Stephan Günther trifft „Deine Cousine“
FRAUEN, FESTIVALS UND FEMINISMUS
Im Moment verbringt sie ihre Zeit fast ausschließlich auf den Festivalbühnen der Nation und ist so präsent wie nur irgendwas. Die Rede ist von „Deine Cousine“, einer deutschen Rockmusikerin. Viele kennen sie wahrscheinlich seit sie 2018 mit Udo Lindenberg
„Du knallst in mein Leben“ sang und auch live regelmäßig mit ihm zu sehen war.
Im September letzten Jahres hat die 37-jährige Wahlhamburgerin ihr zweites Album
veröffentlicht. Der Erfolg blieb nicht aus und mit „Ich bleib nicht hier“ landete sie damit direkt auf Platz 12 der deutschen Albumcharts. Zwischen ihren unzähligen Auftritten
fand sie Zeit, um sich über den Dächern der Stadt Münster mit uns zu treffen.
In der Skybar sprachen wir über Festivals, Karriere und Feminismus.
Festivalsaison, da haben wir ja Glück, dass du Zeit für uns findest. Wie viel Auftritte habt ihr momentan?
Also, der August ist jetzt auf jeden Fall am härtesten. Ich glaube, das sind so 10 verschiedene Festivals. Dieses Wochenende war sogar das härteste, 4 Festivals!
Nicht schlecht!
Ja, das Wochenende war schon ganz schön anstrengend, aber sehr, sehr beseelend auch und sehr schön!
Ihr wart ja auch „auf Wacken“ und habt die große Schlammschlacht mitgemacht?
Ja, aber Wacken war wie jedes Jahr cool! Dieses Jahr natürlich ein bisschen besonderer. Viele Verspätungen, viel Unsicherheit, ob’s jetzt stattfindet oder nicht. Aber so ging’s wohl allen anderen auch. Wir haben einen Tag vorher bei den Proben gesessen und nur gedacht: „Ohje, was wird das denn jetzt?“
Das kann ich mir vorstellen…
Um so erlösender war dann der Moment, als man dann endlich, drei Stunden zu spät, auf die Bühne gerannt ist und in die Leute einen freudestrahlend anguckten. Da wussten wir, okay, geil, das wird jetzt gut!
Ich wollte gerade fragen, wie die Stimmung beim Publikum denn war? Oft ist es ja mit der Stimmung fast besser, je mieser das Wetter ist. Oder war es ein Auftritt wie jeder andere?
Nee, ich glaube schon, dass die Leute emotionaler sind, gelöster. Die wollen dann richtig doll, dass das jetzt eine geile Zeit wird. Denen ist es dann auch egal, die haben dann schon viel einstecken müssen auf dem Weg, die geben dann alles und sagen: „Scheiß drauf!“
Spulen wir mal ein wenig zurück und ich stelle die Klassiker-Frage: Wie bist du zur Musik gekommen?
Ich habe schon mein Leben lang Musik gemacht. Meine Eltern haben schon im Kindesalter gemerkt, dass ich einen Hang zu Dingen habe, die mit Musik oder Aufmerksamkeit zu tun haben. In der Schule hatte ich dann das Glück, dass ich einen musikalischen Klassenlehrer hatte, der immer mit uns gesungen hat vor dem Unterricht. Da habe ich dann gemerkt, dass ich anscheinend irgendetwas kann, was anderen nicht so liegt.
Eine frühe Erkenntnis, nicht schlecht!
Ja, und da ich schon immer ein Aufmerksamkeit liebendes Kind war, dachte ich, dass das der Schlüssel zum Glück ist. Hier schauen Menschen ein wenig genauer hin, wenn ich das mache.
Und dann bist du durchgestartet?
(Lacht) Ne, ich bin da zwar dran geblieben, hab immer Musik gemacht oder Theater gespielt. Aber ich konnte mir da nicht vorstellen, dass das ein Beruf ist.
Andere träumen davon! Und wie ging’s dann weiter?
Als es dann irgendwann losging, dass man sich mal so langsam entscheiden muss, habe ich halt erstmal eine Ausbildung gemacht. Für Abitur war ich zu schlecht in der Schule und da ich aus einer Handwerkerfamilie kam, bin ich erstmal Handwerkerin geworden.
Aber dann!?
Nee, ich habe neun Jahre gearbeitet. Ich bin eigentlich Industriemechaniker-Meisterin und habe auch fast Wirtschaft und Ingenieurswesen fertig studiert. 3 Klausuren vor Schluss habe ich abgebrochen. Ich habe diese Kurse immer so neben der Arbeit gemacht. Ja, und nach neun Jahren habe ich dann gekündigt und gesagt: „Hallo, ich mache jetzt Musik!“
Aus heiterem Himmel?
Man wird halt Erwachsener und stellt fest, dass der Job immer mehr Zeit in Anspruch nimmt. Dass es halt nicht mehr dieses Ding ist, Ausbildung machen und eigentlich nie so krass Verantwortung haben. Auf einmal ist man 23, findet sich als Projektmanagerin für ein riesig budgetiertes Projekt wieder. Gleichzeitig sah ich dann halt alle meine Freunde, die studierten und irgendwie näher an ihren Träumen geblieben sind. Ich fand die Vorstellung komisch, mit 30 ein Eigenheim in Oldenburg und zwei Kinder zu haben, die ich zum Gesangsunterricht schiebe, damit sie meinen Traum verwirklichen, den ich nicht geschafft habe. Ja, und dann habe ich einfach hingeworfen.
Wow, mit Aussicht auf musikalischen Erfolg oder einfach probieren?
Ich hatte zu viel Angst vor der Realität meines Lebens, wenn ich so weiter mache. Das war in erster Linie der Punkt. Mit ein wenig Erspartem in der Tasche konnte ich dann auch erstmal ein Jahr überbrücken. Da habe ich nur ein wenig gekellnert, um die Miete zu zahlen.
Ist der alte Beruf dein Plan B im Notfall?
Ne, dafür habe ich die jetzige Branche zu sehr lieben gelernt und mir zu viele Fähigkeiten erarbeitet. Ich würde da bleiben und dann was anderes machen. Management, Booking für andere Bands oder Merchandising.
Hast du musikalische Wurzeln?
Also musikalische Wurzeln finde ich immer so ein bisschen schwierig. Ich bin kein Mensch, der an Dingen kleben bleibt, die irgendwie glorifiziert und dann da nicht mehr drüber hinwegkommt. Ich hatte gefühlt tausend Millionen Phasen in meinem Leben, wo ich verschiedenes gehört habe. Mein letztes Album heißt ja „Ich bleibe nicht hier“ und es war ja auf sehr, sehr vielen Ebenen gemeint. Und beim musikalischen Geschmack ist es ähnlich. Ich habe keine Helden, die ich mein Leben lang vergöttere.
Wir hatten keine richtigen Grenzen.
Also keine Vorbilder oder bewusste Einflüsse?
Ich glaube musikalisch war die prägendste Phase für das, was ich jetzt mache, dann schon diese ganze Zeit, wo ich auch auf Festivals gegangen bin. Das war so 2005/2006, wo ich Rock am Ring, Hurricane und alles mitgenommen habe. Da waren dann Acts wie Killers, Mando Diao oder Hives. Das ist es auch schon, bin halt ein Gitarrenkind.
Viel Musik entspringt ja immer einer gewissen Szene, Punk zum Beispiel…
Wenn man danach geht, dann waren wir Hippies früher. Hippies zu Zeiten, wo es keine Hippies gab. Meine Freunde und ich sind mit 14 oder 15 in Cord-Schlaghosen durch die Gegend gerannt und haben aber trotzdem Nirvana gehört, und „Californication“ von den Red Hot Chili Peppers war halt das größte Album damals. Weißt du, wir saßen halt im Kinderzimmer, haben gekifft und irgendwie Mucke gemacht. Wir hatten keine richtigen Grenzen. Es ging ja in erster Linie darum, anders zu sein als die anderen. Und egal, ob du damals Punk warst oder Cord-Schlaghosen getragen hast, du warst auf jeden Fall anders als das, was da normal existierte. Bei uns auf dem Dorf gab es das halt eher nicht so, da war es eher üblich, sich den anderen anzupassen.
Wie politisch bist du in deiner Musik?
Ich weiß gar nicht, ob ich in meiner Musik so politisch bin… Also ich bin ein politischer Mensch mit der typischen Grenze, was mein Hirn emotional manchmal schafft. Das heißt, ich muss mich manchmal auch gegen mein politisches Dasein wehren, um das emotional verkraften zu können, wie die Welt gerade so ist. In meiner Musik bin ich eher feministisch als politisch.
Auf jeden Fall mit Haltung…
Ich wurde mal in einem Interview gefragt, warum ich kein klar politisches Lied auf dem ersten Album habe. Ich muss da immer dran denken, was für eine frustrierende Frage das eigentlich für mich ist. Weil ich denke, keiner der Männer der letzten 30 Jahre, die diese ganzen „gegen Nazis Lieder“ gemacht haben, wurde gefragt, warum er kein klar feministisches Lied gegen Sexismus gemacht hat.
So habe ich das noch gar nicht gesehen!
Ich fühle mich dann in so eine Ecke gedrängt, wo ich denke, es gibt ja alles schon tausendmal… Also wir haben sehr gute Rollenbilder und ausgesprochen gute Songs dafür. Gerade in der Musik, in der ich mich bewege, Punk, Deutschrock, Rockmusik, oder wie auch immer du es nennen willst, gibt es absurd gute Lieder. Ich streue das immer eher in so Nebensätzen ein und ich glaube, durch meine Haltung, das, was ich in Interviews sage, wird klar, wo ich „wohne“, wo ich politisch stehe. Ich möchte mich ganz klar in die linke Richtung verordnen. Für mich ist wichtiger in der Musik das zu erzählen, was all die anderen nicht erzählen. Das sind weibliche Themen. Meine größten Themen sind da dann eher sexualisierte Gewalt und wie wir mit Gleichberechtigung umgehen. Und ich glaube, das ist so ein bisschen mehr meine Aufgabe, weil bei jüngeren Künstlerinnen sieht man ja, dass das Thema zum Glück ganz gut abgedeckt ist. Man sieht, dass da so die zehn Jahre jüngeren da schon ein bisschen anders rangehen.
Das ist mal etwas anderes und genauso wichtiges, da hast du recht!
Ich glaube einfach nicht, dass ich die beste Galionsfigur für den Kampf gegen Rechts bin, weil das können andere genauso erzählen. Was die anderen aber nicht erzählen können, was die Donots nicht erzählen können, was die Hosen nicht erzählen können, oder was die Broilers schlecht erklären können, ist, wie die Sicht einer Frau in der Rockwelt ist.
Vielleicht sogar richtiger und wichtiger, es mal so zu thematisieren?
Ich weiß nicht, ob es wichtiger ist, aber es ist ehrlicher aus meiner Perspektive… Ich glaube einfach, dass ich mit meinem Thema in erster Linie noch eine Generation Männer erreiche, die mit dem Thema Gleichberechtigung noch nicht so viele Berührungspunkte hatten, weil es vor 20 Jahren einfach noch anders was als jetzt. Das trifft aber auch auf manche Frauen zu. 2019 bei einem Konzert stand ein älterer Typ mit mir draußen beim Rauchen, guckte mich etwas schüchtern an und meinte: „Ich wollte nur sagen, ich finde dein Album total geil. Seitdem ich „Scheiß auf Ironie“ gehört habe, versuche wirklich das Wort „Schwul“ als Schimpfwort zu vermeiden.“ - DAS sind so Momente, die sind für mich der größte und beste Grund, Musik zu machen.
Ein tolles Feedback!
Ja, weil das ist ein Mensch, den man, glaube ich, sonst nicht erreicht hätte und der bei seinem Stammtisch wahrscheinlich das Wort 80.000 Mal als Schimpfwort benutzt hat. Weil er mich aber auf einer emotionalen Ebene mochte und meine Musik mochte, konnte ich ihm irgendwas zum Nachdenken mitgeben. Es geht ja nicht darum, die Leute immer sofort zu verurteilen, sondern es geht einfach nur darum, lass mal kurz darüber reden, ob wir hier vielleicht einen anderen Blickwinkel auf Dinge haben können.
Wie stehst du zum Thema Frauenquote bei Festivals? Das Thema poppt ja seit ein, zwei Jahren immer mehr auf.
Ich konnte mir da, wenn ich ehrlich bin, nie eine klare Meinung drüber bilden. Ich wusste nie, ob es daran liegt, ob es tatsächlich wissentlich vermieden wird, dass Frauen auftreten oder ob es einfach nicht genug Leute gibt.
Im Moment stehen ja erfreulich viele Frauen auf den Festivalbühnen.
Das Thema ist brutal schwierig. Ich kenne die Argumente, dass es halt nicht so viele Frauen im Business gibt. Aber sollte nicht gerade deshalb die Frage gestellt werden, warum es in den letzten Jahren so schwer war, Frauen zu finden? Das Problem liegt hier ganz klar an der Struktur und die muss sich verändern. Ich kenne viele Kolleginnen die Schwierigkeiten hatten Plattenverträge zu bekommen, weil es unter anderem hieß: „Die kriegen dann ja auch noch Kinder und so … dann wird die Karriere leiden“. Auch ich selbst habe mich auch schon in solchen Situationen wiedergefunden. Ich hoffe aber, dass wir in 10 Jahren nicht mehr über das Thema diskutieren müssen, wenn man sich anschaut, wie viel junge und unfassbar gute Mädels jetzt in der Musikbranche existieren. Die sind mit einem komplett anderen Selbstbewusstsein groß geworden. Und trotzdem klappt das aber natürlich auch nur, wenn wir uns alle nach wie vor dafür stark machen und dafür sorgen, dass das Thema nicht wieder aus dem Fokus rückt. Es geht hier ja nicht um einen Trend, sondern um was viel Größeres! Ich bin nur aktuell tatsächlich im Bezug auf die nachkommenden Generation positiv gestimmt.
Das wäre zu wünschen!
Das ist egal! Vor 5 Jahren sagten sie mir, Frauen mit Gitarre will keiner sehen. Jetzt sagen sie, bei dir funktioniert es ja nur, weil Frauen gerade so gefördert werden. Am Ende steht immer ein wenig von „du hast es dir auf gar keinen Fall selber erarbeitet“. (Lacht)
Ein schönes Schlusswort, Ina, ganz lieben Dank für das interessante Gespräch!
Ina Bredehorn
„Deine Cousine“ heißt im echten Leben Ina Bredehorn und ist am 23. April 1986 in Varel in Niedersachsen geboren. Musik macht sie eigentlich schon immer, ist aber auch gelernte Industriemechanikerin und hat Wirtschaft und Ingenieurwesen studiert. Zu ihren Freunden zählt sie Udo Lindenberg, mit dem sie auch schon ein Duett sang.
llustration Thorsten Kambach / Fotos Dr. Helmut Kurz