil Seeboth
Er ist geboren am 16. November 1979 im EVK Münster, aufgewachsen in Gremmendorf/Angelmodde, lebt im Geistviertel und ist ledig. Er ist ausgebildeter Populargitarrist, Musiklehrer, Komponist und Voll-
blutmusiker. Er spielte u.a. schon den Support für Ten Years After, Kai Strauss oder Albie Donelly. In Münster ist er von Shows beim Hafenfest und dem X-Viertelfest bekannt.

lllustration Thorsten Kambach / Fotos Phil Seeboth

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