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Gene Simmons spricht mit Dominik Irtenkauf über Leben, Tod und andere wesentliche Dinge

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Diese Band gibt es nur einmal im Kosmos: Kiss. Unverkennbar hinterlassen die Amerikaner seit über vier Dekaden ihre Spuren am Pophimmel. Nun wollen sie auf dem Zenit ihrer Karriere das olympische Feuer des Rock ’n’ Rolls nochmals um die Welt tragen. Vier Musiker, vier Charaktere, vier Masken. Einer von ihnen ist Gene Simmons, seines Zeichens Bassist, Tausendsassa auf der Bühne – und gerne bereit, dem Stadtgeflüster etwas Zeit zu schenken, denn es ist …

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MAGIC TIME

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Sie spielen ihre letzte Tour. Denken Sie, dass da alte Erinnerungen hochkommen werden?

Natürlich. Ich war nie high oder betrunken – daher kann ich mich ziemlich gut erinnern. An Orte, Menschen, Parties und selbstverständlich auch an Mädchen. 

 

Es wird auch eine Zeitreise?

Na klar. Nachdem du in der Highschool deinen Abschluss gemacht hast und es nach vielen Jahren ein Treffen gibt, erinnerst du dich daran, was damals passiert ist und mit wem du die Zeit abgehangen hast. Es ist hochemotional.

 

Das müssen ja tausende Konzerte gewesen sein? 

Ja, tausende!

 

Werden Kiss auf der Letzttour auch einige Orte besuchen, wo sie nie gewesen sind?

Ja. Wir waren noch nie in Afrika, auch nicht in Ägypten. Selbst in Israel sind wir nie gewesen, insofern interessant, als dass ich dort geboren wurde. Wir haben so viel Equipment, das wir in einer Boeing 747 transportieren müssen. Das ist ziemlich teuer. Man braucht in den Ländern Geschäftspartner – und vieles mehr. 

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Wo geht es sonst noch hin?

Wir waren nie in China oder in Fernost, wie Thailand oder Kambodscha. In Indien spielten wir bislang auch keine Konzerte. Ich freue mich schon auf diese Orte. Es wird eine lange letzte Tour werden. Sie wird drei Jahre dauern und wir wollen überall hinfahren.

 

Das ist sicher ein Kraftakt, dieses schwere Kostüm zu tragen. Danach ist dann Schluss? 

Kiss waren stets eine Erfolgsgeschichte! Wir wollen jetzt die letzten Konzerte spielen, weil wir die Bühne souverän verlassen möchten. Im August werde ich 70. Wenn wir die Tour beenden, zähle ich 73 Jahre. Das ist der richtige Zeitpunkt, aufzuhören, weil wir die am härtesten arbeitende Band im Showbiz sind.

 

Weil das Kostüm so schwer ist?

Wäre ich Keith Richards oder The Edge, wäre es für uns einfach, weitere Konzerte zu spielen. Du brauchst eben nur Turnschuhe und ein T-Shirt. Versteht das nicht falsch: Wir lieben diese Bands, es sind fantastische Musiker. Aber wenn du Keith in meine Drachenstiefel stecktest, und in mein Kostüm, der dann Feuer spucken müsste – und das zwei Stunden lang –, der würde nach einer halben Stunde ohnmächtig werden.

 

Dafür brauchen Sie eine gute Kondition. Machen Sie Sport?

Man muss Sport treiben, wenn man nicht tourt. Ich klettere in den Bergen und wir legen fünf Meilen am Tag zurück.

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Da sieht man sicher beeindruckende Natur?

Klar. Und es ist besser, dort Sport zu treiben, weil man viel frische Luft hat. Man braucht Sauerstoff, um gut an sich arbeiten zu können. Macht man in einem Fitnessstudio Übungen, fehlt meist die Luft. 

 

Und man atmet gewissermaßen den Schweiß der anderen Kunden ein.

Stimmt! 

 

Kritische Stimmen behaupten, dass Kiss zu viel Show wäre, dass die Kostüme von der Musik ablenken. Brauchen Sie diese Verkleidungen, um die Mythologie umzusetzen?

Wir müssen gar nichts! Wir verlangen das selbst von uns. Keine andere Band im Showbusiness arbeitet so hart wie wir. Neben Kiss besitze ich eine Firma, die Cannabis anbaut. Wir unterhalten eine Restaurantkette. Mir gehört eine Filmproduktionsfirma, mit Immobilien habe ich auch zu tun. Zudem bin ich Eigentümer eines Limonadenherstellers. 

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Wow! Langweilig wird es Ihnen da sicher nicht!

Das schlimmste, was du machen kannst, ist, den ganzen Tag im Bett zu bleiben. Du wirst jung sterben. Am besten stehst du sehr früh auf und arbeitest den ganzen Tag, bis du wirklich müde bist. Das solltest du jeden Tag machen.

 

Das ist sehr interessant, weil Kiss ja eine Band sind und eher als arbeitsscheu gelten könnten, à la Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll!

Sex und Rock ’n’ Roll finde ich cool, davon kann man nie genug bekommen. Die Drogen sind jedoch das Problem! Du kannst nicht an der Spitze sein, wenn du ständig high bist.

 

Sind Sie clean geblieben?

Ich war in meinem Leben nie high oder betrunken. Es sei denn in einer Arztpraxis. Ich habe in meinem Leben nie geraucht. Wenn jemand anderes das tun will, habe ich nichts dagegen. Mich interessiert es einfach nicht. 

 

Sicher nicht leicht, auf Tour Nein zu Drogen zu sagen?

Nun, wenn du dir irgendetwas einwirfst, dann betäubt es deine Gefühle. Wie willst du Frauen genießen können, wenn du halb betäubt bist?

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Ein Grund, Drogen zu nehmen, ist vielleicht den Stress zu bewältigen?

Es gibt keinen Stress. Es gibt nur harte Arbeit, für die du belohnt wirst. Alle Frauen werden auf dich aufmerksam. Da gibt es keinen Stress. Alles Andere spielt sich in den Köpfen der Menschen ab. Die Menschen, die high werden und sich töten, haben ein Problem mit sich selbst. Die Frage ist: Warum wollten sie reich und berühmt werden, bevor sie sich ums Leben brachten? Das hätten sie ja auch tun können, solange sie noch arm waren! 

 

Das Thema scheint Sie zu interessieren?

Ich habe ein Buch über den „Club 27“ geschrieben, also diese ganzen Todesfälle im Alter von 27 Jahren. Darüber, wie sich diese unglaublichen Talente umbringen, sobald sie 27 Jahre alt sind. Das hatte wenig damit zu tun, dass sie bekannt oder in einer Band waren. Es lag vielmehr an ihrer Depression oder der genetischen Veranlagung. Jeder möchte gern reich und berühmt sein. Das ist aber nicht stressig – stressig ist vielmehr, arm zu sein.

 

Man zerbricht sich ständig den Kopf darüber, wo am nächsten Tag das Geld herkommt!

Stimmt.

 

Es gibt ja im Blues den Mythos, dass man verzweifelt sein muss, um tolle Musik zu kreieren. Was halten Sie davon?

Ja, aber schau dir Paul McCartney an. Der schaut großartig aus, er ist so Mitte Siebzig. Er führt ein ziemlich geradliniges Leben. Die anderen Musiker aus der Zeit sind häufig tot.

 

Er brachte vor kurzem ein Buch zum fleischlosen Leben heraus.

Ach wirklich? Alles, was du tust, wird dir das Leben geben, das du dir wünschst. Wenn du das Glück hast, nicht depressiv zu sein, dann hast du eine bessere Chance im Leben. Es ist aber sehr einfach: Wenn du sozusagen auf einer Schnellstraße unterwegs bist und neben dir droht ein Kliff, ist es sehr einfach, da runter zu fahren. Zu leben ist viel schwieriger! Der Tod ist einfach. Du entscheidest dich für den Suizid – und dann ist’s vorbei.

 

Für Sie wäre das keine Lösung?

Wenn du das Leben liebst und es jeden Tag leben willst, dann erhältst du auch all die schönen Belohnungen. Ein frühzeitiger Tod wird dir nichts einbringen. Du wirst nur viele Menschen traurig machen: deine Familie, deine Kinder, deine Fans, die werden alle bekümmert sein. Wenn du am Leben bist, sind sie alle happy – und vielleicht du selbst auch.

 

Bis zum letzten Atemzug…

Für mich zählt das nicht, wann der Tod kommt. Wenn ich das mache, was ich liebe und so lange die Fans das zu schätzen wissen. Manchmal verstehen das die Leute, manchmal auch nicht. Meine Mutter verstand nicht immer, was ich machte. Aber darum geht es nicht.

 

Denken Sie, dass in einer gefährlicher werdenden Welt Kiss mit ihrer Musik und den Bildern eine Art Trost für das Publikum sein können?

Ja, durchaus. Wir versuchen, nicht über Politik oder die Geheimnisse des Lebens zu singen. Wenn unsere Fans zu einer unserer Shows kommen, geht es darum, eine zauberhafte Zeit zu erleben. Du kannst die Probleme unserer Welt vergessen. Es gibt bei uns kein richtig oder falsch. Wir sind alle am Leben und du kannst feiern. 

 

Könnten Sie das noch ausführen?

Das wichtigste Wort für alle Kiss-Mitglieder und in allen Sprachen ist das Wort „ich“. In fast allen Liedern, die wir schreiben, nutzen wir kaum das Wort „wir“. „I love it loud“, „I wanna rock ’n’ roll all night“, „I was made for lovin’ you“. Es geht immer um das Ich, also „I“. Ich schrieb sogar einen Song mit diesem Titel. Das ist für uns ein sehr wichtiges Wort. In China nutzen sie dieses Wort nicht.

 

Genau. Sie verstehen sich da eher als Kollektiv.

Yeah. Und das ist nicht gut.

 

Denken Sie denn, dass das Schicksal Ihrer Mutter wichtig für Ihr Leben war, Herausforderungen anzunehmen?

Meine Mutter war in den Konzentrationslagern in Nazideutschland. Sie war damals 14 Jahre alt. Aber es gibt verschiedene Charaktere und Musiker. Es gibt den Papst und den Dalai Lama, den ich übrigens kenne. Oder auch Weltpolitiker wie Nelson Mandela. Manche Menschen fühlen sich wohl damit, ihre kritische Stimme zu erheben und sich mit anderen Dingen neben der Musik zu beschäftigen. Bono macht einen sehr guten Job. Er spricht wichtige Themen an. 

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Und bei Kiss?

Darum geht es bei Kiss nicht! Kiss is magic time! We are the party! Wenn du zur Feier eines Freundes gehst, möchtest du dann von jemandem hören: Ich habe gerade über Hunger und die Krankheiten der Welt nachgedacht? Du gehst doch eher zu einer Party, um diese Sachen für einen Moment zu vergessen.

 

Also Kiss als großes Trostpflaster?

Unsere Aufgabe ist, den Stau vergessen zu machen oder deine eifersüchtige Freundin, weil sie meint, du hättest ihre Schwester gefickt. Welches Problem du auch hast, wenn du zu einer Kiss-Show kommst, dann vergiss deine Sorgen! Then it’s magic!

 

Gute Schlussworte. Passen Sie auf sich auf!

Danke.

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INFO

Rock-’n’-Roll-Legende. Gründungsmitglied von Kiss. Auch bekannt durch seine Reality-Show „Gene Simmons Family Jewels“, bei der seine Familie von Kameras begleitet wird. Zahlreiche Cameo-Auftritte in US-TV-Serien und generell am Leben interessiert.

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Viele, viele weitere Infos zum Gene Simmons erfahrt Ihr am besten hier:

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Autor Dominik Irtenkauf / Foto Brian Lowe

Erstmalig erschien dieser Text in Stadtgeflüster Interview

Juni 2019

​Alle Rechte bei Stadtgeflüster – das Interviewmagazin vom

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